Heft 4/2018

Aufsätze:

  • Margit Reiter: Anton Reinthaller und die Anfänge der Freiheitlichen Partei Österreichs. Der politische Werdegang eines Nationalsozialisten und die „Ehemaligen“ in der Zweiten Republik. (A)
  • Susanna Schrafstetter: Zwischen Skylla und Charybdis? Münchner Juden in Italien 1933 bis 1945. (A)
  • Nicolai Hannig: Georg Picht. Strategien eines Medienintellektuellen in der westdeutschen Öffentlichkeit. (A)
  • Bernd Rother: Die SPD und El Salvador 1979 bis 1985. Linke Politik im atlantischen Dreieck von Bundesrepublik, Zentralamerika und USA. (A)
  • Wandel der Arbeitswelt – Ökonomische Transformationen, Gewerkschaften und soziale Ungleichheit seit den 1970er Jahren. Ein Graduiertenkolleg als Kooperationsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte, des Zentrums für Zeithistorische Forschung und des Instituts für soziale Bewegungen. (N)

 

 

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Abstracts

Margit Reiter, Anton Reinthaller und die Anfänge der Freiheitlichen Partei Österreichs. Der politische Werdegang eines Nationalsozialisten und die „Ehemaligen“ in der Zweiten Republik

 

Viele ehemalige Nationalsozialisten in Österreich haben sich nach im 1949 gegründeten Verband der Unabhängigen (VdU) und seiner Nachfolgepartei, der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) politisch reorganisiert. Erster Parteiobmann der 1955/56 gegründeten FPÖ wurde Anton Reinthaller (1895–1958), der beim politischen Formierungsprozess der „Ehemaligen“ eine zentrale Rolle einnahm. Im vorliegenden Beitrag wird auf der Basis des bisher noch unbearbeiteten Nachlasses von Anton Reinthaller die politische Karriere des FPÖ-Gründers vom illegalen Nationalsozialist im Austrofaschismus über die Ernennung zum NS-Minister 1938 und seine zahlreichen Funktionen in der NS-Zeit bis hin zu seinem politischen Werdegang nach 1945 dargestellt. Die im Nachlass enthaltenen Korrespondenzen, persönlichen Aufzeichnungen und Gerichtsakten geben nicht nur einen guten Einblick in die Netzwerke und den Binnendiskurs der „Ehemaligen“ nach 1945, sondern ermöglichen auch die Untersuchung von Reinthallers Haltung zum Nationalsozialismus und seiner nachträglichen Selbstpräsentationen. In einer Verschränkung von organisationsgeschichtlichem und biografischem Ansatz wird die Frühgeschichte der FPÖ untersucht und am Beispiel von Anton Reinthaller eine bisher in der Forschung noch wenig beachtete, spezifisch „österreichische“ Täterbiografie vorgestellt, die sich im Spannungsfeld zwischen biografischen und ideologischen Kontinuitäten einerseits und Anpassungsbereitschaft beziehungsweise Anpassungsfähigkeit andererseits bewegte.

 


Susanna Schrafstetter, Zwischen Skylla und Charybdis? Münchner Juden in Italien 1933 bis 1945

 

Warum suchten Juden aus Deutschland Zuflucht im faschistischen Italien? Wann gingen sie nach Italien? Wie erlebten sie das Leben im Exil, in der Internierung und unter deutscher Besatzung? Anhand der etwa 400 Münchner Juden, die im Zeitraum von 1933 bis 1940 nach Italien flohen, zeigt Susanna Schrafstetter, dass Emigration und Flucht nach Italien eng mit der Ausweisung von polnisch-stämmigen Juden aus Deutschland zusammenhing. Ein Großteil der jüdischen Münchner die 1939/40 nach Italien kamen, hatte einen polnischen Pass. Während die meisten ausländischen Juden Italien nach dem Erlass der italienischen Rassengesetze 1938 verließen, waren nicht alle in der Lage von Italien aus in andere Länder zu emigrieren. Die meisten derjenigen, die in Italien blieben bzw. bleiben mussten, wurden mit dem italienischen Kriegseintritt im Juni 1940 interniert. Die Autorin folgt den Münchner Juden in die Internierung und kann zeigen, dass nahezu alle Internierten mit Krankheiten und Schmerzen zu kämpfen hatten. Mit der deutschen Besetzung der italienischen Halbinsel im September 1943 drohte alle Juden die Verhaftung, Deportation und Ermordung. Susanna Schrafstetter untersucht regionale Unterschiede in der Verfolgungspraxis und wirft überdies ein Schlaglicht auf das bisher noch kaum untersuchte Schicksal der jüdischen Mischehepartner im Italien unter deutscher Besatzung.

 


Nicolai Hannig, Georg Picht. Strategien eines Medienintellektuellen in der westdeutschen Öffentlichkeit

 

Georg Picht war in den intellektuellen Debatten Westdeutschlands stets präsent. Er beschäftigte sich mit Bildungs- und Friedenspolitik, Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Bevölkerungsentwicklung und Welternährungskrise. Er schaltete sich in die Arbeit der Behörden ein und übte sich in Politikberatung. Doch der Kern des politischen Engagements Pichts war sein publizistisches Wirken. Picht war in der Medienöffentlichkeit präsent wie nur wenige andere Intellektuelle der alten Republik. Er wurde medialisiert und medialisierte sich selbst. Picht verstand es, die Öffentlichkeit, die er selbst generiert hatte, zu nutzen, um sich einerseits als Ideengeber und andererseits als kompetenter Gestalter zu empfehlen. Seine Medienpräsenz war allerdings nicht nur Strategie und Kalkül. Vielmehr bedeutete sie auch Anpassung und formte den Charakter eines sich neu entwickelnden Typus des Medienintellektuellen. Der Aufsatz zeigt am Beispiel Pichts und seines publizistischen Wirkens, wie sich Intellektuelle in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Medienlogiken anpassten und sich von ihren Produktionsmechanismen vereinnahmen ließen.

 


Bernd Rother, Die SPD und El Salvador, 1979 bis 1985. Linke Politik im atlantischen Dreieck von Bundesrepublik, Zentralamerika und USA

 

Kurz nach dem Sturz der Somoza-Diktatur durch die Sandinisten in Nicaragua im Sommer 1979, kam es Anfang der 1980er Jahren in El Salvador zu einer einmaligen politischen Konstellation: Ein Zusammenschluss von Guerillagruppen, der mit der sozialdemokratischen Partei Movimiento Nacional Revolucionario (MNR) verbündet war, versuchte den Sturz der christdemokratisch geführten Regierung, hinter der die USA standen. Über die gemeinsame Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale wurde die SPD Teil dieses Konflikts und unterstützte den MNR. Sie wollte zeigen, dass sozialrevolutionäre Bewegungen der Dritten Welt (anders als Kuba 1959) Hilfe nicht nur in Moskau fanden, vorausgesetzt, sie bekannten sich zu demokratischen Grundsätzen. Dabei musste sich die SPD innenpolitisch und gegenüber den USA des Vorwurfs des Antiamerikanismus und der Zusammenarbeit mit Linksradikalen erwehren. Die Aktivitäten in Zentralamerika waren Teil einer neuen globalen Strategie der SPD. Im Falle El Salvadors mündete sie schließlich in Bemühungen um eine Verhandlungslösung des Konflikts, auch in Zusammenarbeit mit der christdemokratischen Internationale.

 




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