„Mein Kampf“ ist eine der zentralen Quellen des Nationalsozialismus. Zu ihrer Bedeutung und Wirkung hat Eberhard Jäckel bereits 1981 geschrieben: „Selten oder vielleicht tatsächlich nie in der Geschichte hat ein Herrscher, ehe er an die Macht kam, so genau wie Adolf Hitler schriftlich entworfen, was er danach tat. Nur deswegen verdient der Entwurf Beachtung. Anderenfalls wären die frühen Aufzeichnungen, die Reden und die Bücher, die Hitler verfaßte, höchstens von biographischem Interesse. Erst die Verwirklichung erhebt sie in den Rang einer historischen Quelle.“
Hitlers Politik, die von ihm initiierten Kriege und Verbrechen haben die Welt vollkommen verändert. Schon deshalb wurden alle Texte, die sich von ihm erhalten haben − seine Reden, seine frühen Aufzeichnungen, seine Gespräche mit Diplomaten, seine „Monologe“ im „Führerhauptquartier“, seine Weisungen für die Kriegführung und schließlich auch sein Testament − längst veröffentlicht. Vom umfangreichsten und in gewisser Weise auch persönlichsten Zeugnis Hitlers lag dagegen lange Zeit keine wissenschaftlich erschlossene Fassung vor. Nur in Auszügen wurde „Mein Kampf“ publiziert – eine Lücke, die innerhalb der NS-Forschung seit langem als Desiderat galt.
Ziel des Instituts für Zeitgeschichte war es daher, „Mein Kampf“ als bedeutende zeithistorische Quelle zu erschließen, den Entstehungskontext von Hitlers Weltanschauung nachzuzeichnen, seine gedanklichen Vorläufer offenzulegen und seine Ideen und Behauptungen mit den Ergebnissen der modernen Forschung zu kontrastieren.
Das IfZ verfügt in der wissenschaftlichen Edition von NS-Schriften bereits über vielfältige Expertise: Zwölf Teilbände umfasst beispielsweise die in den Jahren 1991 bis 1998/2003 erschienene Sammlung von „Hitlers Reden, Schriften, Anordnungen 1925-1933“. Ebenfalls vom IfZ herausgegeben wurden 1961 Hitlers „Zweites Buch“, in den 1990er Jahren die Tagebücher von Joseph Goebbels sowie unlängst die Tagebücher des NSDAP-„Chefideologen“ Alfred Rosenberg. Deshalb erschien es nur folgerichtig, dass sich das Institut auch dieser Herausforderung stellte und mit "Mein Kampf" eine Quelle bearbeitete, die sich sicher nicht so präsentieren lässt wie andere historische Dokumente. Gefragt war vielmehr neben nüchterner, handwerklich präziser Wissenschaft eine kritische und selbstbewusste Auseinandersetzung mit Hitlers Text, mit einem Wort: eine Edition mit Standpunkt.
Ein Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung
Die Kommentierung von „Mein Kampf“ ist nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabe. Es gibt kaum ein Buch, das mit so vielen Mythen überfrachtet ist, das so viel Abscheu und Ängste weckt, Neugier und Spekulation hervorruft und nicht zuletzt mit der Aura des Geheimnisvollen, des Verbotenen wirbt. Ein Tabu, an dem sich auch gut verdienen lässt.
Daher versteht sich diese kritische Edition von „Mein Kampf“ auch als Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung. Es gilt, Hitler und seine Propaganda nachhaltig zu dekonstruieren und damit der Symbolkraft dieses Buchs den Boden zu entziehen. Auch auf diese Weise lässt sich einem ideologisch-propagandistischen wie kommerziellen Missbrauch von „Mein Kampf“ entgegenwirken.
Denn allen Debatten um eine Neuauflage zum Trotz – Hitlers Text war auch vor Ablauf des Urheberrechts schon längst auf vielfältigen Wegen zugänglich: Ob in antiquarischen Buchläden, über legal gedruckte englischsprachige Ausgaben oder über wenige Mausklicks im Internet – „Mein Kampf“ ist in der Welt und findet jedes Jahr neue Leser, Agitatoren und Geschäftemacher.
Aufgabe einer wissenschaftlich kommentierten Fassung ist es daher auch, die Debatte zu versachlichen und ein seriöses Gegenangebot zur ungefilterten Verbreitung von Hitlers Propaganda, seinen Lügen, Halbwahrheiten und Hasstiraden zu machen. Die Edition des Instituts für Zeitgeschichte setzt auf politische Aufklärung und wendet sich in Form und Stil deshalb bewusst an einen breiten Leserkreis. Durch eine Art „Einrahmung“ des Originaltexts in Form einer Einleitung und einer ausführlichen wissenschaftlichen Kommentierung entsteht ein Subtext zu „Mein Kampf“, durch den rasch klar wird, wie Hitlers Ideologie entstand, wie selektiv und verzerrt er die Wirklichkeit wahrnahm und auch, welche schrecklichen Folgen sich aus ihr ergaben.