utsc\le Moc\lag, 5. Fee vas 1996 dde SU nterview Die Fragen stellte Ekkehard Müller- Jentsch Photo: privat Der Rechtsschutz wird erheblich reduziert Dr. Gerhard Reichel Präsident des Verwaltungsgerichts München Das Verwaltungsgericht ist der Ort, an dem jeder Bürger um sein Recht kämpfen kann, der mit Ämtern und Behörden im Streit liegt. Nun plant die Bundesregierung tiefgreifende Einschnitte in die gewachsene Struk- tur und das Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung. Die SZ sprach mit dem Vorsitzenden des Ver- bandes der Bayerischen Verwaltungs- richter und Präsidenten des Verwal- tungsgerichts München, Gerhard Rei- chel, was die bevorstehende Reform den Münchnern bescheren wird. SZ: Wird die bevorstehende Geset- zesänderang nur die Arbeit der Richter betreffen oder auch in das Recht des einzelnen Bürgers eingreifen? Reichel: Der Rechtsschutz wird ganz erheblich reduziert. Man kann von einem drastischen Eingriff in un- ser Rechtsmittelsystem sprechen. So sollen etwa die Berufungsverfahren erheblich eingeschränkt werden. SZ: Wenn jemand seine Klage in erster Instanz verliert, also beispiels- weise vor Ihrem Gericht, kann er bis- her aus eigenem Antrieb beim Bayeri- schen Verwaltungsgerichtshof Beru- fung einlegen. Soll uns allen diese Freiheit, die derzeit nur in Asylverfah- ren eingeschränkt ist, genommen wer- den? Reichel: Ja, eine Berufung soll nach der Gesetzesänderung nur noch mög- lich sein, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, dem VGH, zugelassen wird. Die erste Instanz wird unter Umständen also künftig schon die letzte sein. Nur bei ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Erstur- teils wäre der VGH aufgerufen, die Berufung zuzulassen, wobei das Beru- fungsgericht - vorsichtig ausgedrückt - ein sehr weites Ermessen hätte. SZ: Dadurch würde dem Bürger ja auch die Möglichkeit genommen, beim Bundesverwaltungsgericht Revision zu beantragen. Reichel: Ja. Aus der Sicht des Bür- gers wird der Rechtsmittelzug, der heute perfekt ist, ganz erheblich ge- kürzt. SZ: Was würde sich durch die Geset- zesänderung am Verhältnis Gericht/ Behörde ändern? Reichel: Dieser Gesichtspunkt ist für den Bürger fast noch bedenklicher. Hat ein Amt oder eine Behörde Form- oder Verfahrensfehler begangen, führt das nach heutigem Recht zur Aufhe- bung des umstrittenen Verwaltungs- akts. Der Gesetzentwurf sieht aber vor, daß in solchen Fällen das Gericht künftig verpflichtet wäre, der Verwal- tung Gelegenheit zu geben, diesen Feh- ler zu heilen. SZ: Der Richter als Rechtsberater der Behörde . . .? Reichel: Letztlich ja. Wenn das Ge- richt diese Verpflichtung nicht wahr- nehmen würde, wäre es daran gehin- dert, den eigentlich rechtswidrigen Verwaltungsakt aufzuheben. Unsere Neutralitätspflicht wäre also in Frage gestellt. Dieser Punkt wird in Kolle- genkreisen natürlich sehr negativ ge- sehen. SZ: Das Gericht Hand in Hand mit der Behörde - eine schlimme Vision. Reichel: Aus Sicht des Bürgers wür- de unsere Objektivität erschüttert. SZ: Rüttelt das Bild des Gerichts als Reparaturbetrieb der Verwaltung nicht an den Grundfesten des Rechts- schutzes? Reichel: In vielen Bereichen, ohne Zweifel! SZ: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen amtliche Ent- scheidungen soll ebenfalls einge- schränkt werden? Reichel: In 25 Bereichen soll diese aufschiebende Wirkung durch Geset- zeskraft sogar ausgeschlossen werden. Der wichtigste Bereich ist das gesamte Baurecht. Wenn beispielsweise ein Nachbar Widerspruch gegen einen Neubau einlegen würde, hätte das zu-. nächst keine Folge - es dürfte gebaut werden. Dem Bürger wird zugemutet, bei Gericht die aufschiebende Wirkung erst zu erstreiten. Normalerweise schafft man das nicht ohne Anwalt. Der Sinn dieses Katalogs ist es, daß in investitionsbedeutsamen Bereichen - Stichwort Wirtschaftsstandort Deutschland - möglichst rasch gebaut werden kann, was die Behörden gestat- ten. Das gilt auch für die Planfeststel- lungsbeschlüsse von Bundesfernstra- ßen, Flughäfen, Eisenbahnen und Bundeswasserstraßen. SZ: Zu diesen schlechten Nachrich- ten paßt die Überlegung der bayeri- schen Staatsregierung, die Landesan- waltschaft abzuschaffen. Reichel: Die Diskussion um die Lan- desanwaltschaft ist leider noch nicht ausgestanden. Dem Gedanken ihrer Abschaffung stehen wir sehr skeptisch gegenüber. Wir haben in der Landes- anwaltschaft einen sehr professionel- len Ansprechpartner, der - anders als viele Behörden - über die notwendigen forensischen Erfahrungen verfügt und damit wirklich zur Prozeßbeschleuni- gung beiträgt. Insgesamt plädieren wir dafür, die Landesanwaltschaft zu er- halten.

Koitier Stadt Anzeiget — 52 —Freitag, 1 Mau 1996 Be keinen Streit vermeiden Die Münchner Feministin Hannelore Mabry, 65, hat sich immer mit allen angelegt: Den Männern hat sie's sowieso gegeben, aber auch gegen Emanzen und Lesben wetterte sie. Ihr resignatives Fazit: »Noch immer gibt's die Unterdrückung der Frau« PORTR T Eine Feministin, die den „Patriarchalinnen" zürnt Hannelore Mahl', Münchner Einzelkämpferin, tritt seit mehr als 25 Jahren vehement für Frauenrechte ein ic ist „eine Mischung aus Mis- sionarin und Politikerin, aske- tisch-genügsam, fanatisch, arbeits- wütig, streitfreudig, witzig, mit einem scharfen politischen Ver- stand, manchmal verzweifelt um die sprachliche Formulierung ihrer Gedanken kämpfend." Hannelore Mabry (65) findet diese freundli- che Charakterisierung ihrer Per- sönlichkeit derart treffend, daß sie den Ausschnitt aus der „Basler Zeitung" Journalisten. die sie per- sönlich aufsucht, uni für ihr Anlie- gen zu werben, in die Hand drückt. Die Diplom-Soziologin mit Schauspielausbildung zählt seit mehr als einem Vierteljahrhundert zu den engagiertesten Vorkämpfe- rinnen für die Rechte der Frauen, aber auch der Kinder. Sie spricht von der „Neuen Frauenbewe- gung", die sie nicht zuletzt als die ihre ansieht. 1971 gründete sie in München ein Frauenforum. an dem sich zunächst auch so kämpfe- rische Naturen wie Petra Kelly oder Trude Unruh beteiligten; nach Mabrys Angaben mit 450 Mitgliedern 1975/76 „die größte feministische Organisation. die es in der neuen Frauenbewegung je lin" bleibt, behauptet Mabry, deren ganz besondere Feindinnen („Arschlöchinnen!") in der Gleich- stellungsstelle der bayerischen Landeshauptstadt sitzen. Die zur hartnäckigen Einzel- kämpferin gewordene „Eiserne Lady" begreift ihren Gegensatz zur Mehrheit der Frauenbewegung als grundsätzlichen Unterschied: „Die greifen mich natürlich an, weil ich ihnen das Männer-Feinbild weg- nehme." Auf ihren Veranstaltun- gen sind Männer ausdrücklich will- kommen. Für die ist der Mann nicht von Natur aus ein Vergewal- tiger, „weil er einen Penis hat". Be- wußt hat Hannelore Mabry ihrer Zeitschrift, die sie weitgehend ei- genhändig anfertigt. den männli- chen Titel „Der Feminist" gege- ben. Eine Feministin oder ein Femi- nist sind für die Mutter einer er- wachsenen Tochter heute nicht mehr Frauenrechtler im hergeb- rachten Sinn, sondern Kämpfer für das ..Kinderrecht". Bisher diene Kindererziehung weitgehend nur dem Zweck, die Kinder „abzu- richten". Um die Erziehung müß- ten sich die Männer genauso küm- „Die greifen mich an. weil ich ihnen das Alärmer-Feind- bild weg- nehme”: Ilan-zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA ulore Mahn. (Bild: Martha Schlüter) Dr )ch, es gab auch glückliche Augen- blicke im Leben der Frauenrechtle- in Hannelore Ma- hry, 65. Beispielsweise im vorigen August, als sie - wie jeden Samstag seit zwanzig Jahren - an ihrem »Femini- sten«-Werhestand in der Münchner Fußgängerzone über die Diskriminierung der Frau diskutierte und ein fremder Mann ihr eine rote Rose überreichte. »Sie ha- ben mich vor sechs Jahren mal Pestheule genannt«, er- klärte er charmant. Ihre Meinung über die Ge- schlechter teile er zwar im- mer noch nicht, gestand der späte Verehrer, aher er be- wundere inzwischen wenig- stens ihre Standfestigkeit. Zeigefinger, sei ihr Schick- sal das beste Beispiel. Erst vor kurzem verlor die resolute Münchnerin nach sechs Jahren in letzter In- stanzeinen Prozeß gegen die Stadt, die ihr nicht einmal 51 900 Mark für den Aufbau eines eigenen Frauenarchivs zahlen will, »wo selbst das Lesbentelefon hier mit 62000 Mark bezuschußt wird«. Für die Klägerin mal wieder ein schlagender Be- weis, daß das Gericht ein »Dreckstall« ist und das Rat- haus ein Ort »düsterer Ma- chenschaften«. In der studentischen Auf- bruchstimmung der sechzi- ger Jahre, als der Frankfurter »Weiherrat« gegen die »bür- gerlichen Schwänze« ihrer sozialistischen Genossen opponierte und der Slogan »Schwestern vereinigt Euch« gewaltig durchs Land brauste, sammelte die Alt- studentin Mahry, Tochter der Berliner Frauenrechtle- rin Hanna Fromme, in Mün- chen erstmals Gleichgesinn- te um sich. Sie erinnert sich noch heute stolz daran, daß sie mit so prominenten Frau- en wie Petra Kelly, Trude Unruh und Alice Schwarzer über den Paragraphen 218 und die »Durchsetzung ei- ner weiblichen Kultur« dis- kutierte. Hannelore Mahry (auch unter ihrem Pseudonym Lo- reley Katz bekannt) gehörte damals zu den Ältesten der Szene. Eine Frau mit Le- benserfahrung. Die alleiner- ziehende Mutter, zweimal geschieden, hatte mit 36 Jah- ren ihren ersten Beruf als Schauspielerin aufgegeben, um Soziologie zu studieren. In ihrer Diplomarbeit be- schäftigte sie sich mit der »Relevanz weiblicher parla- mentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau«. Das kritische Werk über die weibliche Ohnmacht im bay- rischen Landtag erschien unter dem griffigen Titel »Unkraut ins Parlament« als Buch und wurde im folgen- den Wahlkampf gern zitiert. 1971 rief die Autorin das »Frauenforum« ins Leben. das sich kurzfristig zur größ- ten feministischen Gruppe in der Bundesrepulik ent- wickelte, bis Mitschwestern gegen das autoritäre Regime ihrer Vorsitzenden revol- tierten. Die weibliche Alli- anz zerbrach. Hannelore gab". Doch den Weg durch die In- stitutionen oder über Parteien in die Parlamente ist nicht ihre Sache. „Die eine Hälfte der Frauen bliebe draußen", meint sie und be- gründet dies mit ihrer Theorie vom „Patriarchat", an der sich die Geister scheiden: Patriarchat be- deute nicht Männerherrschaft, sondern „das System der Gewalt, in dem das »Recht« des Stärkeren (körperlich, geistig. ökonomisch) Gesetz ist". Also gebe es auch „Pa- triarchalinnen" — in Parteien, Ge- werkschaften. Kirchen und „vor allem in der Familie". Feminismus ist für sie in erster Linie die Bewegung zur Abschaf- fung des Patriarchats. Das aber kann nicht gedeihen, weil die Mehrheit der Frauen „Patriarcha- mein wie die Frauen. Gemeinsam seien sie aufgerufen. „dieses Sy- stem der Gewalt", also das Patriar- chat. abzuschaffen. Das „Bayerische Archiv der Frauenbewegung", in dem die Ge- schichte der „Neuen Frauenbewe- gung" dokumentiert werden soll, betrachtet Hannelore Mabry als ihr Lebenswerk. Seit 1989 kämpfte sie um einen Zuschuß der Stadt von knapp 52 000 Mark, der genehmigt, dann aber wieder ge- strichen wurde. Eben hat sie vor Gericht in letzter Instanz verloren — und muß 10 000 Mark Ge- richtskosten aufbringen. Für ihre Sache aber kämpft Hannelore Mabry weiter. Sie ist kein Typ, der aufgibt. Rolf Linkenheil Alt-Feministin konsequent tot. Bei einer Frauentagung des DGB wurde ihr das Mi- krofon ausgeschaltet. auf ei- ner Hamburger Frauenwo- che trug frau sie mit gemein- samer Anstrengung hinaus, und im Münchner Frauen- buchladen hat sie Hausver- bot. Im städtischen Frauen- Führer der obersten amtli- chen Frauenbeauftragten Schrevögg fehlte ihr Name anfangs völlig. die Eintra- gung erkämpfte sie sich schließlich per Gericht. ogar die Polizei fürchtet die streit- freudige Feministin. Vor dem Papstbe- such 1987 in Mün- chen wurde sie zur Vorsicht festgenommen. als sie mit einigen Anhängerinnen auf der vorgesehenen Route des Oherhirten »probeweise« ein Spruchhand mit der Warnung »Schützt Kinder vor Allmächtigen« entrollte. Was Frau Mahrs' dabei he- sonders empörte: Im Polizei- gewahrsam mußte sie sich nackt einer Leihesvisitation unterziehen. Nach vierjäh- rigem Prozeß kassierte sie für den widerrechtlichen Strip vor der Staatsgewalt immerhin 750 Mark Sämer- zensgeld. Das gerade verlorene Ver- fahren um Zuschüsse für das geplante »Bayerische Ar- chiv. der Frauenbewegung- ( BAF) hat aber nun offen- sichtlich ihre Kampfkraft ge- schwächt. Für weitere Pro- zeßserien reiche die Rente nicht, meint die 65jährige. Es werde auch immer schwerer. geneigte Rechtsanwälte zu finden. Ihrem letzten entzog sie das Mandat. weil er im Prozeß auch mal zu Wort kommen wollte. Der arme Mann ist »trotzdem kein Patriarch geworden«, sagt er. Aber seine Bewunderung gelte nun doch eher der neuen Emanzengeneration: »Die sind stolz. hübsch. klug. kriegen sogar Kinder - und ihren Willen.« FIRIGITTE ZANDER Gewerkschafterinnen nannte sle schon mal »DGB-Huren«, Glelchstellungsbeauftrage mAllbtfrauen.: Hannelore Mabry Mahry sprach von »beleidig- ten Leberwürsten«, und konzentrierte sich mit dem verbliebenen Resttrupp ih- rer Fans auf die Verkündung ihrer eigenwilligen Theorien am Werbestand und in ihrer Zeitschrift »Der Feminist«. Darin unterscheidet die eifernde Wis.senschaftlerin fein zwischen Unterdrük- kern »mit und ohne Schwanz«: den Patriarchen und Patriarchalinnen. Der Marxismus und das Chri- stentum sind für sie gleicher- maßen Bollwerke der Män- nerherrschaft - und Gleich- berechtigungsbeauftragte folglich die »Alibifrauen« im vermaledeiten System. Beim Papst. hc.sucli warnte SiP: -Schutzt Kin«. Aliträchtigen seats weiblicher Solidaritäts- bewegungen. So stufte die schrille Dame die Lesben- scene in einer ihrer vielen Streitigkeiten als »miesen Sexismus« und »Philosophie aus den Schamlippen« ein. Wackere Gewerkschafterin- nen bezeichnete sie als »DGB-Huren«. die Münch- ner Gleichstellungsbeauf- tragte Friedel Schrevögg als »Arschlöchin«. An dieses männliche Kompliment erinnert sie sich noch heute »voll Freu- de«. Denn mit Anerkennun- gen ist der Lebensweg der bayerischen Alt-Feministin nicht gepflastert. Nach 25jährigem zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA verbissenem Kampf um weibliche Rechte muß die drahtige Rentnerin mit den schulterlangen wei- ßen Locken sogar zugehen: »Den Durchbruch habe ich nicht erreicht. Noch immer gibt's die Unterdrückung der Frau.« Und dafür, sagt Frau Mabry mit erhobenem it dieser eigen- willigen Variante feministischer Ideologie setzte sich die Soziolo- gin »erst mal zwischen alle Stühle«. Ihre penetrante Re- dewut und ihr verblüffender Schatz an Verbalinjurien brachte Hannelore Mahry mit der Zeit völlig ins Ah- Solche Formulierungs- kunst bringt einer puhlicity- freudigen Kämpferin schon gelegentlich die ersehnten Schlagzeilen, aber sie weckt auch Rachegefühle. Alice Schwarzers »Emma« (Zeit- schrift von Frauen für Men- schen) schweigt die rigide