Anna Corsten hat in ihrer Studie analysiert, wie sich in die USA emigrierte Historiker als Grenzgänger zwischen dem amerikanischen und (west)deutschen Wissenschaftsbetrieb nach 1945 darum bemühten, die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (neu) zu schreiben. Damit einher ging häufig eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Schicksal. Die Untersuchung bezieht sich u.a. auf Hans Rosenberg, George Mosse, Fritz Stern, Henry Friedlander, Raul Hilberg und Gerhard Weinberg.
Viele der Akteure gelten heute als Pioniere auf ihrem Forschungsgebiet. Die Studie zeigt dagegen, dass es sich dabei um eine Zuschreibung der letzten beiden Jahrzehnte handelt. Es ist diese Diskrepanz zwischen den Ehrungen der vergangenen Jahre und der langen Marginalisierung dieser Historiker, für die diese Dissertation Erklärungen suchte. Dabei werden Differenzen in der Zielsetzung deutlich, die in Deutschland verbliebene und emigrierte Historiker bei der Aufarbeitung von Nationalsozialismus und Holocaust verfolgten. Während deutsche Historiker das nationale Selbstverständnis in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten über einen möglichst positiven Rückbezug auf die eigene Vergangenheit stärken wollten, ging es den Emigranten um eine lückenlose Aufklärung dieser, um das Demokratiebewusstsein in Gegenwart und Zukunft zu stärken. So ergaben sich unterschiedliche Deutungsweisen von Nationalsozialismus und Holocaust sowie verschiedene Arten, über diese Themen zu schreiben.
Anna Corsten studierte Geschichte, Neuere Geschichte und Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Université de Lausanne. 2020 wurde sie an der Universität Leipzig mit dem Thema „Unbequeme Pioniere. Emigrierte Historiker in der westdeutschen und amerikanischen NS und Holocaust-Forschung, 1945–1998“ promoviert. Zwischen 2016 und 2020 erhielt sie verschiedene Stipendien und Fellowships, etwa der Gerda Henkel Stiftung, des Deutschen Historischen Instituts in Washington D.C., des Vienna Wiesenthal Instituts in Wien und des Zentrums für Holocaust-Studien in München. Seit 2020 ist Anna Corsten wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin. Dort arbeitet sie zum Umgang mit Vermögen der NSDAP und des Deutschen Reichs nach 1945.
Die Preisverleihung fand im Juni 2021 im Rahmen der hybriden Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien/German Association for American Studies (DGfA) statt.