„Im ganzen Reich parteipolitische Zusammenstöße, blutiger Bürgerkrieg im Anzug.“

Kardinal Faulhabers Tagebücher aus den Jahren 1930, 1931 und 1932 gehen online

München/Münster, 31.03.2023. Die Tagebücher des früheren Erzbischofs von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, die seit 2015 in einer Online-Edition zugänglich gemacht werden, sind um drei weitere Jahrgänge ergänzt worden: Auf der Seite www.faulhaber-edition.de hat das Forscherteam des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin und des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster nun die Jahrgänge 1930, 1931 und 1932 freigeschaltet.

Seit Jahrzehnten ist in der historischen und kirchenhistorischen Forschung bekannt, dass Erzbischof Faulhaber den Nationalsozialismus als „mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen“ bezeichnete und ihn eine „Häresie“ nannte. Der Inhalt seiner Tagebücher aus den Jahren 1930 bis 1932 untermauert diesen Befund. Obwohl er ein starkes Anwachsen der extremen Rechten bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 befürchtet hatte, überraschte ihn doch das Ausmaß des Erfolgs der NSDAP, die landesweit einen Stimmenanteil von 18,3 % der Wählerstimmen erhielt und in Bayern mit 17,9 % nur leicht unter dem reichsweiten Durchschnitt lag. Die Erzdiözese reagierte mit einer Aufklärungskampagne. Am 10. November 1930 notierte Faulhaber zufrieden: „Abends zehn große Versammlungen ‚Unsere Weltanschauung im Kampf der Geister‘ gegen den Nationalsozialismus. Alle gut besucht und voll Begeisterung.“ Eine Absolution von Mitläufern lehnte er ab. Für Verhandlungen mit den Nationalsozialisten sah der Oberhirte keinen Spielraum.

Auch die KPD hatte bei den Reichstagswahlen einen – vergleichsweise moderaten – Stimmenzuwachs erzielt. Weiterhin betrachtete der Kardinal den Kommunismus aber als erstrangige Bedrohung für den Katholizismus und die gesamte Gesellschaft. Angesichts der radikal christentums- und kirchenfeindlichen Politik der Bolschewiki seit 1918 in Russland (ab 1922 in der Sowjetunion) und der Informationen, die er über die dortigen „Greuel“ erhielt, war dies wenig erstaunlich. Mit Predigten und Protestveranstaltungen traten Faulhaber und der Klerus dem Bolschewismus entgegen. Immer wieder stand der Erzbischof unter Polizeischutz, weil ihn sogar Morddrohungen erreichten.

Die politische Entwicklung bis in das Jahr 1932 hinein stimmte Faulhaber düster, er bereitete sich auf „die Nazi-Revolution“ vor und prophezeite, dass „die Gewalt, der Terror kommen“ werde. Als Faulhaber von den Gerüchten erfuhr, dass der bayerische Kronprinz Rupprecht „als König sterben“ wolle, notierte er: „Und jetzt mit dem Naziputsch zugleich monarchistischer Putsch zu fürchten“ (Tagebucheintrag vom 11. April 1932). Besuchern, die in einer monarchischen Restauration eine reale Alternative zu den politischen Zuständen erblicken wollten, bescheinigte Faulhaber, „Illusionen“ anzuhängen. Enttäuscht hatte er sich bereits von der BVP abgewandt, sie gar als „Schlafwagengesellschaft“ verspottet. An den Reichstagswahlen vom 6. November 1932 nahm er nicht teil.   

Kampf gegen den kulturellen und sittlichen Verfall

Herausgefordert fühlten sich Erzbischof und Klerus besonders durch die Bibelforscher, die sich ab 1931 Zeugen Jehovas nennen sollten, die „[f]urchtbaren Haß gegen Geistliche“ verbreiteten und in einer Weise hetzten, „dass Unruhen entstehen müssen“, weshalb ein „Verbot“ zu fordern sei (Tagebucheintrag vom 26. November 1930). Gleichfalls klärte man die Gläubigen über die Ziele der anti-kirchlichen und religionsfeindlichen Freidenkerbewegung auf. Seelisch erschüttert zeigte sich der Erzbischof über die Zeitungsnachricht, dass der „Domorganist die Orgel im Krematorium“ spiele – „mit Wissen des Dompfarrers und mit Wissen des Ordinariats“ (Tagebucheintrag vom 21. Februar 1930), weil die Feuerbestattung der katholischen Glaubenslehre widersprach. Über „die Unnatur des Frauenturnens“ sprach Faulhaber zu Beginn des Kreisfestes der Deutschen Jugendkraft im Sommer 1931 in München.

Das Editionsprojekt

Michael Kardinal Faulhaber hat seit seiner Zeit als Bischof von Speyer Tagebuch geführt und darin seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten festgehalten. Diese Quelle wird im Projekt „Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)“ wissenschaftlich aufbereitet und im Internet unter www.faulhaber-edition.de veröffentlicht. Inzwischen sind die Jahrgänge 1911-1919 und 1930-1949 vollständig abrufbar. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Expertinnen und Experten entziffern können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf zwölf Jahre angelegte Vorhaben seit dem 1. Januar 2014. Im Projekt arbeiten Historikerinnen und Historiker, Theologen und ein Informatiker interdisziplinär zusammen. Geleitet wird es von dem Historiker Prof. Dr. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München−Berlin und dem Kirchenhistoriker Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf von der Universität Münster. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, in dem die Tagebücher verwahrt werden. Die Edition wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der Katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen, Emotionen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.



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