Die justizielle Ahndung nationalsozialistischer Massenverbrechen wird vor allem mit den seit 1963 vor dem Frankfurter Schwurgericht geführten Auschwitz-Prozessen verbunden. Der im Jahre 1958 vor dem Landgericht Ulm geführte Prozess gegen ehemalige Angehörige von Einsatzgruppen hat demgegenüber keine vergleichbare Aufmerksamkeit gefunden, obwohl er politisch und rechtshistorisch von größerer Bedeutung gewesen war: Zum ersten Mal rückte nämlich ein großer Strafprozess die Massenverbrechen an Juden in Osteuropa in das grelle Licht der Öffentlichkeit. Eine der Folgen des Prozesses war u.a. die Gründung einer neuen Ermittlungsbehörde, nämlich der Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.
Das Projekt unternimmt eine detaillierte Anatomie des Prozesses: Es skizziert zunächst die begangenen Morde im Osten im Lichte der neueren „Täterforschung“, untersucht die Karriere der Beteiligten und späteren Angeklagten vor und nach 1945, fragt nach den Grundlagen und Vorläufern des Ulmer Prozesses wie dem Einsatzgruppen-Prozess vor dem Nürnberger Militär-Tribunal ab 1946. Sodann nimmt es das Ulmer Verfahren von 1958 näher in den Blick, analysiert Anklage, Verteidigung, die Rolle von Zeitzeugen, die Reaktionen von Öffentlichkeit und Medien. vor allem jedoch die Interaktion zwischen dem Gericht und den als Gutachtern beteiligten Historikern. Am Ende stand ein Urteil, das auf schwere Versäumnisse der deutschen Justiz in der Aburteilung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen verwies, mit der Einstufung der Täter als bloße „Tatgehilfen“ jedoch eine problematische Rechtsprechung etablierte, die auf einer grundlegenden historischen Fehlwahrnehmung und –interpretation des Holocaust basierte.