Kardinal Faulhabers Tagebücher aus den Jahren 1940 und 1941 gehen online
München/Münster, 11.11.2021. Die Tagebücher des früheren Erzbischofs von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, die seit 2015 in einer Online-Edition zugänglich gemacht werden, sind um zwei weitere Jahrgänge ergänzt worden: Auf der Seite www.faulhaber-edition.de hat das Forscherteam des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin und des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster nun die Jahrgänge 1940 und 1941 freigeschaltet.
Nur wenige Monate nach dem Überfall auf Polen erreicht der Krieg München. Die Stimmung der Bevölkerung ist gedrückt: „Carnevalsdienstag, aber nichts davon zu bemerken“, verrät der Tagebucheintrag vom 6. Februar 1940. Verdunkelung wird angeordnet. Der erste Bombenangriff auf München am 4. Juni 1940 verursacht nur geringe Schäden, doch die „Trichter in der Stadt haben gewaltigen Eindruck gemacht“, wie der Erzbischof wenig später notiert.
Unbeirrt setzt der NS-Staat seinen Kampf gegen die katholische Kirche fort. Die Gestapo nimmt unbotmäßige Priester in Haft oder interniert sie in Konzentrationslagern. Die Nationalsozialisten beschlagnahmen Klöster und andere Ordenseinrichtungen und wandeln sie in Unterkünfte für sogenannte volksdeutsche Umsiedler oder Lazarette um. Der Religionsunterricht in den Berufsschulen wird verboten, Kreuze erneut abgehängt, der Fronleichnamstag 1940 reichsgesetzlich von Donnerstag auf Sonntag verlegt und Allerheiligen ein Jahr später als Feiertag abgeschafft. Gegen diese Maßnahmen wehren sich die deutschen Bischöfe in Eingaben an die Reichsstellen und wenden sich in Hirtenworten an ihre Gemeinden. Auf öffentliche Kritik reagieren die Machthaber dünnhäutig. Generalvikar Buchwieser wird Anfang Februar 1940 von der Polizei bedeutet: „Drei Hirtenbriefe nacheinander … unerträglich. Wenn wieder einmal, dann mit schärfsten Mitteln ohne Ansehen der Person. Ist Befehl von Berlin aus. Es muß alles auf den Krieg eingestellt werden.“ Über den Kriegsverlauf im Osten und Westen ist Faulhaber durch zurückkehrende Feldgeistliche, Soldaten auf Fronturlaub und vornehmlich Besucherinnen, deren Verwandte im Feld stehen, orientiert.
Vernichtungspolitik
Zutiefst beunruhigen nicht nur Faulhaber die sich verdichtenden Nachrichten, dass die Patienten der Heil- und Pflegeanstalten in Tötungsanstalten deportiert und dort ermordet werden. In einer Eingabe an Reichsjustizminister Gürtner vom 6. November 1940 attackiert Faulhaber die „Euthanasie“ als unvereinbar mit dem „christlichen Sittenkodex“ und fordert deren sofortige Beendigung. Doch erst in Reaktion auf die Predigt Bischof von Galens am 3. August 1941 stellen die Nationalsozialisten die zentral organisierte Mordaktion „T4“ ein. Der Massenmord erfolgt nun direkt in den Heil- und Pflegeanstalten: „Es wird nicht mehr abtransportiert, sondern im Hause selber gemacht“, eröffnet der Pfarrvikar der Anstalt Eglfing-Haar Faulhaber am 15. November 1941.
Der Beginn des nächsten nationalsozialistischen Vernichtungsvorhabens offenbart sich dem Erzbischof in München nur Tage zuvor. Am 11. November hält er im Tagebuch fest: „Der Abtransport von 1.200 Juden heute.“ Zwei Tage später heißt es dort: „Das große Gespräch dieser Tage der Abtransport von 1.000 Juden nach Polen bei Nacht und bei Tag. Ich wende mich in dieser Sache an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz.“ Faulhaber regt daraufhin bei Adolf Kardinal Bertram eine gemeinsame Reaktion der katholischen Bischöfe an, doch ein solche unterbleibt.
Das Editionsprojekt
Michael Kardinal Faulhaber hat seit seiner Zeit als Bischof von Speyer Tagebuch geführt und darin seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten festgehalten. Diese Quelle wird im Projekt „Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)“ wissenschaftlich aufbereitet und im Internet unter www.faulhaber-edition.de veröffentlicht. Bisher sind die Jahrgänge 1911-1919, 1933-1939 und 1945-1949 vollständig abrufbar. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Experten entziffern können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf zwölf Jahre angelegte Vorhaben seit dem 1. Januar 2014. Im Projekt arbeiten Historikerinnen und Historiker, Theologen und ein Informatiker interdisziplinär zusammen. Geleitet wird es von dem Historiker Prof. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf von der Universität Münster. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, in dem die Tagebücher verwahrt werden. Die Edition wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen, Emotionen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.