Heft 2/2023

  • Isabel Heinemann, Die „erbgesunde“ Familie als transatlantisches Projekt. Paul B. Popenoe, Otmar Freiherr von Verschuer und die Kontinuitäten der Eugenik 1920 bis 1970. (Aufsatz) Ins Heft gezoomt
  • Gunnar Take, Korruption, Protektion und Justiz in der Ära Adenauer. Die „Leihwagen-Affäre“ 1958 bis 1960. (Aufsatz)  Artikel Der Spiegel
  • Bodo Mrozek/Doubravka Olšáková, Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenz­über­schrei­tende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989. (Aufsatz)
  • Thorsten Holzhauser/Paul Treffenfeldt, Demokratisierung durch Wahlausschluss? Die Debatte um das Wahlrecht von NS-Belasteten im Parlamentarischen Rat. (Miszelle)
  • Daniel Siemens, Rechtfertigung und Selbsterhöhung nach der „Nacht der langen Mes­ser“. Die Aufzeichnungen von SA-Stabschef Viktor Lutze 1934 bis 1943. (Dokumentation) Artikel Die Welt

 

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Abstracts

Isabel Heinemann, Die „erbgesunde“ Familie als transatlantisches Projekt. Paul B. Popenoe, Otmar Freiherr von Verschuer und die Kontinuitäten der Eugenik 1920 bis 1970

 

Die Autorin untersucht eugenische Ehe- und Familienberatung als transnationale Ver­flech­tungs­­geschichte am Beispiel zweier Sozialexperten, des US-amerikanischen Eugenik-Pioniers und Familienberaters Paul B. Popenoe und des führenden NS-Rassenhygienikers und späteren Or­­dinarius für Humangenetik in Münster, Otmar Freiherr von Verschuer. In der langen Per­spek­­tive von den 1920er bis in die 1970er Jahre zeigt sich, dass die NS-Zeit keine Zäsur mar­kier­te. Vielmehr wurde auf beiden Seiten des Atlantiks eugenischGunnar Take, es Wissen mobilisiert, um die Fa­­milie als Grundlage der Nation vor den Zumutungen der Moderne zu schützen. Die Quel­len­­grundlage bilden wissenschaftliche Texte, Ratgeber, Briefwechsel, Institutsakten und ein bis­lang nicht genutzter Bestand an Patienten- und Beratungsakten.

 


Gunnar Take, Korruption, Protektion und Justiz in der Ära Adenauer. Die „Leihwagen-Affäre“ 1958 bis 1960

 

In der jungen Bundesrepublik wurden Weichen gestellt, welche Praktiken fortan als korrupt gel­ten sollten. Die „Leihwagen-Affäre“ als doppelter Bestechungs- und Justizskandal trug zu die­­ser Entwicklung bei. Mit Konrad Adenauer und seinem persönlichen Referenten Hans Kilb wa­­ren zentrale Akteure der Kanzlerdemokratie involviert und mit dem Leihwagengeber Daim­­ler-Benz zudem ein Symbol des „Wirtschaftswunders“. Durch aufwändige Öf­fent­lich­­keits­ar­beit wurden die im Zentrum der Macht vorgelebten Vorteilsnahmen und -ge­wäh­run­gen ver­tei­digt. Dadurch verhalf man Praktiken, die stark vom Wortlaut einschlägiger Ge­setze und Verordnungen abwichen, zu sozialer Akzeptanz. Möglich wurde dies nicht zuletzt durch politische Eingriffe in die Justiz.

 


Bodo Mrozek/Doubravka Olšáková, Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenz­über­schrei­tende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989

 

Hat sich die Zeitgeschichte im Zuge des sensory turn jüngst vermehrt mit Bildern und Klän­gen befasst, spielen Gerüche bislang eine untergeordnete Rolle. Im Zusammenhang mit Im­mis­sionen aus Industrie und Landwirtschaft führten aber gerade üble Gerüche immer wieder zu politischen Konflikten. Anhand des sogenannten Katzendreckgestanks, der in den 1970er Jah­ren erstmals aktenkundig wurde, lässt sich nachvollziehen, wie Geruchs­konflikte grenz­überschreitende Komplikationen verursachen konnten. Mehr als zehn Jahre lang belastete diese Affäre die Beziehungen zwischen der ČSSR, der Bun­des­re­pub­lik und der DDR. Bodo Mrozek und Doub­rav­ka Olšáková analysieren, wie Ge­rüche tech­nisch vermessen, vor dem Hin­tergrund des Kalten Kriegs politisiert und schließlich in inter­na­tio­nalen Kooperationen im Zei­chen der Détente praktisch bekämpft wurden.

 


Thorsten Holzhauser/Paul Treffenfeldt, Demokratisierung durch Wahlausschluss? Die Debatte um das Wahlrecht von NS-Belasteten im Parlamentarischen Rat

 

Der Parlamentarische Rat war 1948/49 nicht nur Verfassungsgeber, er erließ auch das Wahl­ge­­setz zur ersten Bundestagswahl. Zu den umstrittensten Themen unter den Abgeordneten ge­hör­te die Frage, ob nationalsozialistisch belastete Personen das volle Wahlrecht erhalten oder von der Wahl ausgeschlossen werden sollten. Die Diskussionen über den Wahlausschluss ehe­maliger Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten sind von der Forschung bislang kaum thematisiert worden. Wie im vorliegenden Beitrag gezeigt werden soll, geben sie Auf­schluss über grundlegende Fragen des zeitgenössischen Demokratieverständnisses. Sie zei­gen, wie sich Diskurse um Schuld, Verantwortung und Belastung in der Nach­kriegs­zeit mit Fragen von Demokratie und Gleichheit verbanden.

 


Daniel Siemens, Rechtfertigung und Selbsterhöhung nach der „Nacht der langen Mes­ser“. Die Aufzeichnungen von SA-Stabschef Viktor Lutze 1934 bis 1943

 

Nach der Ermordung Ernst Röhms am 1. Juli 1934 ernannte Adolf Hitler Viktor Lutze zum neuen Stabschef der Sturmabteilung (SA), ein Amt, das dieser bis zu seinem Unfalltod im Mai 1943 innehatte. Bereits im Sommer 1934 begann er mit der Niederschrift politischer Auf­zeich­nungen, die je nach Eintrag und Zeitabschnitt zwischen Tagebuch, monatlicher Rück­schau und Autobiografie changieren. Diese wichtige autobiografische Quelle eines hoch­rangigen NS-Politikers wird hier erstmals in Auszügen veröffentlicht und durch eine aus­führ­liche Einleitung kontextualisiert. Das Dokument zeigt die strategischen Überlegungen des Stabs­chefs und wirft Schlaglichter auf die Probleme der Organisation im Gefüge der poly­kratischen NS-Herrschaft. Lutzes Schilderung der Ereignisse zwischen Ende Juni und Mit­te Juli 1934 ist zudem eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte der Röhm-Aktion.

 



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