Das Tagebuch Jahres 1949 ist ein erstrangiges Zeugnis der Notlage der frühen Nachkriegsjahre in Bayern. Die fortbestehenden Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln lindert die katholische Kirche u.a. durch die Verteilung von Lebensmittelpaketen, die zu einem beträchtlichen Teil aus dem Ausland stammen. Dem anhaltenden Mangel an Wohnraum, der vorrangig den massiven Kriegsschäden und der Aufnahme von ca. zwei Millionen Heimatvertriebenen seit 1946 geschuldet ist, begegnen die Diözesen mit der Gründung von Siedlungswerken. Gleichzeitig leiden ländliche Diözesen wie Passau und Eichstätt an finanzieller Auszehrung.
Neben diesen überwiegend existentiellen Alltagssorgen treten die überregionalen politischen Entwicklungen im Tagebuch häufig zurück. Das Grundgesetz erwähnt Faulhaber zweimal beiläufig. Über ein Zusammentreffen mit dem frisch gewählten Bundespräsidenten Theodor Heuss, der am 6. Oktober München einen offiziellen Besuch abstattet, notiert der Tagebuchschreiber zufrieden: „Im Goldenen Buch der Stadt hat er sich heute eingetragen nach meinem Namen.“ Dagegen misst der Münchner Oberhirte den Wahlen zum 1. Deutschen Bundestag am 14. August Bedeutung über den parteipolitischen Bereich hinaus bei. Zunächst gelingt es ihm, den Geistlichen Rat Emil Muhler von einer Kandidatur für die CSU abzuhalten. Denn einer solchen Absicht steht das Reichskonkordat von 1933 entgegen, an dem die katholische Kirche festhalten möchte, das aber die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien für Geistliche untersagt. Außerdem gilt es für die katholische Kirche, eine Mehrheit der linken Parteien bei den Bundestagswahlen zu verhindern, was durch die Mobilisierung der katholischen Wählerschaft erreicht werden soll. Den Kampf um die Bekenntnisschule sieht der Erzbischof trotz deren Verankerung in der Bayerischen Verfassung von 1946 noch nicht als entschieden an: „Elternrecht oder Teufelsrecht“ vertraut er am 17. Juni seinem Tagebuch an. In ihrem Hirtenwort vom 29. Juli ermahnen die bayerischen Bischöfe ihre Diözesanen deshalb zur Teilnahme an der Bundestagwahl: „Wahlrecht bedeutet Wahlpflicht!“ Kaum verklausuliert rufen sie zur Wahl von CSU oder Bayernpartei auf, indem sie das „christliche Gewissen“ zum einzig relevanten Maßstab für eine Wahlentscheidung erheben. Aber am Wahltag befällt Faulhaber eine düstere Vorahnung: „Die Straßen sind leer, es wird sich ungünstig an der Wahlbeteiligung auswirken.“