Gilt diese Indienstnahme durch den Propagandaapparat ab 1940 gemeinhin als „Sündenfall" im tragischen Leben eines an sich regimekritischen Künstlers, so wird seine bekannteste Kreation „Vater und Sohn“ bis heute zumeist als eine vermeintlich unpolitische, den innerhalb der Diktatur verbliebenen Freiraum auslotende Gegenwelt wahrgenommen. Wenig geläufig ist, dass der durch die Zeichnungen populär gewordene Künstler sich nicht verweigern konnte, mit seinem realen Sohn Christian als Aushängeschild für die Sammlungen des Winterhilfswerks zur Verfügung zu stehen. Und nahezu unbekannt ist, dass die Popularität der „Vater und Sohn“-Comics auch direkt für die politische Propaganda eingesetzt werden sollte. Der Bibliothek des IfZ wurde kürzlich von einem aufmerksamen Finder im ostwestfälischen Schloß Holte-Stukenbrock als Geschenk ein kleines Faltbüchlein überlassen, das im Vorfeld der Reichstagswahl vom 29. März 1936 anzusiedeln ist und somit im zeitlichen Zusammenhang mit Ohsers Erlangen seiner Berufserlaubnis steht. Unter dem Titel „9x Sozialpolitische Tatsachen“ will der „Wahlkampf-Flyer“ von 1936, für den die Belegschaft des Deutschen Verlages für Politik und Wirtschaft verantwortlich zeichnete, soziale Errungenschaften des Regimes herausarbeiten und gipfelt in einem direkten Wahlaufruf für den „Führer“. Als Illustration dienen jeweils Zeichnungen, die das beliebte Figurenpaar vordergründig affirmativ in der Welt der politischen Propaganda ansiedeln, dabei aber auch, wie Detlef Manfred Müller analysiert hat, mancherlei Distanzierungen und ironische Brechungen enthalten. Für die IfZ-Bibliothek stellt das in der einschlägigen Literatur selten erwähnte, Erich Ohsers Biografie illustrativ bereichernde Stück, wie auch viele andere in den vergangenen Jahrzehnten erhaltene Geschenke, eine wertvolle Bestandsergänzung dar.
Dr. Daniel Schlögl, Leiter der IfZ-Bibliothek