Heft 2/2020

Aufsätze:

  • Tobias Hof: Widerwillige Retter? Die Judenpolitik des italienischen Außenministeriums unter Galeazzo Ciano 1936 bis 1943. (A)
  • Frieder Günther: Verfassung vergeht, Verwaltung besteht? Die vier deutschen Innenministerien 1919 bis 1970. (A)
  • Christina Morina: Zwischen Verdrängung und Vereinnahmung. Der Historikerstreit und die DDR. (Dok)
  • VfZ-Schwerpunkt Globalisierung - Wolfgang Knöbl: After Modernization. Der Globalisierungsbegriff als Platzhalter und Rettungsanker der Sozialwissenschaften.

 

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Abstracts

Tobias Hof, Widerwillige Retter? Die Judenpolitik des italienischen Außenministeriums unter Galeazzo Ciano 1936 bis 1943

 

Im Zuge des 80. Jahrestags der italienischen Rassegesetze von 1938 kam es zu einem verstärkten Interesse am italienischen Antisemitismus und an der Rolle Italiens in der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Trotz dieser Dynamik fehlen aber bis heute empirisch fundierte Studien über einzelnen Institutionen und die führenden Funktionäre, die für die Judenpolitik verantwortlich waren. Dies ist indes unerlässlich, um zu erklären, wann und weshalb spezifische antisemitische Strömungen und Diskurse für das Regime handlungsleitend wurden. Der nachfolgende Aufsatz nimmt erstmals das italienische Außenministerium unter Leitung von Galeazzo Ciano als Akteur der Judenpolitik in den Blick. Es geht dabei nicht nur um die Haltung führender Diplomaten zur „Judenfrage“, die von rassistischen Weltbildern, strategischen Überlegungen, einer schwer greifbaren Geisteshaltung des Humanismus, einer zynisch-pragmatischen Kosten-Nutzen-Rechnung, wirtschaftlichen Überlegungen und inneritalienischen Machtkämpfen beeinflusst war. Der Aufsatz zeigt auf, wie verschiedene Zweckbündnisse es dem Ministerium erlaubten, die Judenpolitik des Regimes maßgeblich mitzubestimmen. Diese stete Dynamik der Zweckbündnisse war einer der Gründe, weshalb das faschistische Italien letztlich eine weniger radikale Politik als das Dritte Reich verfolgten, auch wenn die Rhetorik der Faschisten derjenigen der Nationalsozialisten in Nichts nachstand.

 


Frieder Günther, Verfassung vergeht, Verwaltung besteht? Die vier deutschen Innenministerien 1919 bis 1970

 

Welche Kontinuitäten bestanden zwischen der staatlichen Verwaltung der Weimarer Republik, des NS-Staats, der Bundesrepublik und der DDR ‒ und wie unterschieden sie sich? Der Aufsatz versucht, differenzierte Antworten auf diese Fragen zu geben; er stellt die zentralstaatlichen Innenministerien zwischen 1919 und 1970 in den Mittelpunkt und untersucht ihr Personal, ihre Verwaltungsreformpolitik und ihre Verwaltungskultur genauer. Während sich etwa bei der Personalpolitik und beim Selbstverständnis der Mitarbeiter das Innenministerium der DDR deutlich von den übrigen drei unterscheidet, treten bei der Verwaltungskultur teilweise Übereinstimmungen mit dem Reichsinnenministerium der NS-Zeit hervor. Insgesamt wird deutlich, dass es bei Systemwechseln eines politischen Gestaltungswillens bedarf, um die Beharrungskraft moderner Bürokratien zu überwinden.

 


Christina Morina, Zwischen Verdrängung und Vereinnahmung. Der Historikerstreit und die DDR

 

Die hier erstmals veröffentlichte Analyse des sogenannten Historikerstreits, die 1988 in der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit verfasst wurde, zeigt exemplarisch, dass dieser keine rein westdeutsche Auseinandersetzung war. Die zwischen Verdrängung und Vereinnahmung changierende Strategie, mit der Historiker, SED-Führung und Staatssicherheit die Kontroverse medial, wissenschaftspolitisch und geheimdienstlich zu instrumentalisieren suchten, zeigt den spezifischen Umgang mit dem Holocaust in der DDR in einem neuen Licht. Zugleich lenkt sie den Fokus auf die bisher wenig beachtete gesamtdeutsche Dimension einer historisch-politischen Debatte, deren innerdeutsche Konvergenzen und Divergenzen in der politischen Kulturgeschichte der Bundesrepublik weit über die Zäsur von 1989/90 hinaus virulent bleiben.

 


Wolfgang Knöbl, After Modernization. Der Globalisierungsbegriff als Platzhalter und Rettungsanker der Sozialwissenschaften

 

Der Globalisierungsbegriff hat sich seit den 1990er Jahren zu einem zentralen Begriff der Zeitdiagnose entwickelt. Dadurch kommt auch ein geändertes Selbstverständnis der Sozialwissenschaften zum Ausdruck, das es zu reflektieren gilt, will man bei der Verwendung dieses Begriffs problematische Prämissen vermeiden. Der Aufsatz wirft zunächst Schlaglichter auf die frühe Globalisierungsdebatte und fragt nach den Gründen für den schnellen Aufstieg des Globalisierungsdiskurses, bevor dann die theoretischen Konsequenzen der neuen Semantik analysiert werden. Am Ende ist die Frage zu diskutieren, was aus der mittlerweile immer stärker werdenden Kritik am Globalisierungsbegriff folgt, das heißt welche Möglichkeiten sich für die Verwendung etwaiger makrosoziologischer oder -historischer Begriffe überhaupt noch bieten. 

 



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