Das Klassenfoto: Eine Spurensuche zum Schicksal jüdischer Schulkinder

Tagungstelegramm: Festakt zum 100. Jahrestag der Gründung der Jüdischen Volksschule München

Der Orientalist Karl Süßheim, der jahrzehntelang an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) lehrte, entkam 1941 in letzter Minute der Schoa und emigrierte mit seiner Familie in die Türkei. In den privaten Papieren, die er hinterließ, findet sich ein Foto aus dem Schuljahr 1937/38, das die Klasse seiner älteren Tochter Margot im Innenhof der Jüdischen Volksschule in der Herzog-Rudolf-Straße in München zeigt. In seiner ihm eigenen Sorgfalt notierte der verfolgte Professor auf der Rückseite des Fotos die Namen aller Kinder: der Ausgangspunkt für eine Spurensuche nach deren Schicksalen. Was lässt sich über einen Menschen herausfinden, von dem man zunächst allein den Namen kennt? In einer Übung an der LMU erforschten Kristina Milz und Julia Schneidawind mit 13 Studierenden die Biografien dieser Kinder, von denen viele wie auch ihr Lehrer Ferdinand Kissinger deportiert und ermordet wurden. Aber nicht nur die Tochter des Orientalisten – Margot Suesheim, die ihren Namen amerikanisierte – führte zwischen München, Istanbul und New York ein faszinierendes Leben über 1945 hinaus. Ein Professor der hebräischen Literaturwissenschaft, ein israelischer Botschafter, eine leidenschaftliche Schriftstellerin und Jiddisch-Dozentin wie auch ein Chronist seiner Kindheit und Science-Fiction-Autor: Hinter den Namen auf dem Foto verbergen sich die erstaunlichsten Biografien.

Zum 100. Jahrestag der feierlichen Eröffnung der Jüdischen Volksschule wurde am 16. Mai 2024 im Jüdischen Gemeindezentrum auf dem St.-Jakobs-Platz in München an all diese Menschen erinnert. Der Chor Hasamir der Sinai-Ganztages-Grundschule führte die Veranstaltung festlich ein. Nach Grußworten von Charlotte Knobloch (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern), Michael Brenner (LMU München / American University, Washington D.C.) und Andreas Wirsching (Institut für Zeitgeschichte München–Berlin) skizzierte Eva Tyrell (Kulturreferat – Public History München) die Geschichte der Jüdischen Volksschule München. Kristina Milz (Institut für Zeitgeschichte München–Berlin / Bayerische Akademie der Wissenschaften) und Julia Schneidawind (LMU München) erläuterten die Hintergründe Ihres Forschungsprojekts und stellten die Ausgangsquelle – das Klassenfoto – sowie einzelne Lehrerinnen und Lehrer der Schule vor. In Form einer Lesung von Schülerinnen und Schülern des Helene-Habermann-Gymnasiums insbesondere aus Selbstzeugnissen kamen die auf dem Foto von 1937 abgebildeten Kinder schließlich selbst zu Wort; begleitet wurde die Lesung von einer Foto-Präsentation – die meisten Bilder stammten aus privaten Familienpapieren oder wurden vom Stadtarchiv München zur Verfügung gestellt.

Die Veranstaltung – eine Kooperation des IfZ mit dem Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU München, der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern unter Mitwirkung des Helene-Habermann-Gymnasiums München, des Kulturzentrums der IKG München & Obb. und der Sinai-Ganztages-Grundschule, sowie mit dem Kulturreferat – Public History München – wurde aufgezeichnet.

Hier finden Sie das Veranstaltungsvideo zum Nachschauen:



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