Eine zentrale Fragestellung der Konferenz galt der schwierigen Publikationsgeschichte von Hilbergs Monumentalwerk "The Destruction of the European Jews", das bis heute als Standardwerk der Holocaust-Forschung gilt und von seinem Autor bereits 1955 in der Erstfassung fertiggestellt worden war. Dauerte es bereits in den USA mehrere Jahre, bis das Buch 1961 erschien, wurde eine deutsche Übersetzung erst 1982, also mehr als 20 Jahre später veröffentlicht. In anderen Ländern, darunter Frankreich, Spanien und Israel dauerte der Prozess noch länger. Der Berliner Historiker Götz Aly warf in einem Vortrag insbesondere dem Institut für Zeitgeschichte vor, in der Vergangenheit die Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung durch zwei wissenschaftliche Gutachten ausgebremst zu haben. Aly bezog sich dabei auf ein bereits seit einigen Jahren bekanntes und nur unvollständig erhaltenes Gutachten aus den 1960er Jahren, das sich zwar positiv über das Hilberg-Buch äußert, eine deutsche Übersetzung aber nicht empfiehlt (Originaltext des Gutachtens hier). Auch ein Gutachten von 1980 sprach sich gegen eine Übersetzung aus (Originaltext des Gutachtens hier). Der Stellvertretende Direktor des IfZ, Magnus Brechtken, rückte die Enthüllungsrhetorik, mit der Aly seinen bereits im Vorfeld über mehrere Medien lancierten Vortrag garniert hatte, zurecht: Selbstverständlich sei Aufklärung geboten, warum eine Übersetzung von Hilbergs Arbeiten wiederholt auf Widerstände gestoßen sei. Dafür sei eine präzise Quellenauswertung und Kontextualisierung notwendig. Das IfZ setze auf völlige Transparenz.
Schon 2015 hatten Frank Bajohr und Andrea Löw vom Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in ihrem Sammelband "Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung" die distanzierte Resonanz in Wissenschaft und Verlagen gegenüber Hilbergs Buch herausgearbeitet und dabei auch auf das IfZ-Gutachten aus den 1960er Jahren verwiesen. Wie der weitere Verlauf der Tagung deutlich machte, blieb die Erforschung des Holocaust im Zeitgeist der Nachkriegsjahre für die Geschichtswissenschaft lange ein blinder Fleck. Man meinte zu wissen, ohne, wie es Hilberg getan hatte, präzise nach Tätern zu forschen und diese auch zu benennen.
Zum produktiven Verlauf der Tagung trugen auch zahlreiche Vorträge von IfZ-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei: Magnus Brechtken referierte über "Raul Hilberg, Christopher Browning und die Holocaust-Konferenzen von San Jose bis Stuttgart", Andrea Löw trug über "Raul Hilbergs Bewertung der Judenräte im Lichte der neueren Forschung" vor. Susanne Heim, Mitherausgeberin der großen Edition "Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden" beleuchtete das Thema "Raul Hilberg und die Dokumente der Täter". Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am IfZ moderierte das Panel zu Hilbergs frühen Jahren und bestritt gemeinsam mit Christopher Browning, Norbert Frei, Saul Friedländer und Elisabeth Gallas die Abschlussdiskussion.
Ein ausführlicher Tagungsbericht folgt, das komplette Programm der Tagung finden Sie hier.