„Heute alles nervös, weil das ruchlose Verbrechen, das Attentat auf den Führer bekannt wurde.“

Kardinal Faulhabers Tagebücher aus den Jahren 1942, 1943 und 1944 gehen online

Die Tagebücher des früheren Erzbischofs von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, die seit 2015 in einer Online-Edition zugänglich gemacht werden, sind um drei weitere Jahrgänge ergänzt worden: Auf der Seite www.faulhaber-edition.de hat das Forscherteam des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin und des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster nun die Jahrgänge 1942, 1943 und 1944, die die NS-Zeit komplettieren, freigeschaltet.

Die Deportation der Münchner Juden, die im November 1941 begonnen hatte, erreicht im Sommer 1942 ihren schrecklichen Höhepunkt. Unter den Augen der Bevölkerung rollt Transport auf Transport gen Osten – fast ausnahmslos in das Konzentrationslager Theresienstadt. Verzweifelte Angehörige wenden sich mit der Frage, „ob gar nichts zu machen sei“ an Erzbischof Faulhaber, der knapp erwidert: „leider nicht“. Der Bitte eines Diplomaten, er solle „gegen die furchtbaren Judenmorde öffentlich auftreten“, entspricht er nicht. Stattdessen hält ihm der Kardinal am 28. Januar 1943 entgegen, dass man keinen Anlass bieten dürfe, sich dem „Vorwurf vom Dolchstoß“ auszusetzen, wie er nach der Kriegsniederlage 1918 von der politischen Rechten gegen die politische Linke erhoben worden war.
 

Staatsstreich
 

Widerstand gegen das Regime lehnt Faulhaber ab. Über den missglückten Anschlag Claus Schenk Graf von Stauffenbergs vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler notiert er am nächsten Tag: „Heute alles nervös, weil das ruchlose Verbrechen, das Attentat auf den Führer bekannt wurde.“ Doch der empörte Erzbischof von München und Freising war im Frühjahr 1943 von Carl Goerdeler aufgesucht worden, was aber keinen Niederschlag im Tagebuch fand. Am 21. August 1944 musste sich Faulhaber eine mehrstündige Vernehmung durch einen Mitarbeiter der Gestapo, der der Besuch Goerdelers bekannt geworden war, im Erzbischöflichen Palais gefallen lassen, wie das Tagebuch belegt. Den Vorwurf, er habe Verbindungen zu den Verschwörern des 20. Juli gehabt, weist er als ehrenrührig zurück. Den Besuch Goerdelers gesteht er zwar ein, weicht weitergehenden Fragen des Gestapo-Beamten jedoch meist aus, wie einem von ihm noch am selben Tag angefertigtem Gesprächsprotokoll über seine Vernehmung zu entnehmen ist. Außerdem hatte der Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke im Jahr 1942 den Kontakt zu Faulhaber gesucht, wie der Tagebucheintrag vom 16. Mai 1942 und ein kryptisches Gesprächsprotokoll vom 15. Oktober 1942 zeigen.
 

Krieg
 

Exemplarisch geben die Tagebücher der Jahre 1942 bis 1944 Auskunft über den Kriegsalltag der deutschen Bevölkerung. Das Jahr 1942 verläuft für die überwiegende Mehrheit der Einwohner Münchens vergleichsweise ruhig, gestört nur durch vereinzelte Fliegerangriffe. Gedanken über eine mögliche Kriegsniederlage weist der Erzbischof zurück. Einen Besucher belehrt er am 10. Januar 1942 mit den Worten: „Man muss um Schutz für das Vaterland bitten nach dem Willen Gottes, Niederlage darf man nach dem Vierten Gebot nicht wünschen … .“ Bedrückende Nachrichten erreichen Faulhaber aber durch Angehörige von Soldaten. Beispielsweise erzählt ihm eine Mutter, dass ihr Sohn „von der Ostfront wie einen Abschiedsbrief geschrieben“ habe. Im Laufe des Jahres 1943 nehmen die Luftangriffe auf München und Umgebung zu und bewirken beträchtliche Schäden. Doch erst im Jahr 1944 vergeht kaum ein Tag ohne Luftalarm für die schwer getroffene Landeshauptstadt. So notiert Faulhaber am 18. März: „München, Fliegerüberfall … über 300 Tote. Viele Verwüstungen.“ Am 25. April heißt es im Tagebuch: „1.00 Uhr Sirene zum Alarm für den furchtbaren Überfall, in der Hauptsache Brandbomben auf München. In drei Wellen. (…) Ordinariat ausgebrannt.“ Und am 22. November hält der Erzbischof fest: „Der Unglückstag für den Dom, schwer beschädigt, und für Sankt Michael, auch für Damenstiftskirche und Herzogspitalkirche.“ Den gefährlichsten Teil der Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen mussten Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau übernehmen. Schon am 21. Juli hatte Faulhaber in seinem Tagebuch vermerkt: „Heute endlich der Blindgänger in der Promenadestraße beseitigt, das heißt entleert. Dachauer lösten einander ab.“ Resigniert vertraut er am 25. Dezember seinem Tagebuch an: „Christtag unter Trümmern und Bomben.“
 

Das Editionsprojekt
 

Michael Kardinal Faulhaber hat seit seiner Zeit als Bischof von Speyer Tagebuch geführt und darin seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten festgehalten. Diese Quelle wird im Projekt „Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911–1952)“ wissenschaftlich aufbereitet und im Internet unter www.faulhaber-edition.de veröffentlicht. Inzwischen sind die Jahrgänge 1911–1919 und 1933–1949 vollständig abrufbar. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Experten entziffern können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf zwölf Jahre angelegte Vorhaben seit dem 1. Januar 2014. Im Projekt arbeiten Historikerinnen und Historiker, Theologen und ein Informatiker interdisziplinär zusammen. Geleitet wird es von dem Historiker Prof. Dr. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Kirchenhistoriker Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf von der Universität Münster. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, in dem die Tagebücher verwahrt werden. Die Edition wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen, Emotionen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.

 



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