Das Institut für Zeitgeschichte trauert um seinen langjährigen Mitarbeiter Dr. Jürgen Zarusky, der am 4. März 2019 nach kurzer schwerer Krankheit unerwartet verstarb.
Als Jürgen Zarusky im Jahre 1990 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Institut für Zeitgeschichte eintrat, hatte er gerade bei Gerhard A. Ritter an der LMU über die deutsche Sozialdemokratie und deren Wahrnehmung des sowjetischen Modells von 1917 bis 1933 promoviert. Im IfZ bearbeitete er zunächst die große Microfiche-Edition „Widerstand als Hochverrat“. Indem er hier die Urteile des Reichsgerichts und des Volksgerichtshofs gegen Reichsangehörige dokumentierte, schuf er ein Monument der Geschichte des deutschen Widerstands. Er selbst avancierte rasch zu einem ausgewiesenen Spezialisten für die Geschichte des NS-Regimes, eine Expertise, die er in unnachahmlicher Weise mit den Themen seiner Dissertation verknüpfte. Seine unerschöpfliche Kenntnis der Geschichte der Sowjetunion und des Nationalsozialismus ließ ihn zu einem unbestechlichen Analytiker der Unrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts werden. Sein großes Projekt, eine vergleichende Geschichte der politischen Justiz im nationalsozialistischen Deutschland und in der stalinistischen Sowjetunion, hat ihn bis zuletzt beschäftigt.
Akribische Quellenkenntnis und Wissenschaft verband Jürgen Zarusky stets mit engagierter Empathie. Wie kaum ein anderer verfügte er über einen historischen Seismographen für das Leid in der Geschichte. Historische Gerechtigkeit für und gerechte Erinnerung an die Opfer von politischer Verfolgung und Gewalt im Zeitalter der Diktaturen waren ihm ein genuines Anliegen. Dazu gehörte im Besonderen auch die Arbeit mit Zeitzeugen, die er intensiv betrieb. Entsprechend hat er sich in seiner Wahlheimat, der Stadt Dachau, über viele Jahre hinweg für die KZ-Gedenkstätte engagiert. Und noch im Oktober 2018 organisierte er als Wissenschaftlicher Leiter das Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte über den deutsch-sowjetischen Krieg 1941-1945. Darüber hinaus war er sich nie zu schade, im kleinen Kreis und auf lokaler Ebene präzise wissenschaftliche Informationen zu vermitteln und den Opfern der nationalsozialistischen Diktatur eine Stimme zu geben.
Schon in seiner Studienzeit engagierte sich Jürgen Zarusky bei Amnesty International und etablierte engen Briefkontakt mit politischen Häftlingen in der Sowjetunion. Er lernte Russisch und beherrschte es bald fließend. Als einer der besten deutschen Kenner des Landes verfügte er über eine Fülle an wissenschaftlichen und persönlichen Kontakten nach Russland. Die Verständigung zwischen Deutschen und Russen war ihm eine Herzensangelegenheit. Tatsächlich hat er sich als eine Art Brückenbauer zwischen beiden Ländern verstanden und erfolgreich betätigt, so auch in der Gemeinsamen Deutsch-Russischen Geschichtskommission, der er angehörte.
Seit 2016 war Jürgen Zarusky Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, einen Posten, den er mit großer Umsicht und gewohnter Akribie versah. In allen seinen Funktionen war er ein äußerst beliebter und geschätzter Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte. Dessen Arbeit hat er mit nie versiegender Leidenschaft über fast drei Jahrzehnte hinweg maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Für viele von uns war er nicht nur ein exzellenter Wissenschaftler, sondern auch ein guter Freund, der mit seiner gradlinigen, stets verlässlichen und bescheidenen Art große Sympathien erwarb. Sein vorzeitiger Tod reißt eine unfassbare Lücke und erfüllt uns mit großer Trauer. Wir werden Jürgen Zarusky ein bleibendes Angedenken bewahren.
Andreas Wirsching