Der Feminist, 1993 Jg. XVI Nr. 23

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Inhalt / Impressum
In eigener Sache
Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt!
Die Antiquiertheit des Günther Anders
"Feministin zwischen allen Stühlen"
Hannelore Mabry
Mutter und Kind
Hannelore Mabry
Feministische Literaturkritik
Die frustrierenden Bemühungen um eine müde Mark
Werbung des Verlags C.H. Beck
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. 001 - lqq3199 Erscheinungsort: München, Nr. 1/93 XVI. Jahrgang ISSN 0179-8367 OCR fiMINIST Beiträge zur Theorie und Praxis INHALT In eigener Sache "Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt" Die Antiquiertheit des Günther Anders "Feministin zwischen allen Stühlen" Mutter und Kind Feministische Literaturkritik Seite 1 2- 3 4-31 32-33 34-35 36-37 Die frustrierenden Bemühungen um eine müde Mark... 38-39 Werbung des Verlags C.H. Beck Informationen 40 41-42 Redaktion: Inhaber und Verleger: DER FEMINIST, Christrosenweg 5 81377 München, Tel. 089-7149187 Postgiro München, Kto-Nr. 28035-804, BLZ 70010080 Förderkreis DER FEMINIST (FF) (nicht eingetragener Verein, München) Anschrift siehe Redaktion Mitarbeiterinnen dieser Ausgabe: Gudrun Haas, Hannelore Mabry, Claudia Streit Photonachweis: Rainer Wohlfahrt Layout: Druck: Nachdruck: Information: Lorley Katz Buchdruckerei und Verlag M. Saupe & Co., Lerchenauer Str. 158, 80935 München Auch auszugsweise nur mit Quellenangabe und Belegexemplar Für Beiträge im FEMINIST wird kein Honorar bezahlt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte bitten wir Rückporto beizufügen. Hinsichtlich Bestellungen, Preis- und Abobedingungen (auch früherer Ausgaben) --> siehe Seite 42 Buchhandlungen, die den FEMINIST führen --> siehe Seite 41 sowie im Bayerischen Archiv der Frauenbewegung, 81669 München, Lilienstr. 4 , drei Minuten vom Gasteig. Dort bieten wir auch jeden Freitag 18-20 Uhr eine Geschichtswerkstatt an - Gäste willkommen --> siehe Seite 39 Verantwortlich für Redaktion, Vertrieb und Anzeigen: Hannelore Mabry (Geschäftsführerin) Anschrift siehe Redaktion

In eigener Sache In dieser Ausgabe sollte eigentlich "Ein langer Blick zurück in Freude, Liebe Wehmut und Zorn", Teil III (1987 bis 1993) erscheinen. Wie wir unten genauer begründen, haben wir unsere Absicht geändert. Nun, die Dokumente unserer Vereinsgeschichte lagern in- zwischen im Bayerischen Archiv der Frauenbewegung und können von denen, die sich eines Tages mit der Geschichte der Neuen Frauenbewegung beschäftigen wollen, eingesehen und aufgearbeitet werden. Nach wie vor befinden sich hier umfangreiche und wert- volle Sammlungen und Materialien, die der archiva- lischen Aufarbeitung harren. Doch, wie bereits in der letzten Ausgabe berichtet, weigert sich die Stadt München, uns mit der Finanzierung von zwei Arbeitskräften zu unterstützen, weshalb wir am 17.3.1992 einen Prozeß beim Verwaltungsgericht München angestrengt haben. Durch Anruf erfuhren wir, daß vor 1994 "wegen Überlastung des Gerichts" nicht mit dem ersten Verhandlungstermin zu rechnen ist. Nähere Einzelheiten zu unseren "frustierenden Bemühungen um eine müde Mark" lesen Sie bitte die Seiten 38 und 39. Und nun zum veränderten Thema dieses FEMINIST: Hannelore Mabry ist sehr daran gelegen, ihre bereits seit den 70er Jahren geführte Auseinandersetzung mit der philosophischen Linken fortzusetzen. Zehn Jahre nach ihrem Briefwechsel mit Herbert Marcuse (s. FEMINIST Nr. 7 "Alle sind zur Philosophie berufen - oder das Proletariat heute") wendete sie sich 1985 an den berühmten Philosophen des Atomzeitalters Günther Anders. Was sich aus dieser Kontaktauf- nahme entwickelte, füllt im wesentlichen diese Num- mer. Günther Anders war der Ansicht, daß die Ret- tung der Menschheit angesichts der atomaren Bedro- hung Vorrang vor allen anderen gesellschaftlichen Fragen (Klasse, Rasse, Geschlecht) beansprucht. Diese Meinung teilt Hannelore Mabry nicht: Ohne einen politischen Feminismus wird der Militarismus niemals abgeschafft! Weil wir eine öffentliche Diskussion dieser Fragen für bitte notwendig halten, fordern wir unsere Leserinnen hiermit auf, uns per Zuschrift ihre Meinung kundzutun. Alle Leserbriefe zum Thema werden im nächsten FEMINIST abgedruckt werden. Ausdrücklich möchten wir noch auf die Karikatur des russischen Zeichners V. Syssoiev hinweisen, des- sen bildliche Kommentare zum Thema ihm noch zur Zeit der "kommunistischen" Diktatur zwei Jahre Haft einbrachten. Wir bitten die nicht ganz einwandfreie Qualität der Reproduktion zu entschuldigen, aber die Zeichnung ist einem Samisdat-Druck (Untergrundzeitung) entnommen. Nur noch ein Beitrag dieser Ausgabe bedarf einer kurzen Erläuterung. Auf den beiden nächsten Seiten finden Sie ein Flugblatt, daß zu einer außergewöhn- lichen Demonstration mit Schlußkundgebung am Odeonsplatz aufruft. Anlaß war der sechzigste Jah- restag von Adolf Hitlers Machtergreifung. Die Vor- bereitungen für diese Aktion waren außerordentlich aufwendig: Unsere Gruppe verteilte 1.500 Flugblätter, klebte in der ganzen Stadt Plakate, nähte ein 8 Meter langes Transparent und organisierte einen Lautspre- cherwagen. An einem ganztägig besetzten Infostand am Sendlinger Tor wurde die Bevölkerung pausenlos über Megaphon zum Mitdemonstrieren aufgefordert. Doch erlitt die Organisatorin kurz bevor sich der Zug in Bewegung setzen sollte eine schwere Kolik. Sie mußte mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus ge- bracht werden. So kam es, daß Hannelore Mabry zum erstenmal in ihrem 25jährigen politischen Kampf gegen das Patri- archat eine geplante Aktion nicht in die Tat umsetzen konnte. Dies war für sie besonders schmerzlich, da ihr gerade die Aufarbeitung des faschistischen Ge- waltsystems seit ihrem 15. Lebensjahr ein äußerst wichtiges Anliegen ist. Eine irregeführte deutsche Ju- gend war genug! Aber diese Demonstration war nicht ihr einziger Bei- trag zu dem Jahr "München und der Nationalsozialis- mus". Sie begann im Juli mit ihrer Vortragsreihe über Frauenrechtlerinnen vor, während und nach dem Na- tionalsozialismus, die noch bis einschließlich April 1994 laufen wird. Die weiteren Termine entnehmen Sie bitte dem nachstehenden Programm. Alle ge- schichtsinteressierten Frauen und Männer sind herz- lich eingeladen. nstitut für Zeitgeschichte ARCHIV Freitag nicht nur für Frauen Kommen Frauen eigentlich in der Ge- schichte vor? Doch ja, Kleopatra! Aber auch die nur als Fußnote zu Cäsar. Geschichte„ auch Münchner Geschichte, ist nach wie vor die von Männern, ob Ludwig II., Hitler, Karl Scharnagel. Thomas Wim- mer etc. Dem hat Hannelore Mabry(Foto: E. Winkler) etwas entgegen zu setzen. Die 62jährige Soziologin, die nichts gegen Männer hat, erin- nert in einer Reihe an Mädchen- und Frauenschicksale, die mit der Zeit vor, während und nach dem Nationalsozialismus eng verknüpft sind. Ihr Programm, immer freitags: 17.9.93 Paula Silber-von Grote, stv. Vorsitzende der Nazi-Frauen- schaft, die berits 1933 2 Mio. Mitglieder hatte 22.10.93 Maria Deku, Mitglied des Bayer. Landtags bis 1948 19.11.93 KunigundeSchwab-Schuhmann, arbeitete die Bayer. Ver- fassung mit aus 17.12.93 Maria Günzl, SPD-Abgeordnete bis 1962 21.1.94 Gertrud Bäumer, gab u.a. die Zeitschrift "Die Frau" heraus 18.2.94 Freda WuesthofT, erste dt. Patentanwältin u. Gegnerin der ato- maren Wiederaufrüstung 18.3.94 Lorley Katz. Rottenführerin bei den "Jungmädels", 1944 auf den Führer vereidigt 22.4.94 Zusammenarbeit von politischen Feministinnen Wo + Wann: Im Bayer. Archiv der Frauenbewegung, Lilienstr.4 (drei Min. vom Gasteig), jeweils 18 - 20 Uhr -1

Kommt alle zur D E M O N S T R A T I ON am SAMSTAG, 30. JANUAR 1993, Start: 17 UHR am SENDLINGER TORPLATZ in MÜNCHEN unter dem Motto: Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt! • .111•. ,. idlh weltweit: tic Die Waffen nieder! Der Demonstrationszug geht über den Oberanger und Rindermarkt sowie die Diener- und Residenzstraße zum ODEONSPLATZ. Dort findet von 18 UHR 30 - 20 UHR die SCHLUßKUNDGEBUNG statt. Es spricht zuerst die Veranstaltungsleiterin Hannelore Mabry. Danach dürfen Kinder und Jugendliche, Mütter und Väter, In- und Auslän- derInnen eine 1 - 3 minütige Rede darüber halten, was sie selbst dafür tun möchten, damit wir unserem Demonstrationsziel zumindest etwas näherkommen können. Selbstbesorgte Fackeln und selbstgefertigte Transparente, die das Motto wiederholen oder es ergänzen bzw. sich gut mit ihm vertragen, sind will- kommen. Einzige Einschränkung: Die sich bei der Versammlungsleiterin zu Wort meldenden zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA lichen oder nationalistischen Organisation angehören, in der sie ein öffentliches Rederecht wahrnehmen. Bei dieser Demonstration sollen die Macht-, Gewalt- und Waffenlosen das Sagen haben! (Siehe Rückseite) Rednerinnen dürfen keiner politischen, religiösen, wirtschaft- 2

Mit der Aufforderung "Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt! Endlich: DIE WAFFEN NIEDER!" starteten am 11. 11. 1983 zehn Frauen und ein Mann ein dreiwöchiges Fasten gegen den Nachrüstungsbeschluß im Liebfrauendom in München. Mit der Aufforderung "Schützt die Kinder vor den Allmächtigen! Sei Feminist! Heil Kind!" wollten wir am 3. Mai 1987 am Siegestor den Papst in München begrüßen. Rechtswidrig hatte man Hannelore Mabry seinerzeit sieben Stunden in Vorbeugehaft genommen und grob unverhältnismäßig während der Ingewahrsamnahme behandelt: Sie mußte sich im Unterschied zu Männern, von denen das nicht obligatorisch verlangt wurde, splitterfasernackt vor der Wärterin ausziehen. Nach über vier Jahren erhielt sie deswegen 750,- -DM Schadenersatz. Auf unserem Flugblatt zur Papstvisite warnten wir das Volk: "Die ALLMÄCHTIGEN drohen nicht nur mit Schwert, Scheiterhaufen und Apokalypse. Sie haben seit Jahrtausenden Waffen gesegnet und eingesetzt. Sie haben keine Folter, kein KZ, keinen Krieg, keine Atombombe verhindert." Und suchten auch Verbündete: "Männer, schützt mit uns die Kinder vor den ALLMÄCHTIGEN, befreit uns von den körperlichen, geistigen und ökonomischen Vergewaltigern!" Wer sind wir? Wir sind die Gruppe, die Hannelore Mabrys Analyse des Patriarchats für richtig hält: Das Patriarchat ist das System der Gewalt, in dem das "Recht" des Stärkeren (körperlich, geistig, ökonomisch) Gesetz ist. Und dieses System wollen wir gemeinsam überwinden. Die Erfahrungen, die Hannelore Mabry als politische Frau und Mutter in der Studenten-, Frauen-, Anti- Atomkraft- , Ökologie - und nicht zuletzt in der Friedensbewegung in den 70er Jahren sammelte, und die wir seit den 80er Jahren gemeinsam mit ihr machten, haben uns allen gezeigt, daß wir in diesen Bewegungen auch nur als Fußvolk gefragt waren. Sexistlnnen haben nämlich nicht nur was gegen Feministinnen, sie haben auch was gegen DER FEMINIST! mitbestimmen durften. Aber das schlimmste war: Manipulation und Gewalt beherrschten auch diese Bewegungen: Mißachtung, Machtkampf unter der Gürtellinie, Verleumdung und Totschweigen - das ganz gewöhnliche Patriarchat herrschte auch hier, wo man vorgab, es zu bekämpfen. Wir beschlossen deshalb, die atomare, chemische und biologische Aufrüstung der Bundesrepublik mit eigenen Worten, eigener Stimme und an den uns geeignet erscheinenden Orten und Plätzen zu entlarven. Im Mittelpunkt unserer Politik steht die Sorge um die Kinder, die von der Politik des Patri- archats am meisten betroffen sind. Wir wollen, daß Kinder weltweit ohne Folter, Krieg und Bürgerkrieg, ohne Hunger und Elend, ohne Manipulation, Gewalt und Vergewaltigung im wie außer Haus auf wachsen. Wir bieten Frauen und Männern an, sich mit unseren politischen Ansichten und Handlungen zu beschäftigen und - statt in den patriarchalischen Institutionen und Organisationen - bei uns mitzuhelfen, mitzuarbeiten: "Small is beautiful"! Kommt zur Demonstrantion am Samstag, den 30. Januar 1993 - dem Tag, an dem Adolf Hitler und seine Mannen "die Macht er- griffen". Viele gaben ihm die Macht gern und freiwillig, sahen in ihm den Retter und Heilsbringer nach dem verlorenen ersten Weltkrieg, grüßten ihren Führer mit "Heil Hitler!" und ließen die Kinder nach seinem Vorbild und seinen Vorstellungen erziehen. Damit die Kinder und Jugendlichen in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" nicht weiterhin den "Machtergreifern" und ALLMÄCHTIGEN ausgeliefert bleiben, verkünden wir seit einigen Jahren am Infostand ganz provokativ: "Nach 'Heil Hitler!' und statt 'Grüß Gott!' heißt's bei uns im Atomzeitalter 'Heil Kind'!" Wer unsere politische Arbeit kennenlernen und unterstützen möchte, die/den erwarten wir freitags von 18-20 Uhr zur "Geschichtswerkstatt" im Bayerischen Archiv der Frauenbewegung (BAF e.V.) in der Lilienstr. 4, München 80 (drei Minuten vom Deutschen Museum). Ab 1983 wollten wir nicht mehr unter Parolen und Slogans demonstrieren, die wir nicht mitformulieren und deren Aktionen wir nicht V.i.S.P. Hannelore Mabry, Christrosenweg 5, München 70, Druckerei M. Saupe & Co., Ler- chenauer Str. 158, München 45 3

"Dieses Herz muß ich zuhalten mit meinem großen Daumen." Die Antiquiertheit des Günther Anders Die unzulängliche Wahrheit Meine Wahrheit Zur öffentlichen Kritik gehören drei: der Kritiker, der Kritisierte und der Leser. Da es diesen letzten auch gibt, und da die- ser zumeist noch kritikbedürftiger ist als das zu kritisierende Buch, genügt es nicht, daß deine Kritik wahr sei. Sonst passiert es dir, daß du Diebe bei Mördern denunzierst. Wahrheit ist in solchen Fällen kein Alibi. Günther Anders (Philosophische Stenogramme) Gandhi versuchte seine Wahrheit zu leben. Unschuldig ist nur das Neugeborene, das Kleinkind. Deshalb kritisiere ich andere und Anders - nicht nur Diebe und Mörder. Ich befürchte, daß "Öffentlichkeit" ein gewaltiges Alibi im Patriarchat ist. Die Wahrheit bleibt unfaßbar und unvor- stellbar, aber (er)lebbar bis zum eigenen Tod. Die Atombombe, Tschernobyl, Militarismus und die für sie verantwortlichen Massen- mörder sind faßbar und vorstellbar. Hannelore Mabry 4

Als ich mit der Sichtung des Materials zu meinen Nachruf auf Günther Anders begann, mit dem Problem rang, wie ich die fünf Telefonate, die wir Mitte der 80er Jahre miteinander führten, so "rüberbringe", daß auch unsere Stimme, der Ton, das Tempo, die Lache, das In-den-Satz- fallen wie eine kurze Pause des Nachdenkens "hörbar", vor- stellbar wird, klingelt das Telefon. Eine an der "Frauen"frage interessierte kinderlose Soziologin - nennen wir sie S. - will von mir wissen: S: Wann kommt der nächste FEMINIST raus und mit welchem Thema? M: Wann ich damit fertig werde, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß im Zentrum meine Auseinandersetzung mit bzw. mein Nachruf auf Günther Anders stehen wird. 5: Warum Günther Anders? War der ein Feminist? M: Hast Du was von ihm gelesen? S: Nein. N'bißchen was über ihn. Was hat der denn zur "Frau-Mann"-Beziehung geschrieben? M: Im Verhältnis wenig. Aber viel zum Patriarchat, obwohl er diesen Begriff - wie alle Patriarchen und Patriarchalinnen meidet. S: Ach so. Ich geh' übrigens heute abend zu Drewermann, der spricht über "Die Frauen in der Bibel" im Zirkus Krone. M: Na, da beschäftige ich mich lieber wochenlang mit Anders, der die Menschheit zwar ohne Gott, aber mit einer wortgewaltigen Schocktherapie zum politischen Widerstand motivieren, zum Schluß sogar zur Gegengewalt im Atomzeitalter nötigen will! Ich kritisiere lieber Anders als Drewermann. Daß ich "Gott" und auch die Psychoanalyse und -therapie als Dogmen gewaltfrei bekämpfe, ist - zumindest allen, die den FEMINIST kennen - bekannt. Günther Anders starb am 17. Dezember 1992 in Wien im 91. Lebensjahr. Die Nachrufe waren verhältnismäßig kurz - gemessen an der Bedeutung und der Bekanntheit, die er als kritischer Denker, als politischer Phi- losoph des Atomzeitalters nicht nur in Kreisen der "Linken", sondern des intellektuellen bürgerlichen Establishments insgesamt erreichte. Kein Fernseh- interview wurde zu seinem Gedenken - noch nicht mal nachts - für politisch-philosphisch Inter- essierte ausgestrahlt. Warum wiederholte man noch nicht mal das anläßlich seines 85. Geburtstags nur regional im Dritten des Südwestfunks gesendete Interview "Wortwechsel" (1986) endlich bundes- weit? Mit ein paar Zeilen unter "Gestorben" regi- strierte der SPIEGEL seinen Tod und auch DIE ZEIT und andere Gazetten widmeten ihm we- niger als eine halbe Seite. Zwei Artikel erschienen als Nachruf in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Ich erinnere mich nicht mehr, vielleicht ging es anderen bekannten Denkern - Max Weber, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse etc. - ebenso? Eine Minute in der Tagesschau und einen 2-3 Spalter in den Tageszeitungen ist das übliche? Oder war Anders ein zu scharfer Kritiker des Atomzeitalters, der Technokratie, des Fernsehens, der Religion? Vielleicht hatten seine letzten The- sen zur Gewaltfrage seine intellektuelle Anhänger- schar in den Medien und Universitäten verunsi- chert, gespalten? Wie auch immer, ich ziehe - wie er - die Pro- vokation der moralischen Gleichgültigkeit vor und nehme jede Möglichkeit wahr, das Thema "Mani- pulation" und "Gewalt" ins Zentrum von politi- schen Auseinandersetzungen zu bringen. Die Gründe, warum, wann, wo und von wem Gewalt ausgeht, lassen sich - solange Manipulation und Gewalt sanktioniert bleiben - sehr schwer ermit- teln. Und um gleich zu Anfang keine Mißver- ständnisse aufkommen zu lassen: Auch die in mei- nem Artikel zitierten Statements von Günther Anders reichen keineswegs als Diskussionsgrund- lage aus, auch nicht die in Knaur's Taschenbuch "Gewalt - Ja oder Nein" (München 1987) veröf- fentlichte Debatte über Günther Anders' Ansichten zum Pazifismus wie zur Gegengewalt. Um diesem "unerbittlichen Dennoch - Moralisten" (Albert von Schirnding, SZ) gerecht zu werden, muß mensch auch "Die Antiquiertheit des Menschen" selber lesen und - mein sehnlichster Wunsch - die pro und contra Positionen zur Gewalt anschließend mit Kind und Kegel (uneheliches Kind) diskutieren. Haben Manipulation und Gewalt in diesem Jahr- hundert zugenommen - und wenn, warum? Weshalb verhalten sich viele Menschen so, als ginge sie Tschernobyl, das Ozonloch, die Vernich- tung der Lebensgrundlagen, die Überlebenschan- cen der Kinder überhaupt nichts an? Die "Gnade der späten Geburt" enthebt doch weder mich noch Dich der Verantwortung für das, was hier und heute geschieht. Eine für die Auseinandersetzung mit der Gewalt- frage ratsame sprachliche Übereinkunft halte ich übrigens für empfehlenswert: das Wort "wir" bleibt besser aussen vor, da es für die Wahrheitsfindung nicht dienlich ist. Zwischenmenschliche Beziehun- gen - und dazu gehören private, ökonomische und politische - bekomme ich mit geschlechts-, gene- rations-, rassen-, bildungs- und armuts- neutralen Begriffen wie "wir", "Volk", "Staat" etc. nicht in den Griff, sie verkleistern nur das Gewaltproblem. Durch Abstrahierung lassen sich die Verhältnisse in der Vergangenheit wie in der Gegenwart nicht konkretisieren, gar aufhellen. Zum Beispiel: Frauen bilden eine politische "Grup- pe" oder "Einheit" noch viel weniger als Männer - in der Soziologie werden sie sogar als "gruppen- unfähig" angesehen. Und ich vermute, daß auch bei Männern Definitionen wie "wir", "Gruppe", "Volk", "Vaterland", "Reich" viel zur Dogmatisie- rung, Ideologisierung und Steigerung der Gewalt- fähigkeit beigetragen haben, aber sehr wenig zur Wahrheitsfindung über die Ursachen, warum Män- ner viel häufiger körperliche Gewalt einsetzen. Denn Frauen tauchen in der Rubrik "Gewaltver- brechen" der Kriminalstatistik bekanntlich nur als verschwindende Minderheit auf. Frauen haben auch die Atombombe nicht geplant, gebaut und 5

abgeworfen. "Man" hat "uns" auch nicht gefragt, ob "wir" damit einverstanden gewesen wären. Auch nicht, ob "wir" 1956 die Wiederbewaffnung Deutschlands wollten - es gab keine geschlechts- spezifische Volksbefragung, gar einen Volksent- scheid vorher. Leider! Die Frage, wer wen und wie geschützt hat und in Zukunft schützen soll, muß deshalb an den An- fang. Die Philosophen sind dieser Frage aus dem Weg gegangen. Sie haben sich scheint's noch nicht einmal darüber gewundert, daß der immerhin 1932 schon über 50jährige Albert Einstein an den über 70jährigen Sigmund Freud die Frage richtete: "Warum Krieg?" Die alten Herren hatten dazu so- gar 15 Jahre nach dem I. Weltkrieg weit weniger Sachliches und Substantielles zu sagen als Bertha von Suttner Jahrzehnte vorher! Freuds Antwort fiel so voreingenommen und hahnebüchen aus wie seine Thesen zur weiblichen Sexualität. Kraß im Gegensatz zu seinen kritischen Gedanken zur Reli- gion ("Die Zukunft einer Illusion") zum Beispiel. Immerhin bekennt er anfangs naiv und ehrlich: "Sie haben mich...durch die Fragestellung über- rascht, was man tun könne, um das Verhängnis des Krieges von den Menschen abzuwehren. Ich er- schrak zunächst unter dem Eindruck meiner - fast hätte ich gesagt: unserer - Inkompetenz, denn das erschien mir als eine praktische Aufgabe, die den Staatsmännern zufällt." (Das Unbewußte, Schriften zur Psychoanalyse, Frankfurt 1960, S. 289 f. und S. 419 f.) Krieg ist im Patriarchat eben auch eine Sache der Arbeitsteilung. Da sticht der politisch ambitio- niertere Einstein von Freud sogar noch ein wenig positiv ab, der selbsterkennend (?) in dem Gedicht "Verlorenes Paradies" formulierte: "Die Wissen- schaftler, die zu Vertretern der radikalsten natio- nalen Traditionen geworden sind, haben den Sinn für die Gemeinschaft verloren. Darum stehen wir heute vor der bestürzenden Tatsache, daß die Poli- tiker, die Männer des praktischen Lebens die Trä- ger des internationalen Gedankens geworden sind." Daß er selber "den Sinn für die Gemeinschaft" verlor, als er Roosevelt empfahl, die Atombombe zu bauen, ist ihm offensichtlich nicht klar gewor- den; denn er rechtfertigte sich folgendermaßen: "Ich war mir der furchtbaren Gefahr wohl bewußt, die das Gelingen dieses Unternehmens für die Menschheit bedeutete. Aber die Wahrscheinlich- keit(!), daß die Deutschen am selben Problem mit Aussicht auf Erfolg arbeiten dürften, hat mich zu diesem Schritt gezwungen. Es blieb mir nichts an- deres übrig, obwohl ich stets ein überzeugter Pazi- fist gewesen bin." (Dagobert D. Runes, Illustrierte Geschichte der Philosophie, Genf 1962, S. 370 f.) Da sieht mensch, daß schon Wahrscheinlichkeiten bei einigen (vielleicht auch der Mehrheit?) unserer Naturwissenschaftler ausreichen, um ihre morali- schen Überzeugungen über Bord zu werfen. Die Psychoanalyse gehört jedoch nicht zu diesen Wis- senschaften: Freud u. a. arbeiten noch nicht mal mit Wahrscheinlichkeiten, sondern mit Vor- und Fehlurteilen - nicht nur in Sachen weiblicher Sexualität und Krieg. Er und andere wären der Wahrheit sicher nähergekommen, wenn sie sich mehr auf die Tatsachenanalyse der männlichen Sexualität konzentriert hätten. Stattdessen erschien Freud zum Schluß die Wahrheit gar nicht mehr "glaubwürdig" - z. B. über sexuelle Kindes- mißhandlung durch Väter oder Stiefväter! Ich vermute allerdings, daß sich im Zuge der Gleichberechtigung der Frau innerhalb des Patri- archats der Prozentsatz von Frauen, die Gewalt befürworten und anwenden, erheblich steigern läßt. Wenn Frauen so umworben, gar besser als Männer bezahlt werden oder Väter die Kinder mehr als ihre Karriere zu lieben beginnen, dann ist sicher noch einiges möglich... Religiös und philosophisch beweisen sogar "Feministinnen" längst, wie anfällig auch sie für's Abstrakte, "Gött- liche", für's Manipulieren und die individuelle "Selbstverwirklichung" sind. Hitler war sich aber noch ganz sicher, daß in Sachen geistiger und körperlicher Gewaltanwen- dung Männer "geeigneter" seien. Aber Einstellun- gen sind veränderbar, und wenn Frauen so auf die Bejahung der Gewalt dressiert werden wie die Mehrheit der Männer, dann haben, so befürchte ich, die Kinder keine große Überlebenschance im Atomzeitalter. Die Anpassung der meisten "Geistes"- und Natur- wissenschaftler ans Patriarchat war in der Ver- gangenheit so "durchschlagend", daß sie sich eigentlich wenigstens im Nachhinein schämen und ihre "Moral" ändern müßten - zumindest der Kin- der wegen. Denn wenn die Mehrheit mit ihrem Latein zu Ende ist, fällt ihnen immer wieder oder nur noch Gewalt als Allheilmittel ein. Bleibt also "Krieg der Vater aller Dinge" (Heraklit um 550-480 v. Chr.)? Es gibt jedoch auch Philosophen, die den Aus- spruch des berühmten Griechen anders übersetzen, interpretieren: "Es heißt die Heraklitsche Idee des 'Krieges' gründlich mißverstehen, wenn man sie benutzt, um den politisch-militärischen Krieg sittlich zu rechtfertigen. Mit dem Wort 'Krieg' be- zeichnet Heraklit die Aktivität des Seins im Ge- gensatz zu jenen Denkern, die die Einheit und Unveränderlichkeit der Materie postulieren." (Dagobert D. Runes, a.a.O., S. 103f.) Andere übersetzen den Ausspruch auch mit "Kampf ist der Vater aller Dinge". Über die Be- griffe "Aktivität des Seins", "Gewalt" und "Kampf" gilt es sich zu verständigen. Denn auch eine Frie- dens"kämpferin" gibt es für mich nur gewaltfrei. Günther Anders' Sprachgewalt ist beeindruckend. Was gäb' ich drum, hätt' ich seine schriftstel- lerische Begabung! Ich teile auch seine Ansicht: "Die Kritik an der Sprache müßte zum Hauptun- terrichtsgegenstand gemacht werden". Er drückt sich klar zur Gewaltfrage in dem Inter- view mit Manfred Bissinger zu "Notstand und Notwehr" aus ("Natur", 12/86): "Obwohl ich sehr häufig als ein Pazifist angesehen werde, bin ich inzwischen zu der Überzeugung ge- kommen, daß mit Gewaltlosigkeit nichts mehr zu erreichen ist... Ich bin für Gewalt aus Notwehr... 6

hungsziel verzichten will, wie Mädchen aufs "trau- te Heim" und auf die "große Liebe". Kadavergehorsam wurde eher von "Vätern" (beson- ders außer Haus) als von Müttern angestrebt und erzwungen. Im Brockhaus steht zu diesem Be- griff:...nach Loyolas Vorschrift für den Jesuiten- orden sollten seine Mitglieder sich von der gött- lichen Vorsehung durch die Oberen leiten lassen, "als wenn sie ein Leichnam wären". Daß Anders sich nicht mit dem Feminismus be- schäftigte, war geschlechtstypisch: der ganz ge- wöhnliche Sexismus des intellektuellen Patriar- chats. Aber eigentlich entsprach dieser Sexismus nicht ganz der "Höhe der Zeit", da sowohl Anfang wie ab Mitte der 50/60er Jahre dieses Jahrhunderts - zumindest, wenn man die weibliche Bevölkerung und ihre politischen und philosophischen Denke- rinnen miteinbezieht - die Frauenfrage wieder aufkam. In den Schilderungen der Mann - Frau - Beziehung war dieser politische Denker außerordentlich anti- quiert - schon in seiner Wahrnehmung von jungen und alten Frauen, Studentinnen, Ehefrauen und Müttern. Sowas hätte ich von dem Autor von "Hiroshima ist überall" nicht erwartet. Ich empfehle sein "Lieben gestern", seine "Notizen zur Geschichte des Fühlens", die er in der Mitte seines Lebens - nach Auschwitz und Hiroshima - zu Papier brachte, selbst zu lesen! Deshalb wollte ich mit Anders einige "Irrtümer" noch persönlich klären. Wahrheitsliebe war ihm - zumindest theoretisch - eine wissenschaftliche Notwendigkeit. Mir auch. Die Wahrheit an sich heranzulassen, ist ja meist schmerzhaft. "Leben ist nicht ohne bitter" schrieb Tucholsky. Aber trotz der nun folgenden Kritik an Anders, eines verband uns: die Sorge um die wei- tere politische Entwicklung. Sie trieb ihn, treibt mich zum Schreiben, Reden und für mich zum Wichtigsten: zum Handeln, zum gewaltfreien poli- tischen Widerstand. Mein Wunsch nach einer öffentlichen Auseinan- dersetzung über das Patriarchat mit Günther Anders erreichte 1985/6 seinen ersten und in die- sen Wochen 1993 wohl den letzten Höhepunkt. Wie sich die Dinge dazwischen weiterentwickelten, wird anhand der Dokumente und Aufzeichnungen nun chronologisiert. Der Briefwechsel beginnt mit dem ersten "Offenen Brief" an Günther Anders. Er endet nach seiner handgeschriebenen Antwort (S. 11) und fünf Tele- fonaten, die alle zu einem Interview in dieser Zeitschrift führen sollten, mit dem letzten "Offenen Brief" vom 27. Okt. 91 (5. 24). Ziel darf Gewalt für uns niemals sein. Aber daß Gewalt - wenn mit ihrer Hilfe Gewaltlosigkeit durchgesetzt werden soll und nur mit ihrer Hilfe durchgesetzt werden kann - unsere Methode sein muß, das ist wohl nicht abstreitbar." Anders ist für Gegengewalt, denn seine These ist: "...letztlich zielt sie auf nichts anderes ab als auf den Zustand der Gewaltlosigkeit". Seine Parteinahme "ich bin für" ist unzweideutig, jedoch seine Folgerung? Für mich ist diese Argumentation aus der Motten- kiste des Patriarchats! So bleibt uns die Gewalt- herrschaft erhalten bis zum letzten Tag. Das ken- nen wir: Keiner hat angefangen. Es wurde immer nur "zurück"geschossen. Warum argumentiert Anders als alter Mann so "antiquiert", wie er es nicht nur Reagan, sondern allen Menschen vorwirft: "Wir" könnten uns nicht mehr vorstellen, was wir herstellen, anstellen, seien unfähig, die Folgen unseres "Tuns" oder "Nichts- tuns" noch abzuschätzen - weder für uns selbst, noch für unsere Kinder. Nur Anders war noch nicht total verblödet und wußte, wer uns "nudelt" und warum. Aber kurz vor seinem Tod befiel ihn selbst noch die "Antiquiertheit des Menschen"! Oder war sie vielleicht auch bei ihm notorisch? Wie bei allen, die gewaltfreie Friedenskämpferinnen für "inef- fektiv" halten? Er warf uns jedenfalls vor: "Happenings vor den Kasernen gegen die atomare Nachrüstung veranstaltet zu haben - darunter ver- stehe ich Scheinaktionen. Es kommt darauf an, daß man schadet." Die meisten hätten "nur aus sehr egozentrischem Interesse" gehandelt, bzw. seien "allein an der Aufrechterhaltung des eigenen guten Gewissens interessiert" gewesen. Ich meine, immer noch besser Tausende (ja, sogar einer, einzelne) demonstrieren deswegen gegen Krieg, Tschernobyl, Wackersdorf etc. - als nie- mand! Hatte ich seine Vorurteile und gehässigen Verur- teilungen früher überlesen? War auch er damit so vollgestopft wie fast ein jeder, eine jede? Bekanntlich sind Vorurteile alters-, schicht-, gruppen-, geschlechts- und vor allem bildungs- bzw. verbildungsspezifisch. Nachdem ich mich nun ausgiebiger mit seinem Werk beschäftigte, fiel mir einiges doch noch sehr unangenehm auf. Denn nicht nur am Telefon, son- dern auch in seinen Analysen zum Atomzeitalter bleiben die Frauen und Kinder in der Regel außen vor. Die Frauen- und auch die ArbeiterInnenfrage rangieren unter ferner liefen, sind Nebenprobleme. Wieso erkannte dieser bedeutende politische Phi- losoph nicht den nahen Zusammenhang der "genu- delten Gans" ( den "genudelten Gänserich" erwähnt er nicht ) bzw. der "Verblödung" von Frauen wie Männern: die apolitische und unkritische Erzie- hung beider Geschlechter? Schließlich werden Jungen - im Gegensatz zu seiner eigenen liberalen und gütigen Erziehung im Elternhaus - mit und für die Gewalt von klein auf (und nicht nur außer Haus) so "genudelt", da kein Staat, keine Mafia aufs Militär und auf geistige Gewalt als Erzie- 7

Offener Brief München, den 1. Mai 1985 Lieber Günther Anders, ich wende mich an Sie, um zu danken und zu bitten. Zu danken für Ihre Schlußworte im ZEIT- Gespräch mit Fritz J. Raddatz: "...ich meine, daß wir uns als Handelnde von unseren verzweifelten Überzeugungen überhaupt nicht beeinflussen lassen dürfen... Das ist kein 'Prinzip Hoffnung'. Höchstens ein 'Prinzip Trotz'." (DIE ZEIT, 22. 3. 85) Solche Äußerungen halte ich für wichtig, für fast so wichtig wie das liebe Brot. Einige Passive lassen sich durch diese Argumentation vielleicht doch überzeugen, politisch aktiv zu werden, und den "Infantilen", den nach wie vor aktiven Widerstand leistenden Bürgerinnen und Bürgern, tun Ihre Worte gut. Jede gut recherchierte aufklärerische und zur Selbstkritik anregende Sendung - ob als Aufsatz, Buch, Film oder Straßentheater - wärmt und stärkt uns. Die schmutzige Wäsche muß gewa- schen werden. Jede/jeder, die oder der dabei mit- hilft, wird von uns begrüßt. Ich stimme voll mit Ihnen überein: "Toleranz ist... nicht unter allen Umständen eine Tugend... sie kann immer nur von oben nach unten praktiziert werden, immer nur von den Mächtigen, die die weniger Mächtigen oder sogar ohnmächti-gen Minoritäten dulden. Reziprok geht Toleranz niemals vor sich. Darum ist sie zumeist entwürdigend und deshalb untolerierbar." Ich will und werde Leute wie Hitler, Reagan und Blüm etc. nicht "tolerieren", ich werde ihre poli- tische Theorie und Praxis entlarven, privat und öffentlich. Wo Unrecht Recht wird, wird Wider- stand zur Pflicht. Uns predigt man täglich Toleranz, während man uns mit Gewalt, Indolenz und Ignoranz begegnet. Wenn wir reden wollen, stellen sie die Mikrofone ab. Unsere Leserbriefe erscheinen nicht im SPIEGEL, nicht in der ZEIT. Obwohl ich stets ohne MG und Wasserwerfer, ja fast immer als Bittende kam, das Gespräch suchte, haben sie die Tür zugemacht - die "Hausherren" der Kirchen, die Verteidiger der "reinen Lehre" - ganz gleich, ob diese nun religiös, psychoanalytisch, positi- vistisch oder marxistisch daherkommt. Die "Statthalter" interessierten sich im Grunde nie für meine politischen und philosophischen Gedan- ken. Sie stellten mir immer wieder folgende Fra- gen: "Sind Sie verheiratet?" "Wer steht hinter Ihnen?" "Von wem werden Sie bezahlt?" Wenn sie niemanden finden konnten, der "aus mir" sprach, der mich finanzierte oder stützte, wenn ich tatsächlich unwichtig, ohne Macht, ohne eine statt- liche Zahl von Anhängerinnen, Anhängern war, dann war es mit der Toleranz meiner Schwestern und Brüder nicht mehr weit her. Das schmierten mir auch die meisten Ohnmächti- gen aufs Butterbrot. Wenn eine unbekannte Frau, ein unbekannter Neger, "irgendeine Alte" den Mund aufmacht, dann muß man nicht unbedingt hinhören, da verpaßt man nichts, deren Mist muß man nicht lesen, so viel hat fast jede/r zuhause und in der Schule inzwischen gelernt. Selbst ohne einen Satz von Gandhi oder Bertha von Suttner je gehört oder gelesen zu haben, gelangt man zum Abitur. Auch ohne einen Satz von Günther Anders je ge- hört oder gelesen zu haben, erhält man den Magister der Philosophie oder den Diplom-Sozio- logen. Diese Denker, diese Handelnden gehören nicht in den offiziellen Lehrplan, den Seminar- stoff. Diese Menschen muß man/frau selbst suchen und die Zeit haben, sie in der "Freizeit" zu finden. Das FORUM, das ich dann und wann las, (aber auch nicht jeden Artikel eines "Unbekannten" oder "Bekannten"), kramte ich erst nach dem ZEIT-Ge- spräch aus dem Archiv und suchte mir die Num- mern, wo ich den Namen schon mal gelesen hatte: Günther Anders. Ihr Buch "Hiroshima ist überall" wurde erst jetzt so aktuell für mich, daß ich es lesen mußte. Dabei lese ich schon seit meinem 18. Lebensjahr lieber als ich schreibe. Seit dieser Zeit benutze ich den Griffel nur noch ausnahmsweise. Ich fand meine Begabung auf diesem Gebiet zu kümmerlich und hätte wohl nie wieder den Mut gefaßt, wäre ich nicht politische Feministin im Lauf der Jahre geworden... Seit Ende der 60er Jahre schreibe ich also wieder. Nicht weil ich gern schreibe, sondern weil ich es politisch für nötig halte - neben dem Reden, ne- ben dem Handeln. Dennoch fällt es mir von Monat zu Monat schwerer. Kaum bringe ich noch einen Brief zustande. Keinen kurzen, keinen langen. Seit acht Tagen sitze ich an diesem Brief an Sie. Die Worte, die Sätze werden zu Krebsgeschwüren, Bandwürmern. Ich versuche gegen Frustration und Depression anzukämpfen. Seiten habe ich schon wieder dem Papierkorb übergeben. Aber heute werde ich den Brief beenden - wie geglückt oder mißlungen die Form dann am Ende auch sein mag... Mir liegt zu viel an einem Gespräch mit Ihnen - und ich halte es auch aus politisch-strategischen Gründen für wichtig - zum Beispiel über "passi- ven" und "aktiven" Widerstand im Atomzeitalter. Nur durch das Austragen gegensätzlicher Argu- mente besteht eine Chance, innerhalb der Opposi- tion sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Und mehr Verständnis und Zusammenarbeit zwi- schen denen, die mit der Feder und denen, die mit ihrem Körper (Demonstrationen, Blockaden etc.) ihren Protest äußern, wär' auch nötig. Da gibt es ein paar Äußerungen von Ihnen, die ich widersprüchlich innerhalb ihrer eigenen, von mir hochgeschätzten, radikal kritischen Position finde und die ich gern mit Ihnen erörtern würde. Das Phänomen "Gewalt" - nicht "nur" als atomare Drohung und Anwendung, sondern als Herr- 8

schaftsprinzip - kommt meiner Meinung nach zu kurz. In Kürze werde ich mich mit der "Antiquiertheit des Menschen" beschäftigen. Vielleicht äußern Sie sich da auch einmal zum Patriarchat? Bisher war mein Eindruck, daß Sie zumindest das Wort mei- den. Absichtlich? Damit bin ich bei meiner Bitte angelangt: Ich habe mich mit der Analyse dieses Systems seit Ende der 60er Jahre sehr intensiv beschäftigt - nachdem ich bis zu meinem 36. Lebensjahr emo- tional und praktisch gegen dieses System rebel- lierte. Sowohl im wie außer Haus. Während meines Studiums an der Staatswirtschaft- lichen Fakultät in München gelangte ich nach jah- relangen theoretischen und empirischen Forschun- gen zu einer Definition, die ich 1974 in dem Aufsatz "Feministen - Patriarchen und Patriarcha- linnen" zum ersten Mal veröffentlichte: Das Patriarchat ist das System der G EW A L T, in dem das "Recht" des Stärkeren - körperlich, geistig, ökonomisch - Gesetz ist. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die zwei Ausgaben (Nr. 7 und Nr. 12) unserer beigefügten Zeitschrift DER FEMINIST lesen und anschlie- ßend Ihre Gedanken, ihre Kritik dazu sagen wür- den. Nicht nur ich, alle aktiven politischen Feministen, die u.a. diese Zeitschrift seit 1976 herausgeben und als "Dombesetzerinnen" 1983 ein wenig bekannt wurden, würden sich darüber sehr freuen. Bereits 1979 versuchten wir, den Dialog über das Patriarchat mit Herbert Marcuse einzuleiten (Siehe Nr. 7 und 8). Leider starb er kurz nach Aufnahme des Briefwechsels. Wie Sie sehen, stellte er sich erst im hohen Alter die Frage, ob es sich bei die- sem System um "Väter"- oder um "Männerherr- schaft" handle! Ich kam zu dem Ergebnis: weder noch. Daß Männer zu 90% die Führungspositionen in diesem System innehaben, hat weniger damit zu tun, daß sie Männer sind. Entscheidend ist, daß sie Gewalt als Strukturprinzip positiv bewerten und bewußt einsetzen. Männer, die dazu nicht be- reit oder nicht in der Lage sind (körperlich und geistig), werden keine Patriarchen. Frauen, die Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen für nötig und richtig befinden, werden auch mit Führungs- aufgaben betraut. Ich wage die Hypothese aufzustellen, daß es "ein- facher" sein wird, den Sexismus und den Rassis- mus abzuschaffen als das Patriarchat. Die "Ethik der Abschreckung", nach der ein ato- marer Erstschlag zur Erhaltung der Freiheit unter Umständen nötig ist, wird bis in unsere Tage von Professoren der christlichen Sozialwissenschaften angeboten. Leute wie Hitler und die zu ihnen passenden Schreibtischtäter werden immer wieder geboren, aber auch Menschen wie Gandhi und Luther King. Ob wir aus dieser Realität eines Tages noch einmal die richtigen Schlüsse ziehen, bleibt fraglich. Bis zum heutigen Tage sieht es so aus, als ob die Machtanfälligen und Größenwahnsinnigen über sehr wenig geistig - seelische Lernfähigkeit (Sensibi-lität) verfügen. Es scheint ihnen sehr schwer zu fallen, freiwillig auf ihre Fähigkeit zu foltern, zu vergewaltigen und zu morden, zu verzichten. Eine Stunde, eine Minute ohne ein bißchen Güte und ohne - wie Sie so eindringlich und faszi- nierend herausgearbeitet haben! - die Fähigkeit, sich das Ergebnis seiner Handlungen "vorstellen zu können", reicht heutzutage aus, um alles Leben auf unserer Erde auszulöschen. Sogar Einstein hat eine solche entscheidende Stun- de in seinem Leben versagt! Er hat nicht begrif- fen, daß jeder, der die Grenze der "Humanität" (ganz gleich, ob als Aktion oder Reaktion) über- schreitet, den Holocaust einleitet bzw. selbst vollzieht. Und was wir unter "Humanität" verstehen wollen, das müssen wir an solchen Beispielen wie Hitler, Einstein und Gandhi lernen, uns erarbeiten. Denn wie unsere Geschichte zeigt, besitzen wir als Men- schen die Fähigkeit zu lieben und zu töten (uns selbst und mehr und mehr Individuen sogar uns alle). Unsere individuellen Fähigkeiten werden nicht durch unsere Umwelt (kulturell und materiell) spe-zifisch gefördert und spezifisch behindert. Die Möglichkeit, selbst Prioritäten zu setzen und die eine mehr als die andere Fähigkeit zu ent- wickeln, bleibt bis zur Hirnschädigung bzw. to- talen Verkalkung für die meisten Menschen beste- hen. Unsere Kultur machen wir also. Was wir vor- finden, können wir verändern. Die einen wollen uns einreden, wir bräuchten Armeen und Atombomben, um unsere Freiheit zu verteidigen, die anderen behaupten das Gegenteil. Wer nicht lernt, mit seiner Fähigkeit, sich und seine Umwelt zu töten, umzugehen, für den gibt es schon jetzt keine Freiheit mehr. Andere entschei- den für und über ihn. Schon als Kind empfand ich diesen Zustand "inhuman". Auch für mich schlug die "Stunde Null" 1945 - allerdings ein paar Monate früher als für Sie. Für mich war die Konfrontation mit den Bildern und Zeugenaussagen der überlebenden KZ-Insas- sen die Stunde Null. Die Atombomben auf Hiro- shima und Nagasaki waren für mich seinerzeit nur eine Art Steigerung der "Bombenteppiche". Etwas mir "vertrautes". Als Überlebende in einer Ruinen- stadt lief das bei mir als "Kriegsgeschehen", als Endpunkt des "totalen Krieges". Daß ein Atom- krieg qualitativ etwas Neues war, begriff ich als 14jähriges Mädchen noch nicht. Die "Stunde Null für alle Menschen" konnte ich mir damals noch nicht "vorstellen". 1945 hatte ich aber eines gelernt: "Nie darf es KZ geben!" "Nie wieder Kriege!" Es kam anders trotz Ostermärschen, trotz meiner Rufe "Lieber rot als tot!" Die Mehrheit schien nichts gelernt zu haben. Alles ging wieder los wie gehabt. Die "Stunde Null" wird uns inzwischen frei Haus geliefert - vorgestellt, vorgespielt: das "Leben nach der Bombe".

Denn so wie die Dinge liegen, ist das auch nötig! Nach der Stunde Null werden wir nichts mehr re- gistrieren. Nichts mehr in unserem Hirn speichern können. Lassen wir uns also von diesen Bildern "berühren". Einschalten, nicht abschalten, dann, wenn man uns mit Realitäten konfrontiert: der Vorbereitung auf die Stunde Null! Diese Stunde kommt nicht aus heiterem Himmel. Das ist jetzt schon zu sehen. Den Himmel und die Erde haben sie uns schon verpestet. Ihren Krieg der Sterne spielen sie uns nicht nur im Fernsehen vor. Und nicht nur die Amerikaner beteiligen sich an seiner Planung. Wir sollen ihn alle bezahlen. Diese Beerdigung kommt uns teuer zu stehen. Das ist nur logisch, denn nach der Stunde Null ist's aus mit dem Profitmachen und aus mit Konkur- renz und Leistungsdruck. Wer jetzt also immer noch keinen sichtbaren Widerstand leistet, wer weiter so tut, als ginge ihn das nichts an, gar, als wüßte er das alles nicht genauso wie Du und ich, der macht sich schuldig. Und höchstwahrscheinlich wird ihm auch keine/r im Himmel seine Schuld vergeben. Solche Götter kann ich mir nicht vorstellen und schon gar nicht an sie glauben. Sie sind schon viel zu lange stumm - falls es sie gäbe... Meiner Ansicht nach kann auch nur das Opfer dem Täter die Schuld vergeben. Aber inzwischen sorgen die Täter dafür, daß niemand mehr zwi- schen Opfern und Tätern zu unterscheiden imstan- de ist. Das, was an den heutigen Tätern "human" war, ist eh schon tot und nach der Stunde Null kann ich ihnen auch nicht mehr vergeben. Das ist das, was ich aus meinen bisherigen subjek- tiven "Stunden Null" gelernt habe. Diese Erkennt- nisse hatte ich - wie gesagt - noch nicht alle 1945. Ich bin für das "Prinzip Trotz". Ich laß mich nicht stumm abschlachten. Ich leiste aktiven Widerstand, wenn man mir und anderen Atomwaffen vor die Haustür setzt gegen meinen Willen. Ich will von Mördern und Mordfähigen nicht be- schützt werden. Sie sind meine politischen Gegner und nicht meine Verbündeten! Kein Mensch hat nach meiner Ansicht das Rech t, einem anderen das Leben zu nehmen. Und Macht geht nur solange vor Recht, wie die Mehrheit ihr Lebensrecht anderen überläßt. Und das Lebensrecht jedes Menschen läßt sich mit Atombomben nicht verteidigen. Hätten die "Statthalter" des Marxismus 1945 aus Hiroshima tatsächlich etwas gelernt, dann hätten sie nicht nachziehen, nicht gleichziehen dürfen. Das gesellschaftliche Ziel bestimmt auch die Me- thode. Durch unser Handeln verraten wir letztlich, was wir unter Humanität, Sozialismus, Kommunis- mus oder Feminismus verstehen. Unsere Worte haben immer ein geringeres Ge- wicht. Aber ein Gewicht haben sie und deshalb liegt mir an unserem Dialog. Wer ich, wer wir sind, entnehmen Sie bitte dem FEMINIST und dem beigefügten Material. Der Brief geht jetzt so und nicht anders ab, da sonst die Gefahr besteht, daß er nie abgeht. Und 10 das fände ich eine noch schlechtere "Leistung". Es sind eh noch 48 Stunden mehr geworden... Ein letztes Wort noch zu Ihrem Aufsatz "Ich bin kein Pazifist" (FORUM Okt./Nov. 83). Da tun Sie Gandhi - und nicht nur ihm! - aber schwer Unrecht. Er war nie für einen "grundsätz- lich 'passiv bleibenden Widerstand'. Das hat er nicht nur mit Worten, sondern durch seine Taten - in Südafrika und in Indien - bis zu seinem gewalt- samen Tode bewiesen. Für ihn war aktiv aber nicht identisch mit gewalttätig. Und keinen Friedenskämpfer, der sich "nur" als Demonstrant oder durch Sitzblockade am Wider- stand - das ist schon nicht mehr passiv! - beteiligt, sollte man diskriminieren und gar noch behaupten, daß er "pränumerandi(!) den Massenmord akzep- tiert". Das kann so nicht stehenbleiben meiner Meinung nach und darüber sollten wir uns in dem nun hof- fentlich einsetzenden Dialog noch weiter austau- schen. Mit herzlichen Grüßen - auch von unserer Gruppe Ihre (Hannelore M bry) P.S. Ich habe diesen Brief als "offenen" deklariert, weil ich Fritz J. Raddatz davon eine Kopie senden möchte. Er wird ihn sicher nicht in der ZEIT ver- öffentlichen, aber unsere Versuche, über welche Medien auch immer, Gleichgesinnte und Mit- kämpfer zu finden, werden wir nicht einstellen. Wir bleiben. beim "Prinzip Trotz". Herrn Prof. Dr. Fritz J. Raddatz DIE ZEIT 3. Mai 85 Lieber Herr Raddatz, hier ein dritter Versuch: Ein "Offener Brief" an Günther Anders,der doch vielleicht was für die Leser/innen der ZEIT wäre im Kulturteil? Denn mit einer Besprechung des FEMINIST wird es wohl nichts, oder? Dank jedenfalls für Ihre Zeilen v. 22. 2. 85 mit der Nachricht, daß Sie meine Bitte weitergeleitet haben. Anbei noch eine Pressemeldung aus der Sie erse- hen, wie nötig wir die Unterstützung der Medien hätten für unsere Auseinandersetzung mit den Kirchen und dem Bayerischen Staat (Musterprozeß geht in die II. Instanz!). Da täte ein kleines Honorar mal gut oder eine Spende. Wir paar Leut- chen brauchen da wirklich Unterstützung. Wenn meine Fähigkeiten stilistisch Ihnen zu dürftig sind, dann besuchen Sie uns doch einmal und machen eine Reportage über uns - zum Beispiel anläßlich des Deutschen Ev. Kirchentags Anfang Juni in Düsseldorf! Es ist längst Mitternacht und ich bitte alle for- malen Unzulänglichkeiten zu entschuldigen. Mit freundlichen Grüßen

Frau Hannelore Mabry Der Feminist Christrosenweg 5 8000 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA WOCHENZEITUNG FOR POLITIK WIRTSCHAFT HANDEL UND KULTUR München 7o Professor Dr. Fritz J. Raddatz Hamburg, 8. Mai 1985 Liebe Frau Mabry, Sie schreiben mir immer so freundlich und sympathisch und ich muß immer negativ antworten, was Sie (und auch mich ein wenig) kränkt. Aber ich bitte Sie nun umgekehrt um Verständnis und etwas Phantasie; solche Appelle, gar Hilfswünsche - ob nun publizistische oder finanzielle - flattern,etwa drei pro Tag, jahraus jahrein auf meinen Schreibtisch: nicht anerkannte Schriftsteller oder kleine Verleger, Zeitschriftenherausgeber oder Hörspielverfasser, zudem Graphiker, experimentelle Musiker oder Besitzer von Ga- lerien. Sie alle erwarten von mir publizistische Hilfe, Besuche im Atelier oder möglichst auch noch eine finan- zielle Zuwendung des ZEIT-Verlags (der mir nicht gehört und über dessen Resourcen ich nicht verfügen kann). Aber auch ein Redakteur hat ein limitiertes Phantasie- potential - nicht zu sprechen von den begrenzten phy- sischen und psychischen Kräften. Was glauben Sie, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, wieviele Wochen der Vor- bereiLuhg mich so ein Anders-Interview kostet? icn bin doch kein literarischer Call Boy, den man nur anrufen oder anschreiben muß und schon taucht er auf. Ich habe ein eigenes Arbeitsprogramm und wenn ich jetzt bespiels- weise a) eine einwöchige Israel-Reise, b) ein großes Zeitgespräch mit Friedrich Dürrenmatt c) die Rezension der zweibändigen Ernst-Bloch-Brief- ausgabe vor mir habe - können Sie sich nicht vorstellen, daß mit derlei meine Kraft bis an den Rand ausgenutzt ist? Ein Besuch bei Ihnen und eine Beschäftigung mit Ihrer Arbeit kosten Zeit, die ich nicht zur Verfügung habe. Ich habe seinerzeit mein Versprechen gehalten und eine an Ihrer Themenstellung interessierte Mitarbeiterin mit Ihren Nöten und Wünschen vertraut gemacht; aber auch ich kann ihr nicht auf die Finger schauen oder Befehle erteilen. Leider betrifft mein Nein nun auch Ihren umfangreichen Brief an Günther Anders: nicht nur veröffentlicht die ZEIT generell keine Offenen Briefe, sondern dieser Brief wäre auch viel zu ausführlich. Sie haben eigentlich nur die Möglichkeit, entweder an Günther Anders direkt zu schreiben oder Sie hätten seinerzeit gleich nach dem Erscheinen des Interviews ihm oder mir einen Leserbrief formulieren sollen; dafür ist es jetzt, fürchte ich, zu spät. Ich bitte Sie, diesen Brief nicht als Brüskheit miß- zuverstehen. Mit freundlichen Grüßen /J7 12

3. Juni 85 Mabry: Ich habe Ihr Buch "Überall ist Hiroshima" Lieber Günther Anders, ich kann nicht abreisen, ohne Ihnen zu danken für Ihre lieben, mich ermutigenden Zeilen. Als ich von einer politischen Reise zurückkam, waren sie ein Willkommensgruß - einen schöneren kann ich mir nicht vorstellen. Seit Monaten steckte ich in einer sehr depressiven Phase - vor allen Dingen wegen meiner Schreib- probleme. Sie haben geschafft, daß mir das beiliegende Flug- blatt (siehe S.14/ 15) immerhin schon in zwei Ta- gen gelang!! Ihre beglückend schnelle Antwort hat mir sehr wohlgetan und ich hoffe von ganzem Herzen, daß wir doch noch dazu kommen mögen, uns über das auszutauschen, was ich zur Analyse und zur Be- kämpfung des "Patriarchats" beizutragen versuchte und versuche. Ende Juni werde ich anrufen. Mögen Sie uns noch lange erhalten bleiben! Seit ich anfing, mich mit Ihnen und Ihren Arbeiten zu beschäftigen, wün- sche ich das... Heute nur schnell die Antwort von Raddatz. Er erhielt den "Offenen Brief" ohne das "P.S." Ein Segen, daß es Sie noch gibt - nur Raddatz wäre trostlos. Jetzt muß ich ins Auto steigen, um alles für einen 2. "Hausfriedensbruch" vorzubereiten - diesmal bei der Evangelischen Kirche. Die Gruppe kommt am Mittwoch nach. Ich wünsche Ihnen eine gute und produktive Zeit und grüße Sie sehr herzlich Ihre Vif Am 7. Juli 1985 rief ich Günther Anders zum er- sten Mal an. Das Gespräch dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Er meldete sich mit "Anders". Mabry: Hier spricht Hannelore Mabry aus München. Ich schrieb Ihnen vor einigen Wochen und Sie erlaubten mir, Sie Ende Juli/ Anfang Juli anzurufen. Anders: Helfen Sie mir. Ich weiß nicht mehr. Was gelesen. Ich habe einige grundsätzliche Fragen dazu. Es geht da um Dinge, die ich aufgrund meiner Forschungen - meiner fe- ministischen Analysen - mit Ihnen bespre- chen möchte. Anders: Ich verstehe nichts vom Feminismus. Mabry: Ja, leider! Aber ich kann Ihnen dazu ja dann einiges erklären. Es ist mir wichtig. Auch wegen der Bombe. Anders: Nichts ist mehr so wichtig wie unser Überleben! Die Klassenfrage, die Rassen- frage, der Feminismus, alles ist wichtig. Aber nicht mehr so wichtig jetzt. Mabry: Doch. Ich glaube, es ist genauso wichtig. Es hat sehr direkt damit zu tun: Das Pa- triarchat und die Bombe! Anders: Das glaube ich nicht, daß die Mann-Frau- Beziehung etwas mit der Bombe zu tun hat. Das kann ich mir nicht vorstellen. Mabry: Ja, deshalb möchte ich es Ihnen ja vor- stellen, erklären, mit Ihnen reden. Anders: Ja, also dann rufen Sie mich nach dem Hiroshima-Tag wieder an. Vielleicht ist dann etwas mehr Luft - falls ich dann noch da bin. Mabry: Ich möchte, daß noch ein Gespräch zwi- schen uns zustandekommt. Die Gedanken der Frauen zur Bombe sind auch wichtig. Die Philosophie, die Soziologie - alle unterschlagen den Feminismus. Wer ist als Frau auf diesen Gebieten wahrgenommen, wer überhaupt bekannt geworden in diesem Jahrhundert? Rosa Luxembourg -aber die war keine Feministin - und Hannah Ahrendt... Anders: Sie war meine Frau. Wie kommen Sie auf Sie? Mabry: Weil ich sie für eine bedeutende Denkerin hielt und noch eine Frau... Anders: Wen noch? Mabry: Agnes Heller. Anders: Nein, die können Sie nicht in einem Atem nennen: Luxembourg, Ahrendt und Heller. Heller ist nicht die gleiche Qualität. Mabry: Doch, finde ich schon. Aber das ist mir im Augenblick nicht so wichtig. Ich möchte mit Ihnen einige andere Dinge klären. haben Sie mir geschrieben? Anders: Also gut! - Rufen Sie mich im August Mabry: Ich habe Ihnen zwei Zeitschriften ge- schickt - DER FEMINIST. Anders: Ach, jetzt weiß ich! Ich war über den Titel erstaunt: DER(!) FEMINIST. Was kann ich für Sie tun? wieder an. Dann wollen wir sehen, ob noch was geht. Mabry: Ich möchte Sie gerne sprechen. Anders: Ja, aber ich habe im Augenblick gar keine Zeit. Hab wahnsinnig viel Arbeit bis zum Hiroshima-Tag: Manuskripte für den Rundfunk, Reden etc. Im Augenblick geht es nicht. Ich bin außerdem totkrank. Mabry: Ihre Stimme ist aber ganz jung und Am 11. August 1985 um 18 Uhr 15 rief ich Günther Anders zum zweiten Mal an. Das Ge- spräch dauerte wieder ca. 15 Minuten. Diesmal erinnerte er sich sofort an unser Ge- spräch. DER FEMINIST war das Code-Wort ge- worden. Auf meine Frage spontan. Anders: Ja, das stimmt. Aber Sie sehen mich nicht. Mabry: Haben Sie den FEMINIST inzwischen Ich bin uralt: 83 Jahre! etwas anschauen können? 13

de ptotesteten gegen ungeoenAusstYliP! Liebe Kirch ntagsbesucherinnen und -besucher, über 1400 Unterschriften haben wir gesammelt und über dreimal haben wir beim Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angeklopft und um Einlaß gebeten. Aber uns wurde nicht auf- gemacht. Rund 430 Gruppen waren willkommen. Sie dürfen ihre Ideen und Produkte auf dem "Markt der Möglichkeiten'? anbieten und austauschen. Wir nicht. Wir gehören zu der Handvoll Menschen, deren politische Aufklärungsarbeit und jahrelanger Einsatz für soziale Gerechtigkeit und gegen Aus- beutung, Vergewaltigung, Rüstungswahnsinn und Krieg vom Präsidium nicht nur nicht geachtet, son- dern den Kirchenbesuchern mit haarsträubenden Argumenten vorenthalten, ja deren Existenz total verschwiegen werden soll. Wer sind wir und welche Argumente sind das? Wir sind der Förderkreis, der seit 1976 die Zeitschrift DER FEMINIST herausgibt und wir vertreten seit Beginn der Neuen Frauenbewegung die Ansicht, daß die Solidarisierung und Organisierung der Schwächeren und Ausgebeuteten - z.B. Frauen, Mütter und Kinder - in einer Feministischen Partei nicht nur sinnvoll, sondern nötig ist. Dieses unser Fernziel grenzt nach Ansicht des Präsidiums offenbar an Hochverrat. Weil man befürchtet, wir könnten unser, Fernziel hier doch einmal mit einem Wort erwähnen, verbannte man uns vom "Markt der Möglichkeiten" . Von unseren politischen Vorstellungen zur Überwindung des Patri- archats und unserer Arbeit für eine gewaltfreie Gesellschaft soll hier niemand etwas erfahren. Mit jeder anderen Philosophie, Religion oder politischen Ideologie ist man bereit, sich zu ver- brüdern. Mit uns nicht. An eine Feministische Partei darf nach Ansicht des Präsidiums noch nicht einmal gedacht werden. Das Patriarchat ist das System der Gewalt, in dem das Recht des Stärke re n körperlich geistig ökonomisch Gesetz ist. (Siehe "Zur Analyse des Patriarchats", DER FEMINIST Nr. 8) Denn: Zugelassen wurden die Repräsentanten und Initiativen bzw. Gruppen nahezu aller bekannter Parteien - CDU/CSU, FDP, SPD, GRÜNE und DKP (zum Beispiel die Demokratische Frauenintiative und der SDAJ). Zugelassen wurden Christen, Andersgläubige und Atheisten, Sprecher der Großbanken und der Gewerkschaften, Militaristen und Kriegsdienstgegner, Befürworter/innen einer Verschärfung des § zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 218 und Gegner/innen der Kriminalisierung von Abtreibung, Inländer und Ausländer, Männer und Frauen, Hetero- und Homosexuelle. Viel Prominenz, aber auch viel Mannsvolk ohne Namen und viel Unkraut - "Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Un- kraut" - Michael Horlachei CSU (Mabry: UNKRAUT INS PARLAMENT, München 1971) darf sich hier einbringen. Allen, allen wurden Infostände,Werkstätten, Referate, Arbeitskreise und sonstige Darbietungen gestattet. Nur uns wies man vor die Tür. Versteht Ihr das? Findet Ihr das richtig oder christlich? Was haben wir verbrochen? Was berechtigt das Präsidium des Kirchentages uns wie Aussätzige zu behandeln? Wir haben gewagt, einen Infostand und ein Thema anzumelden, welches die Damen und Herren des 27- köpfigen Gremiums wohl um ihre bessere Einsicht - zumindest um ein bißchen Offenheit und Güte uns gegenüber gebracht hat. Uns gegenüber: einem Dutzend politischer Feministen und Pazifisten!

Wir haben gewagt, das Thema "Wer Frieden will, muß das Patriarchat abschaffen" dem 21.Deutschen Evangelischen Kirchentag und seinen Besuchern zur Diskussion anzubieten. Wir finden das Thema unerhört wichtig. Wichtiger denn je. Wir möchten, daß uns erlaubt wird, mit Euch darüber zu sprechen. Wir bitten alle, die diese unsere An- und Absicht teilen, mit uns um unser poli- tisches Überleben auf diesem Kirchentag zu kämpfen! Im Programmheft verkündet der Präsident: "Der Kirchentag ist für alle da" und "Hoffnung kann sich nur dort entfalten, wo wir auch dem standhalten, was uns ängstigt und bedroht. Deshalb muß von den Kon- flikten unserer Gegenwart die Rede sein". Weil uns das Patriarchat ängstigt und bedroht, und weil wir jeden Menschen, jeden Christen und jeden Andersgläubigen oder Atheisten suchen, der gleich und mit uns die Unterdrückung der Schwächsten bekämpfen und der gleich und mit uns Rüstungswahnsinn und Krieg verhindern will, deshalb sind wir hier und wollen wir hier bleiben! Wenn der Kirchentag nicht zur Alibiveranstaltung für eine Friedenspolitik der Kirchen verkommen will, einer Friedenspolitik, die in der Wirklichkeit doppelgleisig und widersprüchlich ist, weil sie kein ein- deutiges NEIN zur Verteidigung mit konventionellen, chemisch-bakteriologischen, atomaren und Laser- Waffen kennt, die Regierungen stützt, die Milliarden in die weitere ideologische und militärische Auf- rüstung und in den Völkermord stecken, dann ist es an der Zeit, daß Mütter diese Kirchen - ob katho- lisch, evangelisch, orthodox-patriarchalisch oder reformiert, ob Sekte oder etablierte Amtskirche - zur Verantwortung rufen. Die Gewehre gehören vergraben! Deshalb suchten wir im November 1983 im Liebfrauendom einen Platz für ein dreiwöchiges Fasten unter dem Motto "Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt! Endlich: Die Waffen nieder!". Wie reagierten die Hausherren der Frauenkirche in München? Sie holten die Polizei und kriminalisierten uns, anstatt unse- re Bitte um einen Raum für unser öffentliches Fasten zu erfüllen. Sie behandelten Frauen und Mütter wie Verbrecher, Frauen und einen Mann, die sich und ihre Kinder schützen wollen und die einen Ort, eine Möglichkeit für eine eigenständige Friedenspolitik erbitten. Wir sollen für den Frieden beten und schweigen. Das ist uns nicht genug! Wir wollen endlich reden - auch mit den Repräsentanten der Tür- chen, der Wissenschaften und des Staates, die uns seit Jahrtausenden keine gleichen Chancen einräumen. Wir wollen reden mit der Evangelischen und Katholischen Kirche in Deutschland, die bisher immer mit den Herrschenden paktierten und das Volk ermutigten, für "Gott und Vaterland" zu morden. Liebe Kirchentagsbesucherinnen und -besucher, laßt den Ausschluß von politisch gewordenen Müttern mit "ihren" Kindern durch das Präsidum des Kirchentages nicht zu! Protestiert mit uns! Solidarisiert Euch mit Friedensfasterinnen und Kasernen-Blockierern statt mit Schönrednern und Pharisäern, denn: Nicht Dein Wort Dein Tun, Dein Handeln ist Spiegel Deiner Seele Deines zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Charakters. (M.E .Gabur, dichtende Hausangestellte mit unehelichem Kind) Kommt zu uns und sprecht mit uns vor der Halle 14, lest unsere Analyse der "Dombesetzung" und der Neuen Friedensbewegung "Blockade der Mütter" ( DER FEMINIST Nr. 14 und 15)! Wir brauchen Hilfe ! Die Aktiven des Förderkreises DER FEMINIST - auch bekannt geworden als "Dombesetzerinnen" . Presserechtlich verantwortlich Hannelore Mabry, DER FEMINIST, Christrosenweg 5,8000 München 70

Anders: Ein wenig. Es ging da um die Frühschrif- ten von Marx. Ich habe es nicht gründlich lesen können. Ich habe die Zeit nicht we- gen der Manuskripte, die ich noch fertig- stellen will. Es sind noch so viele Arbeiten zu beenden... Mabry: Das verstehe ich natürlich, dennoch würde Bei ihnen allen merkt man, das Kind, die Kinder werden ausgespart oder sie werden den Müttern übergeben. Väter gibt es nicht. Die Philosophen wachsen ohne Kin- der auf. Sie denken, diskutieren, philo- sophieren, schreiben... Anders: Ja, ich habe kein Kind. Leider. Wir konn- ich mich sehr freuen, wenn Sie mir doch noch ein Interview für den FEMINIST ge- währen würden. Ich habe inzwischen auch Ihre beiden Bände "Die Antiquiertheit des Menschen" durchgearbeitet. Möchte sie im FEMINIST besprechen. Aber ich habe ei- nige sehr wichtige Fragen noch dazu. Bitte, wenn irgend möglich, lassen Sie uns noch miteinander reden. Anders: Aber ich habe die Zeit nicht mehr. Es geht nicht gegen Sie, verstehen Sie! (einlenkend) Welche Fragen haben Sie denn? Mabry: Ich habe vor, sie schriftlich zu formulie- ren. Die Problematik ist so komplex und Sie kennen meine Analysen ja kaum. Ich beschäftige mich mit dem Patriarchat seit zwanzig Jahren, mit Fragen, die sehr viel auch mit ihren Arbeiten zu tun haben - allein zehn Jahre habe ich deswegen auch Marx gewidmet und ihn kritisiert. Anders: Was haben Sie denn zu seinen Frühschrif- ten zu sagen? Mabry: Das steht in der Nummer, die ich Ihnen schickte: "Alle sind zur Philosophie be- rufen, oder das Proletariat heute". Ich habe eine ähnliche Kritik an Marx wie an Ihnen, Günther Anders. Sie kommen aus der gleichen Tradition, die deutsche Phi-losophie, das Christentum, die jüdische Religion und auch Marx verfallen am Ende immer wieder dem gleichen Fehler: die Moral wird zum Schluß doch wieder nach außen verlagert. Zuerst schildert er, schil- dern Sie, die Realität: Menschen beuten Menschen aus! Aber zum Schluß landen die Rechte wie die Linke wieder im der Ab- straktion: die einen bei Gott... Anders: (protestiert scharf) Ich bin Atheist! Mabry: Ich auch, vielleicht mehr als Sie. Ich de- battiere deswegen mit dem Volk, den jun- gen Menschen. Anders: Es geht mir um den Menschen. Mabry: Ja, mir auch. Marx auch - sonst hätte er nicht das KAPITAL, die Frühschriften etc. geschrieben. Er fängt mit der Ausbeutung der Arbeitskraft an, aber am Ende ist es dann doch das "Kapital", das die Menschen ausbeutet! Beim Hegel ist es der Weltgeist, bei Marx das Kapital und bei Ihnen die Technik, die Geräte, die uns beherrschen. Vielleicht stimmt das für das Volk, aber nicht für die, die sie erfinden und emp- fehlen - zum Beispiel Einstein, Teller etc. und die Politiker, die den Befehl geben, die Bombe zu bauen, auszuprobieren und abzuwerfen. ten uns als Emigranten, als Herumziehende, Heimatlose keine Kinder leisten. Was mei-nen Sie, das war nicht unsere Absicht: die Abtreibungen, die Kinderlosigkeit. Aber Marx hatte Kinder! Mabry: Nicht er hatte die Kinder. Jenny hatte die Kinder und Engels hat sie finanziert. Das ist nicht dasselbe. Er hatte sie nicht und Sie, Günther Anders, hatten auch nicht die Abtreibungen: Die Frauen und die Mütter hatten und haben die Kinder und die Ab- treibungen! Ich habe ein Kind und hatte eine Abtreibung. Das ist aus meinen Ar- beiten, die Sie leider nicht gelesen haben, zu erfahren. Deshalb kommt auch eine an- dere Philosophie, eine andere Strategie dabei heraus. Darüber möchte ich mit Ihnen reden. Das ist mir ganz wichtig! Anders: Das merke ich. Ihre Stimme ist voll Engagement und Leidenschaftlichkeit, das gefällt mir. Mabry: Bitte gewähren Sie mir das Interview. Anders: Ich glaube, das hat mit mir nicht viel Sinn. Ich bin zu alt. Habe noch so viele Arbeiten fertigzumachen... Mabry: Haben Sie denn keine Hilfe? Anders: Nein. Ich lebe allein. Ich schreibe alles mit der Hand. Das geht noch. Zum Tippen ha- be ich natürlich jemand. Mabry: Ich habe nur ungefähr zehn Fragen, ich kann Sie Ihnen ja mal zuschicken... Anders: Jaja. Das geht jetzt nicht gegen Sie, aber manche Menschen haben sich sehr gut auf ein Interview vorbereitet und fragen mich dann Mystisches, wissen Sie, ob etwas grün oder rot ist, Dinge, einfach wirres Zeug. Mabry: Ich verstehe Sie schon. Aber ich kann Ihnen meine Fragen ja mal schicken, dann können Sie mir sagen oder schreiben, ob es Sie reizt, sie doch noch zu beantworten. Ich glaube, meine Fragen sind anders, als Sie denken. Sie kennen meine Arbeiten nicht. Sie kennen mich nicht. Ich habe starke Kritik an Ihnen. Auf der einen Seite bewundere ich Sie außerordent- lich, aber auf der anderen Seite muß ich Sie auch scharf angreifen. Anders: Warum? Mabry: Weil Sie das Kind vergessen, weil Sie die Gewaltfrage... Anders: Ich muß jetzt weg. Werde abgeholt. Rufen Sie mich wieder an oder ich rufe Sie an. Diese Anrufe werden für Sie zu teuer. Aber was Sie sagen, hat mich sehr inter- essiert. Wie ist Ihre Nummer, Ihr genauer Name - Hannelore... ? 16

Mabry: Schreiben Sie einfach DER FEMINIST, den eine Frau macht. Anders: Ja, das weiß ich, aber Sie haben doch noch einen Namen... Mabry: Mabry. Ich war in 2. Ehe mit einem Ame- rikaner verheiratet. Mein Mädchenname ist Lorley Katz und meine Telefon-Nr. in München 7149187. Bitte rufen Sie zurück, wenn Sie können. Es ist mir so wichtig, mit Ihnen zu sprechen. Anders: Ich muß jetzt weg. Werde abgeholt. Ich schmeiß Sie jetzt aus der Leitung. Ich mei- ne es nicht böse. Lieber Günther Anders, München, 20. 8. 1985 Sieben Monate später - am 23. März 1986 - er- folgte mein dritter Anruf... Anders: Hallo? Mabry: Ja, ist Günther Anders dort? Hallo? Anders: Hier ist Anders. Mabry: Und hier ist die Hannelore Mabry aus München mal wieder - DER FEMINIST. Mein letzter Brief, lieber Günther Anders, blieb ja leider ohne eine Reaktion von Ihnen. Der vom August letzten Jahres. Haben Sie ihn... Anders: Entschuldigen Sie, daß weiß ich wirklich nicht mehr. Ich bekomme jeden Tag einen Sack voll Post und ich beantworte über- haupt gar nichts mehr - da ich überhaupt gar nicht mehr in Frage komme. Sie kön- nen mich abhaken. Mabry: Abhaken? Nein, solange ich Ihre so leben- dige Stimme noch höre... Anders: Meine Stimme ist gar kein Beweis. Mabry: Das haben Sie mir das letzte Mal auch ge- Anders: Was heißt wir? Das ist eine Übertreibung. Mabry: Das ist eine Übertreibung. Das stimmt. sagt, daß Ihre Stimme kein Beweis ist. Aber da ich meine, wir sollten uns doch einmal sehen - es liegt mir so viel... Anders: Richtig, richtig. Ich erinnere mich. Ja, ich war sehr erstaunt - aber wahrscheinlich hat das einen bestimmten raffinierten Grund, daß Sie den männlichen Artikel für FEMINIST gebrauchen? Mabry: So ist es. Anders: Warum tun Sie das? Mabry: Das tue ich, damit Sie... Anders: Seien Sie doch stolz darauf, "DIE" sagen Weil Sie mich bis jetzt ja nicht annehmen wollen. Ich bin doch die Feministin, die die Zeitschrift DER FEMINIST macht, DER FEMINIST... bitte nehmen Sie mich an, erfüllen Sie meinen Wunsch. Seit mich Ihr kritischer Geist berührte und ich mich mit Ihren Arbeiten beschäftige, suche ich die Verbindung zu Ihnen. Suche ich eine Verbindung unserer individuellen Versuche, unserer philosophischen und politischen Bemühungen für eine sinnvolle Moral, für ein sinnvolles politisches Handeln im Atomzeitalter. Ich hoffe noch auf diese humane T a t von Ihnen zu mir. Ich bitte um dieses Gespräch. Ich suche die Begegnung als Praxi s. Sie ist der Beweis unserer Moral. Sie leben noch - wenn auch "uralt und krank"(was ich nicht verdränge - im Gegenteil!) - und ich glaube, Praxis endet mit unserem letzten Atemzug, unserer letzten Annahme, unserer letzten Hinwen- dung zu einem Menschen. Bitte, lieber Günther Anders, nehmen Sie mich noch an, lesen Sie bitte noch den FEMINIST Nr. 12 und den Schluß meines Artikels "Alle sind zur Philosophie berufen..." FEMINIST Nr. 7 und reagieren Sie noch auf meine Versuche, meine theoretischen und praktischen Bemühungen. Ich möchte nicht nur Ihre Arbeiten im FEMINIST besprechen, beurteilen (sehr loben und sehr kriti- sieren), ich möchte vor allen Dingen, daß wir uns noch verstehen, verbinden, verbünden - wenn es möglich ist, wenn es Ihre Lebenskraft noch zuläßt. Mein Bedürfnis danach reicht nicht... auch Sie müßten noch wollen... Darf ich Sie noch besuchen, noch sprechen in Wien? Die Äußerung von John Dewey berührte mich heute und gab mir Mut, meinen dritten Anlauf zu wagen: "Bedürfnisse und Wünsche - aus denen Zwecke und Richtungen der Energie erwachsen - gehen über das, was existiert und also über alles Wissen und alle Wissenschaft hinaus. Sie öffnen kontinuierlich den Weg in die unerforschte und unerreichte Zukunft". Bedürfnisse - Wünsche - sind für mich lebensnot- wendige Praxis. Bitte versuchen Sie mich zu verstehen - zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Sie herzlich Mabry: Ich bin raffinierter als Sie denken. Anders: Wie? Mabry: Ich bin raffinierter als Sie denken, denn den Titel habe ich deswegen gemacht, da- mit Männer, damit Sie einer werden. Denn ich bin ja eine. Ist ja langweilig, ich brauch' mich nicht selbst benennen. Ich hin die Feministin und Sie sollen der Feminist werden. Deswegen rufe ich ja an... Anders: Aber da müssen Sie sich um einen anderen bemühen. Nicht deshalb, weil ich auch nur das mindeste gegen Frauen habe, nicht das mindeste gegen die Selbständigkeit und die Rechte der Frau habe. Im Gegenteil. Aber mich dazu zu ernennen, wie Sie... Mabry: Lieber Günther Anders... Anders: Ich hin inzwischen 84 und pfeife aus dem letzten Loch. Soll denn der Feminist aus dem letzten Loch pfeifen? zu können. Warum müssen Sie sich unseren Artikel... es grüßt Mabry: Es ist so, es ist leider so, die jungen Män- ner... Anders: Nein, nein... 17

Mabry: die Jungen, mein lieber Anders, die Jun- gen wollen es noch viel weniger. Denn der Feminist... Anders: Aber ich kann doch aus dem Loch nur noch für ein paar Minuten oder paar Ta- ge oder paar Wochen pfeifen. Das ist doch falsch, mir diese Position zu geben. Mabry: Ich brauche Sie. Ich brauche Sie aus fol- gendem Grund. Ich bin zwar n' paar Jahre jünger als Sie, Jahrgang 30, sagte ich Ihnen letztes Mal schon. Ich bin in der Mitte, Mitte bis Ende. Ja, laut Statistik habe ich etwas mehr Chancen, noch ein paar Jahre zu bekommen. Andererseits, diese paar Jahre können auch die Hölle werden, das wissen Sie ja, nicht? Anders: Ja natürlich. Mabry: Und deswegen, weil Sie und ich wissen, daß sie die Hölle werden können, möchte ich mit Ihnen sprechen. Und es gibt jetzt sogar eine Chance: ich habe nämlich einen Vortrag in Wien - in der nächsten Woche spreche ich bei den Freidenkern zum The- ma: "Warum der liebe Gott abgeschafft werden muß". Das ist zwar nötig, ihn abzuschaffen, aber noch immer nicht geglückt! Ihr Männer, die das Christentum abschaf- fen wolltet, - Frauen haben an der Arbeit übrigens mitgeholfen! - , habt es ja auch noch nicht geschafft. Das haben schon et- liche Menschen versucht - Männlein wie Weiblein... Anders: Es ist wirklich vergeblich, daß Sie mich versuchen, ich bin nicht mehr...Sie dürfen nicht mehr mit mir rechnen... Mabry: Sie sind noch geistig... Anders: Nein, wenn Sie ... Mabry: Ihr Geist ist noch ganz da. Sie sind nicht wie meine Mutter völlig geistig weggetre- ten... Anders: Nein. (sehr lebhaft) Ich bin geistig noch da und habe die Dinge, die ich geistig noch machen kann zu verwenden, um ge- gen Reagan zu kämpfen, gegen Ronald Reagan. Gegen den schreibe ich ein Buch, und dafür muß ich meine gesamte Kraft verwenden. Und es tut mir leid, ich kann nicht als Feminist meine Kraft noch zer- splittern. Mabry: Angenommen, das Buch wird fertig... Anders: Sie glauben ja nicht, wieviel halb ange- fangene Bücher hier - weil ich Jahre und Jahrzehnte nicht zur Arbeit kam - liegen. Das muß ja alles fertiggemacht werden... Mabry: Ja, noch fertiggemacht... (Günther Anders legt auf) Lieber Günther Anders, München, 27. 3. 86 niedrig und unheilig versichere ich Ihnen, daß ich Sie mit diesem Brief zum letzten Mal bitte, zum letzten Mal störe, zum letzten Mal ein paar Minu- ten von Ihrer Arbeit abhalte. Bitte verstehen und verzeihen Sie diese letzte Störung. Ich wollte und will nach wie vor alles andere, als daß wir uns kränken und verletzen und ich glaube, daß die eine oder andere Äußerung und Handlung am Sonntagnachmittag - von Ihrer wie von meiner Seite - in erster Linie was mit Phänomenen wie Temperament, Ungeduld und Engagement zu tun hat. Dennoch, grußlos einem Bittende/n stehen- zulassen, finde ich nicht angemessen. Denn nach wie vor gehe ich davon aus, daß Ihnen so ernst und wichtig wie mir die Beendigung der Politik atomarer Bedrohung, Vergwaltigung und Ausbeutung, ja der Menschenverachtung und - vernichtung ist. Seit ich im Frühjahr 1986 das Interview in der ZEIT gelesen hatte, wünschte ich mir von ganzem Herzen, daß Ihre und meine Versuche und Arbei- ten, die diesem politischen Ziel dienen, sich noch ergänzen, verbinden, gegenseitig stützen und unterstützen würden, sollten. Dazu reichte aber nicht, daß ich mich wochen- bzw. monatelang mit Ihren ausgezeichneten, ja hervorragenden Analysen auseinandersetze (sie auch im nächsten FEMINIST besprechen werde), dazu hätten auch Sie zumindest einen Grundsatzartikel von mir lesen müssen. Wenn wir uns als politische Opposition - zum Bei- spiel gegen Reagan - nicht zu einer gemeinsamen Analyse und Strategie annähern und verbünden, "wir" werden wollen, werden wir wenig ausrichten. Ich glaube nicht, daß ein paar Einzelkämpfe- r/innen - und seien sie noch so genial als Theo- retiker und Praktiker - jede/r im Alleingang bzw. einer Handvoll Gleichgesinnter hinter ihr/sich einen konventionellen oder atomaren Krieg ver- hindern kann. Seit Jahren erlebe ich es: die Zahl der Menschen, die tatsächlich dafür arbeiten, den totalen Holo- caust zu verhindern, ist klein und zerstritten. Verbindendes und Gemeinsames wird kaum noch gesucht, praktiziert, gar gepflegt! Sowohl analytisch wie strategisch ist's ein Verhau! Ob verbildet oder/und gebildet, in der Praxis und in der Theorie: der Machtkampf tobt und die kri- tische Wissenschaft bleibt dabei auf der Strecke bzw. läßt sich von der einen oder anderen Seite kaufen - manche nennen sowas dann Wertfreiheit. Max Weber hatte sich eine andere Theorie und Praxis vorgestellt, aber wer liest ihn und studiert seine politische Praxis kritisch? Es freut mich sehr, daß wenigstens Sie sehr viele Leser/innen gefunden haben. Als Soziologin inter- essiert mich das genauso wie als aktive Feministin, wieviel Zuschriften zum Beispiel das Interview in der ZEIT einbrachte? Veröffentlicht wurde ja nicht allzuviel. Mein Beitrag landete auch im Pa- pierkorb von Raddatz. 18

Aber welche Hoffnung keimte auf nach Ihrer Antwort. Nicht nur ich persönlich, unsere ganze Gruppe hoffte, daß es noch zu einem Dialog, wenigstens zu einem Interview für den FEMINIST kommen würde. Später - am Telefon - betonten Sie mehrmals, daß Sie für die Gleichberechtigung der Frauen seien. Gleichberechtigung mit wem? Mit Männern? Darüber wollte ich u.a. mit Ihnen reden. Denn ich fordere keine Gleichberechtigung, ich fordere un- gleiche (kompensatorische) Rechte für Ungleiche. Allerdings Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, von Reichen und Armen von Raddatz und Mabry von DIE ZEIT und DER FEMINIST wäre zumindest mehr als das, was wir haben! Ich bin aber, wie gesagt, für Privilegien für die Armen, für besondere Beachtung und Förderung der Frauen, der Schwarzen, der Atheisten etc., nachdem man sie Jahrtausende unterdrückt hat. Wie praktizieren Sie diese "Gleichberechtigung der Frauen", lieber Günther Anders? Warum empfangen Sie Raddatz von der ZEIT, warum unterstützen und vertrauten Sie Nenning vom FORUM und warum gewähren Sie Mabry kein Interview für den FEMINIST? Wie kann man f ü r etwas - zum Beispiel Gleichberechtigung - sein, aber gleichzeitig sein totales Desinteresse - zum Beispiel an der poli- tischen Theorie und Praxis der Frauenbewegung - manifestieren? Und dies in Wort und Schrift? Außer Hannah Arendt, die sich meines Wissens aber nie zur Frauenbewegung bekannte (oder?), scheinen sie die geistigen Werke von Frauen wie der Teufel das Weihwasser gemieden zu haben. Warum widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich den Tätern - dem "bürgerlichen" und dem "linken" Establishment, statt denen, die Widerstand gegen diese "Kultur" leisten, denen, die demonstrieren, blockieren, sich kriminalisieren und ihre Arbeitsplätze verlieren? Warum versagen Sie Ihre Hilfe den Frauen, den Feministen, die Ihre Bücher ernsthaft studieren, die gegenseitige Unter- stützung anstreben? Glauben Sie, daß eine Theorie, die sich von der Praxis löst, die sich durch Abstraktion am Ende geschlechtsunspezifisch entpuppt, und so die Täter immer mehr aus den Augen verliert, die Opfer noch als die ihre annehmen, verstehen können und, daß so eine Theorie ihnen Entscheidungshil- fen zu überleben an die Hand gibt? Machen Sie nicht die Technik - wie Marx das Kapital und die Christen die Unendlichkeit, das ALL - zum "Gott"! Untersuchen wir die Männer lieber genauer, die da immer sehen, daß sie "hoch und "heilig", berühmt und mächtig werden, diese Größenwahnsinnigen, die uns schon immer in Kriege manipulierten und hineinzwingen wollten: irgendwelche Götter und Göttinnen benötigten sie immer dazu, damit die Sache auch klappte. Ich interessiere mich nicht sehr für das "ewige Leben", sondern mehr für die Zeit bis zu meinem Tode und wär' auch für einen natürlichen Tod an- statt für einen kulturellen (Mord und Massenmord durch ganz bestimmte Menschen) für alle Men- schen - dafür arbeite ich theoretisch und prak- tisch, halt so gut ich es vermag... Hier und heute wollt' ich noch mit Ihnen über Ihre Analysen sprechen, meine Bewunderung und mei- ne Kritik an der "Antiquiertheit des Menschen" - auch an der Antiquiertheit des Günther Anders - ausdrücken. Mir lag sehr viel an diesem Gespräch, ich dachte, auch Sie wären geistig noch offen für den/die Andere/n, für politische Frauen. Deshalb schrieb ich, rief ich an, schreibe ich heute zum letzten Male. Solange Frauen und Feministinnen nicht geöffnet wird, wenn Sie um Einlaß bitten, erleben sie das Patriarchat. Ich hatte gehofft, daß Sie mich noch empfangen, noch offen für feministische Analysen sein wür- den, ein paar Schritte noch gemeinsam gegen das Patriarchat mit mir versuchen würden. Vielleicht überlegen Sie sich die Sache mit dem "wir" doch noch einmal und rufen mich an, wenn ich in Wien bin? Ich komme am Donnerstag, den 3. April an und werde am Freitag um 20 Uhr auf Einladung der Freidenker einen Vortrag über "Feminismus und Religion" im Haus der Begeg- nung, Rundolfsheim, Ausstellungshalle, Schwen- dergasse 41, halten und am Samstag, den 5. April, mit zwei Feministen einen Infostand in der Nähe des Stephansdoms aufbauen, um den FEMINIST in Wien unter das Volk zu bringen. Telefonisch bin ich früh morgens und spät abends unter der Tel.- Nr. 325016 (Kalandra) zu erreichen. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß ich Sie gegen Ihren Wunsch aufsuche. Hausfriedensbrüche - auch Asyl - suche und begehe ich nur in Kir- chen (Münchner Liebfrauendom z. B. und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag - siehe Bei- lage), auf Parteitagen und in Parlamenten. Ich "nötige" nur Militaristen und Personen, die die Macht haben, Gesetze gegen das Volk zu erlassen. Wer mich nicht ängstigt und bedroht mit seinen Werken (auch geistigen), den lasse ich in Frieden, wenn er nichts mehr von mir hören oder sehen will. Und ich verstehe bis jetzt nicht, warum Sie am Sonntag den Hörer auflegten. Was hat Sie denn verärgert, so verärgert, daß Sie grußlos das Ge- spräch abbrachen? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir wenigstens das noch erklären könnten, und warum Sie auf keinen Fall mit "Feminismus" (von dem Sie nach eigener Aussage nichts verstehen - das glaube ich Ihnen auch aufs Wort!) mehr etwas zu tun haben wollen - noch nicht mal theoretisch? Ihre Bücher und auch Ihre Reaktionen auf meine Briefe und Anrufe sind für mich jedenfalls von unschätzbarem Wert für meine theoretischen und praktischen Arbeiten und deshalb danke ich Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Spontanität und Deutlichkeit. Mit einem letzten Lebenszeichen von Ihnen, das mir noch eine Erklärung für das abrup- te Ende unseres Telefonates geben würde, nähm' 19

ich am 6. April aber sicher lieber Abschied von Wien. Mit allen guten Wünschen für Sie - und besonders für die Arbeiten, die Ihnen noch am Herzen liegen - verabschiede ich mich von dem Mann nun, der partout nichts vom Feminismus wissen will... 4. Telefonat - Am 1. April 86 ruft Günther Anders aus Wien an. Das Gespräch dauert unge- fähr eine Viertelstunde Anders: Ist dort Hannelore Mabry? Mabry: Ja, hier spricht Mabry. Anders: Hier Anders. Ich wollte Ihnen für Ihren Brief danken. Sie haben mich mißver- standen. Es geht nicht gegen Sie, aber ich kann nichts Neues mehr an mich heranlas- sen. Ich sagte Ihnen, ich bin bald 84 Jahre alt und krank. Wenn ich keine Schmerzen habe und arbeiten kann, muß ich schrei- ben. Die Sachen, die ich noch fertigbe- kommen möchte. Ich habe alle Kontakte nach außen abgebrochen und sitze hier und pfeife aus dem letzten Loch. Ich kann nichts mehr an mich heranlassen. Mabry: Ja, das weiß ich und verstehe ich. Aber ich hatte eben gehofft, daß Sie mir noch helfen könnten. Ich brauche Ihre Hilfe. Anders: Ich kann nichts Neues mehr an mich he- ranlassen. Die Kraft habe ich nicht mehr. Ich bin uralt. Dieses Herz muß ich zuhalten mit meinem großen Daumen. Ich merke es an Ihren Briefen. Sie sind soziologisch sehr gebildet. Nicht so ein feministisches Geschwätz - so wie EMMA. Ich finde interessant, was Sie sagen. In fast allem stimme ich Ihnen voll zu. Aber ich bin wirklich zu alt, um mich noch auf Ihre Arbeiten einlassen zu können. Mabry: Ich hatte gehofft, daß Sie wenigstens noch einen Aufsatz von mir lesen könnten und mir ein Vorwort für mein seit langem ge- plantes Buch schreiben würden. Robert Jungk hat Ihnen auch ein Vorwort für das Hiroshima-Buch geschrieben. Männer hel- fen, stützen sich gegenseitig. Sie häkeln an ihrer Berühmtheit... Anders: Sie sehen die Männer falsch. Männer hä- keln nicht an ihrer Berühmtheit. Höchstens einzelne. Brecht zum Beispiel. Der hat sei- ne Berühmtheit richtig inszeniert. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Er ist ein ganz großer. Mabry: Ich meine, sie stützen sich gegenseitig, sie zitieren sich gegenseitig und die meisten nehmen Frauen geistig nicht wahr. Anders: Das stimmt nicht. Sie schreiben, daß ich außer Hannah Arendt niemand wahrge- nommen habe. Sie und ich, wir haben uns in Paris am Zug getrennt - schon 1950 20 (Das Telefonat dokumentierte ich zwar gleich, aber nicht jede Äußerung blieb genau und wörtlich in Erinnerung - z.B. könnte es auch 1951 gewesen sein. Ich versuchte, die Individualität und die meiner Ansicht nach wesentlichsten Sätze nach bestem Wissen und Gewissen festzu- halten). Ich habe ein Buch über große Frauen ge- lesen. Ich lese Frauen. Noch zum Vorwort. Ich würde mir für ein philosophisches Buch von Jungk kein Vor- wort schreiben lassen. Von niemand. Das muß aus sich selber wirken. Mabry: Sie sind berühmt. Da ist ein Vorwort nicht mehr nötig. Anders: Ich bin nicht berühmt. Ich bin bekannt. Mabry: Ich wollte vor Jahren, daß Marcuse mir ein Vorwort schreibt. Ich habe mit ihm auch einen Briefwechsel begonnen - da war er schon 80 Jahre alt. Aber er ist gestorben, bevor es noch dazu kommen konnte. Anders: Ja, er ist ganz plötzlich gestorben. Mabry: Ja, leider. Deswegen brauche ich ja Hilfe. Marxisten reagierten in den 70er Jahren nicht auf meine Marxanalysen. Sie lasen sie gar nicht - die meisten sind eitel und arro- gant, die rechten wie die linken Intellektu- ellen. Wenn die Männer älter werden, kommt manchmal ein wenig mehr Begreifen zu- stande - vor allen Dingen, was die Kinder- f rage betrifft. Denn die Frauenfrage ist gar nicht die Frauenfrage. Die Frauenfrage ist die Kinder- und die Väterfrage. Anders: Das ist richtig. Das gefällt mir, wie Sie das formulieren . Mabry: (lacht) Anders: Mir gefällt auch Ihre Lache. Sie klingt nicht feministisch. Sie reden nicht wie eine Feministin. Mabry: Lieber Günter Anders, Sie wissen gar nicht, was ich unter Feminismus verstehe. Ich beschäftige mich historisch und wis- senschaftlich seit zwanzig Jahren damit. Sie klammern sich auch noch an die Eier- schalen des Marxismus. Ich habe Ihnen ja zu Ihrer "Antiquiertheit" schon was ge- schrieben. Ihre Analyse endet auch in der Abstraktion - wie die von Marx. Besser, Marx wäre bei der Analyse der Ar- beitskraft geblieben, statt den unnötigen, ja sogar falschen Schritt von der Ware "Ar- beitskraft" zum Wert aller anderen "Waren" zu versuchen. In den Waren ist die Aus- beutung der Arbeitskraft nur noch abstrakt, nicht mehr konkret zwischen Frauen und Männern, In- und Ausländern etc. nachweisbar. Sie machen dasselbe wie Marx mit dem Kapitalverhältnis, mit der "Technik": alle Menschen werden ununter- scheidbar, die eigene Verantwortlichkeit zur Nebensache. Die religiösen Dogmatiker haben sich dafür "Gott" geschaffen.

Anders: Ich bin kein Marxist. Das mit den Eierschalen stimmt nicht. Marx hat unerhört wichtige Analysen gemacht. Ich bin aber kein Ökonom, sondern ein Philosoph, ein Dichter. Kennen Sie meine Märchen? Ich würde lieber über Mahler...das Buch über Mahler lesen, als an Reagan ...über Reagan schreiben... Mabry: Meinen Sie, Reagan wird es lesen? Einen Dreck wird er. Menschen wie ich le- sen Ihre Bücher. Deshalb sollten Sie mit diesen Menschen reden, denen helfen, die ständig etwas gegen eine menschenverach- tende, Massenmord einkalkulierende Politik tun. Ich hatte inständig gehofft, daß Sie mir ein Vorwort schreiben. Anders: Wie kann ich Ihnen ein Vorwort schrei- ben, wenn ich Sie nicht gelesen habe? Das geht doch nicht. Mabry: Nein, das geht nicht. Das ist richtig. Deshalb wollte ich, daß Sie wenigstens einen Aufsatz lesen. Anders: Aber ich kann mich damit nicht mehr wo chenlang beschäftigen. Vor vierzig Jahren hätten wir uns begegnen müssen. Jetzt ist es zu spät. Wären Sie jetzt hier, würde ich Ihnen wegen Ihres Briefes ein Bukett schicken. Glauben Sie mir. Ich will Ihnen nichts Böses. Es geht nicht gegen Sie. Ich finde auch sehr richtig, was Sie da über Gleichberechtigung geschrieben haben. Es geht nicht um gleiche Rechte. Es geht um besondere Rechte für die Frauen. Da stim me ich Ihnen voll zu. Aber ich kann Sie nicht mehr empfangen. Mabry: Hm... Anders: Na, rufen Sie mich an, wenn Sie am Don nerstag nach Wien kommen. Wir werden sehen, wie es mir dann geht. Vielleicht das wir wenigstens nochmal miteinander tele- fonieren können. Es geht nicht gegen Sie, glauben Sie mir. Es gefällt mir ja auch, daß Sie mich wahrnehmen, sich mit all' diesen Dingen beschäftigen. Aber ich lese nicht mehr. Ich kann Ihnen nicht mehr nutzen. Na rufen Sie an, wenn Sie in Wien ange- kommen sind. Jetzt muß ich Schluß ma- chen. Mabry: Ich danke Ihnen für den Anruf. 5. und letztes Telefonat mit Günther Anders in Wien am 5. April 1986 von einer Telefonzelle aus - Dauer ca. 7 Minuten. Mabry: Hier ist Hannelore Mabry in Wien. Hannelore Mabry aus München. Ich hatte schon versucht, Sie am Donnerstag zu erreichen und gestern... Anders: Ich war nicht zu Hause. Ich habe Krankendienst gemacht bei einer guten Freundin von mir. Mabry: Ich hatte schon gedacht... Anders: Es war so viel los. Ich war gar nicht in der Wohnung - bin erst heute zurückge- kommen vom Krankendienst. Ein Philo- soph als Krankenpfleger. Mabry: Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Ich dachte, vielleicht sind Sie selbst ins Kran- kenhaus gekommen, oder... Anders: Ich geh nicht mehr ins Krankenhaus. Ich kurier mich selbst. Mabry: Ah, Sie gehen nicht mehr ins Kranken- haus. Anders: Ich laß nicht mehr an mir rumdocktern. Ich hab genug von dem allen. Ich behandel mich selbst. Ich laß niemand mehr an mich ran. Ich habe hier alles. Ich weiß, was ich machen muß. Ich hab genug von der Medi - zin. Mabry: Ja, fürchterlich. Ich habe Anfang des Jah- res - da ist eine von uns auf der Inten- sivstation gewesen - eine Woche dort zu- gebracht... bis zu ihrem Tod. Das ist ja ein SS- Keller gewesen. Fürch- terlich, ganz schrecklich... Anders: Ja, ich bin erst heute zurückgekommen von meiner Krankenpflegearbeit. Es war hier viel los und alles ist liegengeblieben. Wer sind Sie nochmal? Entschuldigen Sie, ich bin ein uralter Mann und alle Welt will was von mir - Vorworte, Interviews... und ich vergesse dann einiges. Helfen Sie mir bitte: wer sind Sie? Mabry: Ja, ich bin die... von DER FEMINIST. Wissen Sie, wir haben telefoniert... am Dienstag. Anders: Ja, jetzt weiß ich. Ja, ich weiß genau. Sie sind noch da? Sie wollten doch Donnerstag kommen? Mabry: Ja, und ich wollte eigentlich am Sonntag zurückfahren. Heute sind wir hier am Stephansdom mit einem Infostand. Ich bin hier in einem Häuschen. Anders: Wo sind Sie? Im Vorstand? Mabry: Nee, Vorstand ist mir sowieso egal. Nein, wir haben hier einen Stand, einen Infor- mationstisch mit unserer Zeitschrift und frieren uns den Hintern kalt. Ein entsetz- licher Wind hier... Anders: Wieso den Hintern? Sie können sich doch höchstens das Gesicht und die Hände er- frieren - doch nicht den Hintern! Mabry: Meinen Sie...(Lachen). Ich habe meinen Liebestöter in München vergessen und des- halb habe ich jetzt einen eiskalten Popo. Also, ich wollte Sie fragen, weil hier alles fürchterlich war, alles, was ich bis jetzt in Wien erlebte, war fürchterlich... Deshalb wäre der einzige Trost, wenn wir doch noch ein kurzes Gespräch auf Tonband für den FEMINIST aufnehmen können. Als guter Abschied von Wien. Sehen Sie, jetzt haben Sie Ihre Freundin gepflegt und nun tun Sie mir noch was für die Seele... 21

Anders: Was habe ich mit Ihrer Seele zu tun? Was oder? ist überhaupt eine Seele? Es geht Ihnen doch um etwas anderes. Sie wollten doch ein Interview. Mabry: Das stimmt. Anders: Was hat also damit die Seele zu tun? Mabry: Die Seele hat damit auch was zu tun. Seit einem Jahr versuche ich, daß wir zwei... Anders: Ich bin für die Seele nicht gut. Mabry: Sie sind für die Seele nicht gut? Anders: Ich versteh mich nicht auf Seele. Mabry: Ich hab ja keine göttliche... Ich bin ja niedrig und unheilig - so habe ich meinen letzten Brief jedenfalls begonnen - als ich ganz wütend war, als Sie aufgelegt hatten. Bitte lassen Sie uns noch ein kurzes Ge- spräch haben - drei, vier Fragen zur "An- tiquiertheit". Weil ich darüber so gerne noch mit Ihnen gesprochen hätte. Ich weiß ja, ein FEMINIST werden Sie nicht mehr. Das haben Sie mir ja gesagt. Aber vielleicht können wir doch... Anders: Hören Sie: Ich b i n ein Feminist. Ich brauche keiner zu werden. Ich bin immer für die Rechte von Frauen gewesen. Mabry: Ein Feminist... ja, einesteils sind Sie's. Aber weil ich ja diesen Begriff - ich sagte Ihnen ja letztesmal schon - "weiter" sehe: Ein Feminist ist für mich ein Kinderrecht- ler, ein Mensch, ein politischer Mann, der begreift, daß die Frauenfrage a) die Kin- derfrage ist und außerdem b), daß der Mann da eine spezifische Aufgabe hat - nicht nur sagt: Ich finde das ja gut, und Ihr sollt Euch emanzipieren, sondern... Anders: Hören Sie, ich kann mich damit nicht mehr beschäftigen. Ich muß meine Arbeit zu Ende bringen. Ich bin uralt. Mabry: Ja, ich weiß... Anders: Ich bin ein Klappergreis. Mabry: Ja, dann lassen Sie mich dem Klappergreis mal die Hand geben und... Anders: Ich bin nicht der richtige Mann für diese Sache. Mabry: Ja, das sagten Sie... aber warum wollen wir uns denn nicht kurz...ich bin alle fünf Jah- re mal in Wien - wenn überhaupt - und ich habe von diesem Besuch so die Nase voll... daß ich, wenn ich noch etwas Posi- tives mitnehmen soll... dies ein kurzes Gespräch zwischen uns auf Tonband wä- re Anders: Sie müssen jemand anders als mich finden Mabry: Wen denn? Anders: Interviewen Sie (Name nicht verstanden) oder Waldheim. Mabry: Zu Waldheim soll ich gehen? Nein! Dieser Witz ist zu schlecht für Sie! Ich meine, vielleicht haben Sie auch ein bißchen Ge- nuß davon, wenn wir noch ein paar Ge- danken... Anders: Sie sind aber ganz schön selbstbewußt! Mabry: Warum sollen nur Sie Selbstbewußtsein haben? Einer Frau steht es genauso an - Anders: Ja sicher. Wann wollen Sie mich denn sprechen? Mabry: Ginge heute? Anders: Das ist ausgeschlossen. Ich habe Ihnen ge- sagt, ich bin 84 Jahre und ich achte zwar Ihre Ziele und die Dinge, für die Sie sich einsetzen. Aber ich kann keine Vorwörter mehr schreiben, keine Interviews mehr ge- ben. Von mir wollen so viele Leute was. Wie kann ich Ihnen das einpauken? Mabry: Mir hat man nie etwas einpauken können. Entweder will ich lernen - und das will ich auch meistens - ich bin am Lernen sehr interessiert, ich bin auch an Ihnen als Mensch sehr interessiert... Anders: Aber ich will nicht mehr. Sie müssen das einsehen, sonst empfinde ich das als auf- dringlich. Ich wollte das so nicht sagen. Aber ich empfinde das sonst so. Ich möch- te kein Interview mehr geben und ich ver- abschiede mich jetzt. Bitte verstehen Sie das. Im August 1986 gewährte Anders den Interviewern. Heiko Ernst für PSYCHOLOGIE HEUTE und we- nig später Manfred Bissinger für das Umwelt- magazin NATUR und auch noch im Sommer 1987 einem Journalisten der FRANKFURTER ALL- GEMEINEN ein längeres Gespräch. Da man eine Aufforderung zur Gewalt nicht drucken wollte, machte die FAZ auf Wunsch des Herausgebers vor Drucklegung jedoch einen Rückzieher - man be- fürchtete "juristische Konsequenzen". Unter dem Titel "Die Besudelung" erschien das Interview dann am 14. 7. 87 in der taz. Die obigen Interviewer betonen, daß Anders täg- lich noch acht Stunden geistig arbeite. Gab bei Günther Anders das Geschlecht des In- terviewers oder der Name und die Auflagenhöhe der Zeitschrift - vielleicht auch beides zusammen? - den Ausschlag, auch noch "uralt" ein Interview zu geben? Aber fahren wir jetzt erstmal fort mit der Korrespondenz: Lieber Günther Anders, München, den 17. 10. 90 obwohl inzwischen drei bis vier Jahre seit unserem letzten Telefonat vergangen sind und Sie sicher selbst verwundert sind, daß Sie "obwohl uralt und krank" noch immer lebendig sind, hoffe ich, daß Sie sich noch an meine Briefe und unsere Telefo- nate über Feminismus erinnern? Hier meldet sich Hannelore Mabry und freut sich ganz mächtig, daß sie morgen nach Wien fährt, um Günther Anders noch einmal zu sehen und zu hö- ren - und wenn möglich - um unser Gespräch fortzusetzen, das mir nach wie vor am Herzen liegt. Im FORUM las ich, daß ein "Internationales Günther- Anders-Symposion" stattfindet und so 22

lasse ich drei Tage die Arbeit am FEMINIST Nr. 21 ruhen, um daran teilzunehmen. Ich selbst bin mir treu geblieben und setze weiter- hin meine Kräfte gegen das "Patriarchat" ein und gerate dehalb sogar stundenweise hinter Gitter - siehe Beilage über unsere mit Gewalt aber ohne Recht verhinderte feministische Papstbegrüßung in München 1987 - es folgten fünf Prozesse! Meiner gegen den Freistaat wegen rechtswidriger Festnah- me etc. und vier gegen mich... Der erste Prozeß ist noch immer ohne rechtskräfti- ges Urteil und den letzten habe ich mir eingehan- delt, weil ich mit einer zweiten Frau die Brüs- kierung unserer Volksvertreterinnen für dringend nötig hielt. Anläßlich der Verabschiedung von menschenunwürdigen Polizeiaufgabengesetzen (PAG) im März 1989 in Bayern, hielt ich unseren "VertreterInnen" - mich haben sie noch nie ver- treten können - ein Bettuch mit der Aufschrift RECHT WIRD BEERDIGT! über die Brüstung der Zuschauertribüne und warf das beiliegende Flug- blatt in den Saal. Dieser Prozeß wegen Störung des Parlaments geht auch in die II. Instanz und wird sicher mit meiner Verurteilung enden. Wir leben ja jetzt wieder in Deutschland und die Stasi-Methoden sind ebenso- wenig Vergangenheit wie die Nazivorstellungen und -of fenbarungen. Ich freue mich deshalb auf Wien und hoffe, daß wir diesmal vielleicht sogar zu einem Gespräch - nicht nur am Telefon - kommen. Auch wenn Sie kein Vorwort für meine Aufsatz- sammlung schreiben, denn diese habe ich bis heute nicht mit einer Einleitung und einem Nachwort versehen können. Wer weiß, ob ich überhaupt nochmal dazu komme. Praxis ist mir mein ganzes Leben lang noch wich- tiger gewesen. Wer weiß, ob in 10, 50 oder hun- dert Jahren noch Menschen leben, lesen? Heute müssen wir uns wahrnehmen und miteinan- der handeln - in diesem Sinne auf bald Leider war Günther Anders aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, selbst am Symposion vom 18. - 21. Okt. 1990 teilzunehmen. Es wurden ein von Konrad Paul Liessmann mit Anders geführtes Gespräch als Videoband zur Be- grüßung übertragen und sehr interessante Vorträge gehalten. Liessmann, der Herausgeber der Vorträge schreibt dazu in seiner Einleitung von "Günther Anders kontrovers"(1992): "Die heftigen Ausein- andersetzungen, zu denen das Symposion provo- zierte, das Interesse und die Resonanz, auf die es auch in einer breiteren Öffentlichkeit stieß, legitimieren nicht nur die Drucklegung der Sym- posionsreferate, sondern dokumentieren auch die ungebrochene Aktualität von Anders' Denken, un- terstreichen, daß sein Leben und Werk eine He- rausforderung bedeutet, der sich die Referenten bewußt und auf hohem Niveau zu stellen bereit waren." Der zu seinem 90. Geburtstag herausgekommene Band enthält auch eine ausführliche Anders-Bio- graphie. Ich habe die Reise nach Wien nicht bereut und habe auch meine bereits Anders gegenüber geäußerte Kritik hier in die "heftigen Auseinan- dersetzungen" miteingebracht. Es folgt mein letzter Brief an Günther Anders: Offener Brief Lieber Günther Anders, München, den 27. 10. 91 beim Aufräumen fiel mir Ihr Interview "Von Notstand und Notwehr" (NATUR, Nr. 12 / 1986) wieder in die Hände und nach erneuter Lektüre treibt es mich, Sie inständig zu bitten - vielleicht in Ihrem Testament - zwei/drei Sätze zu wider- rufen. Es reicht nicht, daß Sie von anderen kritisiert wurden und werden. Ich hoffe, daß Sie es noch selber "tun". Ihre Behauptungen können Sie vor Kindern so nicht verantworten, sollten so nicht stehen bleiben. Sie sind irreführend und dema- gogisch. Sie formulierten: "...daß Gewalt - wenn mit ihrer Hilfe Gewalt- losigkeit durchgesetzt werden soll und nur mit ihrer Hilfe durchgesetzt werden kann -, unsere Methode sein muß..." und "...durch Hoffnung wird niemand agieren. Jeder Hoffende überläßt das Besserwissen einer anderen Instanz...Ich glaube, Hoffnung ist nur ein anderes Wort für Feigheit..." und "...sobald hunderttausend zusammen sind, wird automatisch ein lustiges Volksfest daraus." Wegen Tschernobyl kamen übrigens hauptsächlich Frauen und Mütter zusammen. Männer und Väter schienen weniger besorgt. Und wegen Tschernobyl habe ich auch nirgends hunderttausend gesehen. Leider! Frauen und Mütter sind in der Regel nur in klei- nen Gruppen aktiv. Bei patriarchalischen Massen- veranstaltungen gehen sie eher unter und für eine von Frauen organisierte "Seniorenblockade" in Mutlangen interessierten sich zum Beispiel die patriarchalischen Medien nicht. Auf Fußball- und nicht zuletzt auf Kriegs- schauplätzen kamen und kommen übrigens weit häufiger als vor US- Kasernen und vor A KWs und WAAs (wo nach Ihrer Ansicht "die schon halb Einsichtigen" zu hunderttausend zusammenkamen) Tausende von Menschen - meist Männer - zusam- men und es werden in der Regel weder dort noch da automatisch "lustige Volksfeste" draus. Vielleicht wird sich die Einstellung der Frauen und der Medien noch ändern, wenn zur Verteidi- gung des Vaterlandes, der Nation oder/und ande- rer unheiliger Institutionen die militärische Erziehung auch für junge Frauen weltweit einge- führt wird, weil der Befehl "zum Mitmachen" in den letzten Jahren von jungen Männern etwas zögerlicher befolgt wird! 23

Denn die Verblödung der Männer - und vor allem der Schweizer Bevölkerung - scheint abzunehmen: fast 40 Prozent sind da bereits für Abschaffung der Armee! Immerhin, das sind Initiativen und Folgen von denen, die Sie als "Unmündige" schon abgeschrie- ben und aufgegeben haben. Ihre Schwarz-Weiß-Zeichnung haut nicht hin: auf der einen Seite der als Einziger von den Mas- senmedien verschonte Günther Anders und auf der anderen Seite die Masse "genudelter Gänse"! Es kommt auch nicht darauf an, ob der Knabe Franz Josef Strauß oder das Mädchen Ulrike Meinhof in ihrer Gymnasialzeit etwas gelernt haben, sondern darauf, daß Kinder, Jugendliche und Erwachsene lebenslang lernen und besonders für das Leid, das verbrecherische Regierungen ihrem unsd anderen Völkern zumuten, sensibler werden. Die größten Kriegsverbrecher können ein abge- schlossenes Hochschulstudium - nicht selten mit Auszeichnung! - nachweisen... Von klein auf erlebte ich Gewaltverhältnisse und meine Hoffnung, sie abzuschaffen oder wenigstens zu mildern, bezog und beziehe ich aus den Frauen und Männern, die gewaltfrei dafür kämpften und die dafür sogar ihr Leben ließen und aus denen, die es weiterhin tun. Alle diese gewaltfreien Kämpferinnen benötigen unsere Solidarität, auch Ihre Solidarität. Wenn wir nur einen Zentimeter weiterkommen wollen, müs- sen wir uns gegenseitig helfen. Wir sind aufein- ander angewiesen. Deshalb nahm ich 1985 und noch einige Male Kontakt zu Ihnen auf - dem "Verfasser von Kampfthesen", der es wahrlich ver- dient, geachtet und attackiert zu werden. Deshalb hoffe ich auch auf Ihren Widerruf! Wer Gewalt mit Gewalt beantwortet, bleibt Ver- gewaltiger, erhält das patriarchalische, das Ge- waltsystem. Auch Jesus, falls er - wie in der Bibel steht - mit dem Schwert kam und durch Gleich- nisse das Volk manipulieren wollte - "auf daß sie sehend nicht sehen und hörend nicht ver-stehen" (Luk 8,9 ) -, war ein Patriarch, ein Gewaltanwen- der. Gerade wegen der "Doppelstrategie" (mit und ohne Gewalt) bekämpfe ich das Christentum, den Islam, die jüdische Religion und den Marxismus und alle Abstraktionen wie "Gott", "Kapital", "Technik", "Medien", "Männer", "Frauen" etc. Und ich finde es auch verantwortungslos, wenn Sie oder irgendein Mensch Kindern weismachen will, daß durch Drohung mit und Anwendung von Gewalt eine humanere, gar gewaltfreie Gesell- schaft erreichbar sei! Der Beweis für das Gegenteil zieht sich durch die geschriebene Geschichte, ist unsere tägliche Er- fahrung. Nachdem die erste Atombombe gebaut, abgewor- fen und die Zerstörungs- und Vernichtungskraft von Leben und Umwelt "erwiesen" war, da wollten alle Potentaten, alle zum Massenmord bereiten "rechten" und "linken" Regierungen sie haben. Ganz wurscht, ob sie sich nun als "Volks"- oder "parlamentarische" bzw. repräsentative Demokratie bezeichnen, ganz wurscht auch, ob das Volk wäh- len "kann" oder wählen "muß". Im allgegenwärtigen Patriarchat gehört schon Mut dazu, aktiver Antimilitarist, Antichrist, Anti- nationaler - kurz: aktiver Feminist zu sein. Daß ich nach über vier Jahren meinen Prozeß wegen rechtswidriger Festnahme und rechts- widriger Behandlung in der Vorbeugehaft am Tag des Papstbesuches gewonnen habe, verdanke ich nicht zuletzt einem mutigen Verwaltungsrichter (Dr. Lange), der als einziger gleich aus der Reihe tanzte und den Polizeidirektor schuldig sprach. Aber das Innenministerium hat leider auch gesiegt: der politischen Opposition entzog man in "öffent- lich-rechtlichen" Verfahren die Öffentlichkeit und wenn die Medien, die Urteile der Betroffenen nicht bekanntgeben, dann kämpfen Menschen wie ich fast vergeblich. Es sei denn, er/sie liest den FEMINIST Nr. 22, der 1992 erscheinen soll... Anbei die Nr. 21, die nach drei Jahren endlich herauskam und in der auch ich von einer Illusion Abschied nehme. Das mußte einfach noch gesagt werden. Auch Simone de Beauvoir widerrief in ihrem letz- ten Interview den Satz, mit dem sie berühmt ge- worden war: "Eine Frau wird nicht als Frau gebo- ren, sondern zur Frau gemacht!" Wenige Wochen vor ihrem Tod sagte sie: "Diesen Satz würde ich so nicht mehr formulieren". Lieber Günther Anders, bitte widerrufen auch Sie noch Ihre obigen unheilvollen Sätze. Sie führen in die Irre, dienen nicht der Aufklärung. Wer Kindern gegenüber verantwortlich handeln will, muß ihnen Vorbild im Reden, im Schreiben und ganz besonders im "Tun" sein - auch noch mit bald 90 Jahren, wie Sie selbst sagen: uralt, als Klappergreis. Zu spät ist es erst, wenn wir nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, nicht mehr spre- chen können. Mein Abschieds- und mein Willkommensgruß bleibt Heil Kind! Heil Menschenkind, lieber Günther Anders Ihre Anlage DER FEMINIST Nr. 21, Pressemeldung vom 27. 9. 91, Presseberichte und BAF-Info Eine Antwort hatte ich nicht mehr erwartet. Ein gutes Jahr später kam die kurze Meldung seines Todes in den Fernsehnachrichten. Da entschloß ich mich, ihm die 23. Ausgabe des FEMINIST zu wid- men. Sein Geburtsname war übrigens Günther Stern. Den Namen "Anders" wählte er anfänglich nur für seine journalistischen Arbeiten - behielt ihn schließlich aber auch als politischer Philosoph bei. Anders fasziniert als scharfer Kritiker des Atom- zeitalters. Er provozierte seine Zeitgenossen meist zurecht. Philosophieren und Schreiben war seine 24

Leidenschaft, seine "Selbst"verwirklichung. Aber wie weit reichte eigentlich seine Selbstkritk? Denn daß er jede Stunde, die ihm noch blieb, der schriftstellerischen Arbeit widmete, wurzelte sicher nicht ausschließlich in seiner Sorge um die Gat- tung "Mensch". Und noch dazu verschaffte er sich durch diese, ins Zentrum seines Denkens gerückte Sorge auch ein "gutes Gewissen" - was er kurz vor seinem Tod uns gewaltfreien Widerstandskämpfe- rinnen als rein egoistisches Motiv ankreidete. Günther Anders begann Ende der 40er Jahre die Fragen, die nach Auschwitz, Hiroshima und Naga- saki im Grunde alle Menschen hätten bearbeiten müssen, zu formulieren. Nicht alle Menschen kön- nen schreiben, nicht alle sind gute Redner. Und wieviele Frauen und Männer, wieviele Kinder und Jugendliche sich über das Atom- und Gen-Zeital- ter Sorgen machten und machen, bleibt eine offene Frage. Dennoch, ohne über die Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken und zu sprechen, wird keine/r, erst recht keine Familie, kein Volk zum Notwendigsten vorstoßen können: einem gemeinsa- men politischen Widerstand auf der Höhe des Atomzeitalters. Und damit komme ich zum Punkt: Ab wann und wie oft hat Anders denn politisch angemessen und mutig gehandelt seit dem ersten Weltkrieg? Wie der Herausgeber Liessmann ("Günther Anders kontrovers") berichtet, mußte ja schon der Gym- nasiast 1917 von Hamburg aus "mit einem para- militärischen Verband" (welchem? - H.M.) nach Frankreich und wurde dort "von antisemitischen Kameraden mißhandelt". Nur seine Kindheit und Jugend verbrachte er wohlbehütet in einem äußerst liberalen und gebil- deten jüdischen - offensichtlich aber politisch "naiven" - Elternhaus. Sein Vater William und seine Mutter Clara Stern waren Psychologen. Ich frage mich, warum widmete Günther Anders sein Hauptwerk "Die Antiquiertheit des Menschen" ein- zig und allein dem Vater? Weil dieser durch die Veröffentlichung seiner Forschungen zur "Person und Sache" - im Unterschied zur Mutter - Be- rühmtheit erlangte? Vielleicht - wer weiß? - hatte Clara daran aber immer mitgearbeitet? Vielleicht waren der Ehe- partner und der Sohn nur keine Feministen - wie zum Beispiel John Stuart Mill (1806-1873)? Mill hatte ausdrücklich verlangt: "Wer immer, jetzt oder nach meinem Tode, an mich und mein Werk denkt, darf nie vergessen, daß es das Produkt nicht eines Intellekts und Gewissens ist, sondern das von dreien". Das Patriarchat mißachtete seinen Willen. Erst hundert Jahre später erfüllte die Herausgeberin von "Die Hörigkeit der Frau und andere Schriften zur Frauenemanzipation" (Syn- dikat, Frankfurt 1976), die Politologin Hannelore Schröder, seinen Wunsch: Sie nahm seine Ehefrau Harriet Taylor Mill und seine Stieftochter Helen Taylor als Mitautorinnnen in den Titel auf. Vielleicht vergaß Günther Anders auch die "per- sönliche Güte" seiner Mutter zu würdigen, die er seinem Vater in der Widmung attestiert, weil sie für eine Mutter "alltäglich", "selbstverständlich" ist? Clara Stern blieb jedenfalls unerwähnt. Die Eltern sahen den Holocaust nicht von Anfang an voraus. Der Sohn drängte die Familie 1933 zur Emigration. In diese Zeit fällt auch seine 6-7jäh- rige Ehe mit der Philosophin Hannah Arendt. Erst nach seinem Tod las ich in dem Nachruf von Elisabeth Endres (SZ v.19.12.92), daß Anders in New York seine zweite Frau, die österreichische Pazifistin und Schriftstellerin Elisabeth Freundlich, kennenlernte - ja, daß es überhaupt eine zweite, über 20jährige Lebensgemeinschaft gab. Es kam wohl Ende der 70er oder Anfang der 80er Jahre zu einer Trennung, da Anders mir gegenüber äußerte, er lebe allein? Inzwischen las ich seine Tagebucheintragungen aus der New Yorker Emigrantenzeit. Danach hat er diese "Notizen zur Geschichte des Fühlens" genau zu der Zeit für die Veröffentlichung bearbeitet, in der ich den Kontakt zu ihm aufnahm. In der Ein- leitung zu "Lieben gestern" heißt es: "Als ich nun vor einem Jahre die beinahe verges- senen Eintragungen wiederlas, war ich beinahe doppelt so alt wie der ehemalige Tagebuchschrei- ber in New York. Die Lektüre war mir nicht nur erfreulich. Nicht etwa deshalb, weil ich mich nun mit dem damals Geschriebenen nicht mehr hätte einverstanden erklären können. Umgekehrt war ich befremdet, weil mein damaliger Denk- und Schreibstil offensichtlich bereits mein heutiger gewesen war...". Nun, sein Schreibstil in allen Ehren - deswegen griff ich nicht zum Telefon und erst recht nicht zur Feder. Sein Denkstil, seine Kampfthesen zur Gewalt und seine Ansichten zur Frauen- und Kin- derfrage empörten mich. Was er da als fast Fünf- zigjähriger zu Papier gebracht hat, übertraf meine kühnsten Erwartungen. Diese Wahrnehmung seiner Studenten und Studentinnen, vor allem der Frauen und nicht zuletzt der Kinder - die eigentlich gar nicht bzw. nur indirekt vorkommen, enttäuschten mich zutiefst: "Eine Mutter, die für ihre drei Kinder lebt, wird nicht auf den Gedanken kommen, nach dem 'Sinn ihres Lebens' zu fragen, denn sie hat ihre prak- tischen, bestimmten Aufgaben, die sich aus der Liebe zu den Kindern selbstverständlich ergeben." Das Kind ist kein Problem, es "ist". Emigrantinnen können sich keine Kinder "leisten": "Wir" mußten abtreiben. Leider. Wie beurteilte er die Kinderfrage aber politisch? Wegen Auschwitz und den Verhältnissen, "die nicht so sind" (Bert Brecht) - eben alles andere als kinderfreundlich! -, hatte Wolfgang Hildesheimer zum Beispiel auf eigene Kinder verzichtet, aber mehrere adoptiert. Anders weist nur auf die be- engten Wohn- und wirtschaftlichen Verhältnisse der Emigranten hin. Und auch zur "Liebe" zwi- schen Frau und Mann hat er nach Hiroshima eher Formales, als Erlebtes, Existenzielles kundgetan: "Ewig kann sich ohne Ritter keine Ritterlichkeit, ohne Hof keine "Höflichkeit", ohne Salon kein Charme, ohne materiellen Rückhalt keine Rück- sicht halten, auch als bloße Spiel-Form nicht. 25

Leider nicht. - Und ebenso schrumpft in einer Welt, die uns um Muße und die anderen Bedin- gungen des Privaten betrügt, die Subtilität unseres seelischen Privatlebens." Immerhin, der Begriff "Seele" gehörte damals noch zu seinem Denk- und Schreibstil. Seine Ansichten, Wahrnehmungen und Gefühle sind für mich dage- gen mehr als befremdend, kaum nachvollziehbar - vielleicht weil ich jahrelang als alleinerziehende Mutter ohne materiellen Rückhalt andere und an- ders wahrnahm. Was Günther Anders über die "Liebe gestern" äußert, das sollte mensch von Seite 1-138 selber lesen und sich nicht mit den wenigen Passagen be- gnügen, die ich nun zitiere. Beginnen wir mit der folgenden Tagebuchnotierung: Lieben gestern New York 1948 24. Januar Gestern Einladung zu L.s fünfzigstem Geburtstag. Sechs Paare. Alle nahezu gleichen Alters. Die Männer um die Fünfzig, die Frauen um die Vierzig. Alles war bereits gut in Gang und in bester Laune, als hochrot Mrs. D. in der Türe stand, ihr Zuspätkommen mit ihren vier Kindern entschuldigte, überspru- delnd einen Unfug nach dem anderen zum Besten gab und einen ganzen Sack voll Allotria über uns ausschüttete. — Um den Tisch wurde es totenstill. Erst einmal sprudelte es weiter. Aber nach einer Weile begann Mrs. D. die Windstille zu spüren. Und nachdem sie in ein fragendes Ritardando übergegangen war, brach sie mitten im Satz ab. »Ist hier jemand krank zuhause oder was?« »Nichts dergleichen«, versicherte L. höflich. Es sei ungeheuer unterhaltend. »Honestly ?« »Honestly.« Nur stockend kam ein neues Gespräch in Gang. Über etwas ganz anderes. Auf Englisch, aus Rücksicht auf Mrs. D. Aber unsere Liebesmüh war vergeblich, die englische Unterhaltung bestritten ausschließlich wir. Halb mißtrauisch, halb erschreckt blickte sie sich währenddessen im Kreise um, schwankend, ob man ihr etwas verschwieg, oder ob sie ahnungslos einen faux pas begangen hatte; und wahrscheinlich stieg in ihr, der Freundli- chen, Hilfsbereiten, Vorurteilsfreien, so etwas auf wie Ressenti- ment gegen »those queer refugees«. Noch ehe sie ihr Stück Torte berührt hatte, war sie verschwunden. Die aber zurückblieben und nur langsam wieder in Gang kamen, waren sechs kinderlose Emigranten-Ehepaare. Aufklärung des Zwischenfalls. Die sechs Paare waren zwar durchweg gebildete Leute, aber doch insofern in einem engen Sinne >gebildet<, als sie 1933 unfähig gewesen waren, ihre Flucht als (winzigen) Bruchteil eines weltgeschichtlichen Ereignisses aufzufassen; sie verstanden sie vielmehr als katastrophenhaften Zwangs-Umzug. Gekränktheit war ihre einzige Stellungnahme zur Weltlage. Und grundsätzlich hat sich darin nichts bei ihnen verändert. Mindestens während der ersten Emigrationsjahre, vor der Ankunft in Amerika, in den verschiedenen europäischen Län- dern, hatten sie aus der Hand in den Mund gelebt; zumeist aus ihrer Hand in seinen Mund. Lebenskonstanten hatten sie nicht mehr gekannt; womit man in vierzehn Tagen sein Essen be- zahlen würde, war stets ungewiß gewesen; ebenso ungewiß, ob man im nächsten Monat noch das Recht haben würde, sich >aufzuhalten<; ebenso ungewiß, wo man in einem halben Jahre leben würde; und schließlich ebenso ungewiß, ob man in einem Jahr überhaupt noch dasein würde. Natürliche Folge: Alle waren — und alle programmwidrig — kinderlos geblieben. In den zehn, fünfzehn Jahren, die folgten, ist dieser Zustand zum >Normalzustand< geworden; er wird von niemandem er- wähnt; ebensowenig wie etwa von den Insassen einer Taub- stummenanstalt ihre Taubstummheit erwähnt wird. Aber zu- weilen kann es eben vorkommen, daß jemand ahnungslos die zugedeckte Wunde aufdeckt. Und das hatte Mrs. D. soeben getan. Die Folgen dieses unnatürlichen Zustandes: Trotz jahrelan- ger, täglicher neuer Sorgen sind sowohl Männer wie Frauen >jünger< geblieben als Gleichaltrige früherer Generationen. Aber >jünger< in einem trügerischen Sinne; im Sinne von >weniger erwachsen<. Denn Erwachsenheit, erst einmal beim Manne, ist weder nur ein biologischer Zustand noch das, was wir in Universitätsseminaren (wieviel Äonen ist das her?) bei der Analyse von Erziehungsromanen das »Stadium geistig-sittlicher Entwicklung« zu nennen liebten. >Erwachsenheit< ist vielmehr ein gesellschaftlicher Status; wozu zum Beispiel Vater-sein ge- hört. Erwachsen ist derjenige Mensch, der mit seiner bestimmten Rolle innerhalb einer bestimmten Gesellschaft rechnen darf; der daraufhin bestimmte Dispositionen treffen kann; und mit dessen bestimmter Funktion auch die Gesellschaft rechnet. Kurz: Er- wachsenheit ist gesellschaftliche Identität. Um diese Identität sind diese Sechs also betrogen worden. Obwohl zum Bersten gefüllt mit Erfahrungen — von Dingen, die keiner ihrer Väter oder Großväter auch nur geahnt hatte — sind sie nicht eigentlich >Männer<, sondern überanstrengt aussehende Jünglinge, Knaben mit Charakterköpfen. Daß viele wie Künstler des vorigen Jahrhunderts wirken, ist kein Zufall: Denn auch die hatten sich eben, als Außenseiter, um das Erwachsenwerden betrogen. Selbst der Langweiligste von ihnen trägt markante Züge ... was nur die Gedankenlosigkeit beweist, mit der die Geschichte ihre Egge durch alle Gesichter zieht. Drei von den Sechsen arbeiten noch heute (oder: weil sich nichts bisher bewährt hat: schon wieder) für einen Beruf. >Für< einen Beruf, nicht >in< einem Beruf. Noch immer sind sie also dabei, sich für das Leben vorzubereiten; was nicht weniger peinlich wirkt, als wenn sie erst jetzt begännen, ihre Pubertäts- symptome zu entwickeln. Fünf Jahrzehnte Ouvertüre, ein Jahr- zehnt Oper. — In einem Alter, in dem unsere Väter und Großväter sich in Sicherheit befanden, mindestens auf der Höhe ihrer Kraft standen oder bereits (gleich, ob gern oder ungern) dem Alter entgegenlebten, blicken die Drei also noch >vorwärts<. Hierzulande, wo man das Sterben unterschlägt, und wo, wie die Buchtitel beteuern, Ade at seventy< beginnt, mag dieses >Vor- wärts< zwar als fesch gelten. Aber Männern, die alt zu werden verstanden, hätte der Anblick die Kehle zugeschnürt. Mehr noch als auf die Männer trifft der Ausdruck >falsche Jugend< auf die Frauen zu. Bei ihnen, den leichter Veränderba- ren, wirkt das noch peinlicher: wie kosmetisch hergestellte Kunstjugend. Einen sonderbaren Zwischentypus stellen sie dar. Daß sie mit alten Jungfern nichts gemein haben, ist zwar klar. (Die wären neben ihnen eindeutige Typen.) Aber mit Müttern eben auch nichts. Nicht nur um Kinder sind sie betrogen, sondern um ihren natürlichen Habitus der Mütterlichkeit; dar- um, als das zu leben, als was zu leben jeder Frau zukommt; >zukommt< sowohl im Sinne von >gebührt< wie von >ziemt<. Also sind sie täglich älter werdende >junge Frauen<. Wie sie mit sechzig aussehen werden, das sich vorzustellen, vermeidet man. Daß Zwei der Sechs, obwohl für diesen Typ durchaus nicht angelegt, ins Blaustrümpfige hineingeglitten sind, ist ihre Schuld nicht. Aber leugnen kann man es auch nicht. — Eine wirkt bereits sonderbar: Ihrem Habitus und Interesse nach ist sie eigentlich ausschließlich Familienmensch. Aber Familie hat sie eben nicht: ihre Eltern sind vergast; Kinder konnte man sich nicht leisten, und ihr Mann ist weder väterlich noch kindlich genug, um das Fehlende zu ersetzen. So gehen ihre liebenden Impulse einfach 26

ins Leere. Ihre Gesten ähneln den Bewegungen jener Tänzerin- nen, die >Tragen< tanzen, ohne etwas in der Hand zu halten, oder ohne Seil uns einreden wollen, daß sie >schleppen<. Daß die furchtbare Diskrepanz zwischen Anlage und Wirklichkeit, zwi- schen Nachfrage und Angebot so wenige dieser Frauen im psychiatrischen Sinne krank gemacht hat, ist wirklich ein Wunder. Trotz allem: Was die Weltweite dieser Frauen anlangt, so übertrifft sie die ihrer Mütter und Großmütter um ein schlecht- hin Unendliches. Und sie haben während der Emigration mehr Erfahrungen gemacht und mehr Einblicke gewonnen als die Männer. Wie viele von ihnen haben in Emigrationsländern, in denen die Männer der Arbeitserlaubnis nachjagten, als wäre die Erlaubnis bereits eine Lebensstellung, doch noch schwarz arbei- ten dürfen: als Sekretärinnen, Kinderfräuleins oder Scheuerfrau- en; und so Länder, Milieus, modus vivendi und die tausend Nuancen der Demütigung kennengelernt. — Während die Män- ner mit den ehrenden Worten: »Aber ich bitte Sie, Ihnen kann man doch so etwas nicht anbieten« vor die Türe gesetzt und dazu verurteilt wurden, sich als legitime Gigolos ihrer Frauen den Luxus schriftstellerischer oder anderer Misere zu leisten. Zwi- schen den Paragraphen ihrer für Niemanden geschriebenen Bücher lauschten sie dann, ob die Hotelwirtin ausgegangen war. War sie es, so standen sie heimlich auf, um hinter dem Wasch- tisch auf dem Spirituskocher Spaghetti zu kochen. Da die Frau >hinaus< mußte ins >feindliche Leben<, verstand es sich, wirt- schaftlich sowohl wie moralisch, daß die Männer die Hausfrauen der möblierten Hoteldachstuben wurden. Aber bekömmlich für das Verhältnis von Mann und Frau ist das gewiß nicht gewesen. Manchen Zärtlichen und Erfinderischen mag es zwar gelungen sein, mehr füreinander zu sein, als Mann und Frau früher einander gewesen waren oder hatten sein müssen: einander das Kind zu ersetzen oder die Kinder; das drei- oder vier-rollige Familienstück in zweistimmiger Besetzung aufzuführen und einander (wie im Wilhelm Meister) mindestens den Schein dessen zu schenken, was man miteinander versäumt hatte. Aber wie viele gibt es schon, die aus moralischen Gründen verspielt sein können, die ihre Phantasien mobilisieren können, um zu trösten; und die sich zu verkleiden verstehen aus Liebe und aus Rück- sichtnahme? Nein, für die meisten dieses Alters war die rein duale Bezie- hung etwas zu Schwieriges. Und für die Beilegung dieser Schwie- rigkeiten fehlte es an Vorbildern. Immer wieder glaubten sie zwar, die Schwierigkeiten endgültig begraben zu haben. In Wirklichkeit aber lagen diese so flach verscharrt, daß jeder Windstoß sie wieder freilegen konnte. Von der übersprudelnden Mrs. D. zu erwarten, das alles zu durchschauen, wäre natürlich unsinnig. Aber daß sie sich plötz- lich beengt gefühlt hat, als wäre sie unter Gespenstern, das ist wahrhaftig begreiflich. Ist es ein Wunder, daß sie sich so überstürzt zurückzog zu ihren vier Gören? (entnommen dem Diogenes Taschenbuch "Das Günther Anders Lesebuch", Hrsg. Bernhard Lassahn, Zürich 1984) Da stehen sie also, die sechs Paare: Ergraute junge Paare. Die schiefe Verteilung der wirtschaftlichen Lasten hat sich zwar mit den Jahren ausgeglichen. Aber die, nie beabsichtigte, Kinderlo- sigkeit hat sie in eine Zweisamkeit hineingezwungen, die in diesem Alter (in dem normale Paare bereits ihre Kinder in die Welt hinausschicken), völlig unüblich ist. Kein Wunder also, daß bei einigen von ihnen das Verhältnis der Geschlechter untereinander, also das Liebesproblem, noch immer als zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Problem eine Rolle spielt; also wiederum in einem Alter, in dem sich das einfach nicht schickt, und in dem für frühere Generationen das Problem längst im Guten oder im Bösen erledigt war. Selbst wo Gewöhnung oder gemeinsame Arbeit die gegenseitige Unent- behrlichkeit längst bewiesen hat, fehlt es eben an der Familie, die früher die Ehe post festum immer fester zementiert hatte. Diese und die folgenden Notizen aus der Zeit zwi- schen 1948 und 1949 sind durchaus typisch: Anders spricht häufig von "wir" und meint damit den Freundeskreis der intellektuellen jüdischen Emigranten. Daß aber Emigranten oder seine Schulklasse, gar eine Generation in der "Liebe" oder/und dem Geschlechtstrieb so "gleich", so "gemein" sind, daß das Wörtchen "wir" hier ange- wendet werden kann, wage ich zu bezweifeln. Fast komisch wirken Anders' Verallgemeinerungen, wenn er kurz darauf über die Liebe als "gemeinen" Geschlechtstrieb zu philosophieren beginnt: "...in dem Sinne, daß er primär nicht auf ein 'Die- ses', sondern auf ein Solches aus ist, dann ist er in einer geordneten Gesellschaft die schlechthin anar- chistische Macht... Die eigentliche Aufgabe jeder 'kultivierten' Liebesbeziehung besteht eben in nichts anderem als darin, die Triebkraft des brei- ten Geschlechtstriebes in das enge Flußbett einer einzigen Beziehung zu leiten und sie in ihm zu halten. Im engen Flußbett nimmt sie dadurch eine viel stärkere Stoßkraft an: die man eben 'Liebe' nennt. Wie weit diese Kanalisierung gelingt, wie weit sie gelingen muß, hängt von zahlreichen Um- ständen ab." Je mehr ich weiterlas, je klarer wurde mir, warum wir Beide trotz gleicher Ansichten über die politi- schen Repräsentanten des Patriarchats im Handeln nicht zusammenkamen. Denn nicht nur seine The- sen zur Gegengewalt, auch sein Sexismus, den ich in so krasser Form nicht vermutet hatte, ist uner- träglich! Wie läßt sich dieses Ausmaß an Frauen- diskriminierung erklären, das sich in den folgen- den Zitaten offenbart? Es geht da ja nicht um einzelne Ausrutscher, es ist der ganz gewöhnliche Sexismus (ich hätte fast Faschismus geschrieben!), der bei einem Mann seiner Intelligenz erstaunt, und der ihm selbst offensichtlich auch vierzig Jah- re später nicht auffiel, nicht bewußt geworden ist. In seinem Vorwort findet sich keinerlei Selbstkri- tik - zum Beispiel, daß er alle Eintragungen über seine damaligen "Gefühle" als historisches Doku- ment veröffentliche, er sich aber inzwischen der sexistischen Passagen schäme. Nichts steht da von der Fehlbarkeit jedes Menschen - auch der des Günther Anders. Ich bringe einige weitere Kost- proben: "Private Aufführung zweier Bartök - Quartette bei B.'s. - Dort Exemplare zweier ganz verschiedener Tierarten: ein Rudel von Ungarinnen, Polinnen und Tschechinnen; andererseits eine Anzahl von 'native'- Mädchen aus New-England. Mißtrauisch streiften die artfremden Tiere aneinander vorbei; und nur ganz äußerlich ergab sich so etwas wie eine Gesellschaft. Die Magyarinnen und Sla- vinnen durchweg 'apart'." Und was dann in den Eintragungen vom 19. bis zum 29. Dezember 1948 über das Rudel der 'apar- ten' Frauen sowie über die stereotypen, aber "an sich vollkommenen New England girls", die Gat- tung und die Begattung, die Rechte der Frauen und über die Beziehung zwischen Frauen, über Rasse und Klasse etc. etc. bei diesem Philosophen des Atomzeitalters nur so heraussprudelt, ist be - 27

Was heißt hier "wir"? War es die potentielle Mut- ter, die sich eine Schwängerung verbeten hatte? Dann entfiel ja eine Abtreibung - oder? War es der potentielle Vater, der seiner Verhütungspflicht nicht nachkam - denn gezeugt mußte er es ja wohl haben? Das geborene, das abgetriebene Kind, die Kinder- frage, blieb außen vor - nicht nur im Leben, son- dern auch in der politischen Philosophie des Günther Anders. Das Kind, die Menschen werden entweder als Tote oder als abstrakte Wesen herbeizitiert. So empfiehlt er am Schluß der "Rede über die drei Weltkriege" ("Die Toten", Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1964), statt der Millionen Toten dieser Kriege nur einem "unpersönlichen" Toten zu gedenken: "Mir scheint, uns bleibt nichts anderes übrig, als das jeder von uns versuche, eines Toten zu gedenken, eines einzigen. Aber wenn möglich eines, der nicht zu seinen persönlichen Toten gehört." Und unter den zehn "unpersönlichen" Toten, die er uns zur Auswahl anbietet, sind auch drei Kinder: - ein zerstrahltes Kind in Hiroshima" - eines das morgen zerstrahlt daliegen wird - eines das morgen nicht mehr das Licht der Welt erblicken wird. achtlich. Zur Klassenproblematik zum Beispiel: "Hätte er sich da nicht aus den Abertausenden von exotischen Schönheiten, die hier um einen herum- wimmeln, etwas Schöneres, Gescheiteres, Rassige- res, Üppigeres, Zärtlicheres, Frecheres, mindestens etwas Wohlhabenderes und für sein Prestige Nütz- licheres angeln können? Falsch. Denn Geschmack ist keine ausschließlich ästhetische Funktion, und ob Mann A von einer Frau B gereizt wird, das hängt wahrhaftig nicht allein von den körperlichen Attributen oder deren Raffinement ab, sondern mindestens ebensosehr von der sozialen Relation, bzw. dem sozialen Gefälle, das zwischen ihm und ihr besteht." Nicht die Wahrheit ist unzulänglich, sondern, wie Menschen sie zu ermitteln versuchen und mit ihr umgehen und wieviel Wahrheit, wieviel Kritik und Selbstkritik sie überhaupt ertragen können... Es geht nicht - wie Anders (Siehe S.4) kritisiert - um "unzulängliche Wahrheiten", sondern um die unzulänglichen Bemühungen des Günther Anders, Wahrheiten über einen Menschen überhaupt ken- nenlernen zu wollen, zu prüfen, was hinter dem äußeren ersten Eindruck, hinter der "genudelten Gans" denn noch zu finden ist. So wird man den "Fremden" und auch den "Bekannten" nicht hin- länglich gerecht. Und so gerät ein Diskurs über "Gefühle" und "Moral" zwischen den Geschlechtern zur Farce: "Natürlich lieferte dieses Reservoir von Untertanen einen Typ des absolut zur Verfügung stehenden Mädchens...des zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Mädchens,das sich geehrt fühlte, von oben entehrt zu werden, und das vor der gesell- schaftlichen Höhe des Mannes erzitterte: Wirkun- gen, die dem Geschmack fast jeden Verführers schmeicheln." Was dieser Autor zum Thema "Lieben" beizutragen hat, sagt wenig über die Menschen aus, die er hier kategorisiert, sondern sehr viel über ihn und seine Fähigkeiten, Menschen unvoreingengenommen an- zunehmen, offen für sie zu sein. Da werden Frau- en be- bzw. verurteilt - ob jung oder alt, ledig, verheiratet oder Mutter - fast ausschließlich nach ihrer sexuellen Attraktivität und Äußerlichkeit. Eine Entwicklung zu einem Individuum wird bei den "am laufenden Band hergestellten" Studentin- nen von vorneherein ausgeschlossen. Wer bereits 20 Jahre im Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufgewachsen ist, bleibt eine "genudelte Gans" bis zum bitteren Ende. Nie hat er geschrieben - ich habe allerdings nur zehn Bücher und etliche Zeitschriftenartikel von ihm gelesen -, daß er des Kindes wegen eine bio- logische Vaterschaft ablehnte, aus Sorge, daß ein Kind im Atomzeitalter in seinen Lebenschancen mehr gefährdet ist als jede frühere Generation, oder/und daß er nach Auschwitz kein Kind mehr zeugen wollte. Er sagte am Telefon: "Wir" konnten uns keine Kinder leisten, "wir" mußten abtreiben. Meinte er alle Emigrantinnen, so war das ökono- misch sicher nicht für alle zutreffend. Meinte er seinen persönlichen Freundeskreis oder sich selbst? Glaubt Anders wirklich, daß unpersönliche tote Kinder, daß unpersönliche tote Menschen (ob einer oder Millionen) bei den "lieben Endzeitgenossen" eher die Bereitschaft auslösen, politische Verantwortung zu übernehmen, Widerstand zu leisten, als die Sorge um das "eigene", das noch lebendige Kind, die Tochter, der Sohn, der ihnen gefühls-mäßig "Nächste" - wer immer es auch sei? Glaubt Anders wirklich, daß ohne die Zuneigung, die Freundschaft, die Liebe zu einem lebenden Menschen je empfangen, je empfunden zu haben, die Tötungs-, ja Mordbereitschaft von klein auf "genudelter" Töchter und Söhne vermindert werden kann? Glaubt Anders wirklich, daß Menschen, die sich nicht mehr vor lebenden Menschen, sondern an- geblich nur noch vor "Geräten" schämen, die be- reits abgestumpft, "gleichgültig" gegenüber anderen Menschen geworden sind, verantwortungslos sogar gegenüber den eigenen Kindern handeln, durch seine Rede über die drei Weltkriege, durch seine Aufrufe, Artikel und Bücher noch aus der Ruhe, aus ihrer "Gleichgültigkeit" zu bringen sind? Ich glaube das nicht! Meine Lebenserfahrung ist eine ganz andere - vielleicht, weil ich schon in meiner Kindheit in und außerhalb der Familie von körperlicher Züch- tigung, dem Verlust meines gütigen Vaters als 12jährige, schweren Bombenangriffen im II. Welt- krieg betroffen war, und weil mir die Schilderun- gen über die Vergewaltigung meiner Tante durch russische Soldaten - ihre zwei kleinen Kinder wurden der Oma derweil in den Arm gelegt - und die Nachrichten über die Konzentrationslager, die Vergasung der Juden sowie die Ausmerzung der politischen Opposition direkt nach dem "Zusam- menbruch" die Sprache verschlugen, unter die 28

Haut gingen. Ich war ein Straßen- und ein Kriegs- kind und fühlte mich als Jugendliche schon "hei- matlos", ausgestoßen, ausgesetzt im eigenen Land. Und Leben, Überleben hieß für mich schon als Kind "kämpfen", auch "Gegengewalt" war für mich stinknormal, noch "zeitgemäß". Anders Tagebucheintragungen von 1948 und 1949 erhellen erst, warum es - trotz weitgehender Übereinstimmung im Politischen - erhebliche Diskrepanzen zwischen uns gab. Seine Bewertung der Familie - nach Auschwitz und nach Hiroshima! - ist für mich wirklich "antiquiert". Ich kann auch seine Einstellung zum Kind, zum Leben, zum Lieben, zur Sexualität nicht teilen. Einerseits kritisiert Anders besonders die Ehe- frauen der traditionellen, "gut"bürgerlichen Fami- lien der Jahrhundertwende, die Geständnisse und Enthüllungen in Briefen über "Liebes"verhältnisse (aus dem Nachlaß seiner Eltern) sind für ihn von "vorgestern", altmodisch und oberflächlich. An- dererseits geistert bei ihm aber ständig die ge- schlechtsspezifische Rollenteilung und die Sicht der Kinder als das Bindeglied für eine dauerhafte Mann-Frau-Beziehung noch herum. Die Frau wird zwar als "gleichwertig" - auch in unseren Telefo- naten - anerkannt, aber offensichtlich fungiert sie in seiner Vorstellungswelt weiter als die einzig verantwortliche Person für die Kinder. Nirgends erfährt mensch, wie und von wem die Kinder an- genommen und versorgt werden sollen - als von der Mutter. Das Elend, dem die Kinder in Kriegen &4, V. SYS SO 1 L und in der sog. Dritten Welt tagtäglich ausgesetzt sind und mehr und mehr auch die emotionale und geistige Verwahrlosung der Kinder in den reichen Industriestaaten, scheint ihm nicht allzusehr auf den Nägeln gebrannt zu haben. Und seine Sicht des "Privaten" und der "Liebe" ist für mich wahrlich sowohl emotional wie politisch vorgestrig! Nach Anders ist die Sexualität das "Archaische", das "Es" (Freud), das sublimiert oder in ein enges Flußbett gebracht werden muß. Die Sinnlichkeit, die Gefühle beschränken sich für ihn weitgehend auf die Hände und er bedauert die Tiere, die zu solcher Zärtlichkeit nicht imstande wären. Ich mußte laut lachen, als ich diese Stelle las. Mir schoß die Aussage eines Mannes durch den Kopf, der seine Mitmenschen mit dem Satz zu provozieren pflegte: "Solange Du noch Zung' und Händ', bist Du noch lang nicht impotent!" Da es mir aber mehr um die Kinder und die - wie Anders es formulierte - "erwachsenen" Mütter und Väter, als um sexuelle Zärtlichkeitsempfehlungen geht, stellt sich für mich die Frage, warum Günther Anders mit einem Kind offensichtlich gar nicht oder sehr selten eine persönliche Beziehung aufnahm. Es muß ja kein "eigenes" Kind sein. Zum Beispiel wurde die 55jährige, unverheiratete, kinderlose, sehr gebildete und engagierte Frauen- rechtlerin, Ministerialrätin Gertrud Bäumer, von Freunden gebeten, einen Sonntag deren "zwei und ein viertel Jahre" alte Tochter zu betreuen. Wie dieses Kind in die Gefühlswelt und den Geist von Gertrud Bäumer einbrach, sie in ihren Bann zog, das muß mensch lesen! Jede/r, die/der Kinder an sich heranläßt, wird durch die grandiose Schilde- rung an die eigenen Erlebnisse erinnert: die ein- malige geistige(!) und gefühlsmäßige Befruchtung eines Erwachsenen durch ein noch nicht "genudel- tes" Kind. (Gertrud Bäumer, "Sonntag mit Silvia Monika", Berlin 1933) Wenn mensch sich zu lange und zu ausschließlich mit patriarchalischer - d. h. dogmatischer - Theo- rie und Wissenschaft beschäftigt, merkt er mitun- ter gar nicht mehr, wie "genudelt" er selbst inzwi- schen ist. Zum Beispiel Günther Anders, der uns weismachen will, daß sich "der" Mensch im Atomzeitalter nicht mehr gegenüber einem Men- schen "schämt", sondern vor "Objekten", vor den Geräten, der "Gerätewelt". Aber, daß sich die Mehrheit, "wir" bei Anders, vor der Atombombe oder einem Roborter schämt, weil sie nicht jede/jeder selbst konstruieren und her- stellen kann, grenzt für mich ans Absurde. Hier hat die patriarchalische Philosophie voll zu- geschlagen! Unsinnige Abstraktionen, Dogmen verstellen die Möglichkeit, die tatsächlichen Bezie- hungen und Abhängigkeiten zwischen Menschen aufzudecken und verhindern auch die notwendige politische Aufklärung. Denn nicht wegen meiner Unfähigkeit, eine Atombombe selbst basteln zu können, "schäme" ich mich, sondern ich fürchte mich vor den Menschen, die sie basteln, die den Befehl geben, sie zu wer- fen und vor denen, die den Befehl befolgen. Es sind so viele, daß Anders Empfehlung, im 29

Atomzeitalter noch "Gegengewalt" anzuwenden, nicht nur eine grenzenlose Dummheit, sondern gegenüber jedem Kind, jedem Leben auch eine "unmenschliche" Moral (DER FEMINIST Nr.17) beinhaltet. Ich schäme mich für die, die zu all' dem imstande sind und die solche Befehle befolgen! Massenmör- der habe ich seit 1945 nicht mehr geachtet - seit- dem ich wußte und begriff, daß es sie gibt, und daß es viel zu viele waren und viel zu viele auch heute noch sind. Ich fürchte mich vor allen, die dem Militarismus noch geistig anhängen, die mit ihm aufwuchsen und "genudelt" wurden und wer- den und die unfähig sind, sich davon zu emanzi- pieren. Offensichtlich fällt es der Mehrheit des männlichen Geschlechts leichter, sich zum Mas- senmörder ausbilden, ja abrichten zu lassen, als solchem Ansinnen für alle Zeit abzuschwören, ja Antimilitarist zu werden. Und ebenso skandalös ist, daß nach zwei Weltkriegen die Kinder noch immer weltweit "ErzieherInnen" ausgeliefert sind, die ihre politisch-moralischen Schulaufgaben nie machten und die deshalb heute noch so auf die Kinder Einfluß nehmen können wie vor 1945! Deshalb bat ich auch Günther Anders, die Sätze, derer er sich vor Kindern meiner Ansicht nach zu schämen hätte, noch zu widerrufen. Und das Wort schämen sollte man nicht "herbeizitieren", wo es statt Aufklärung nur Irritation auslöst. Er lobt mit Recht die "Weisheit der Sprache" - hier hat er sie mißachtet, ihr selbst Gewalt angetan. Und mich hat auch sehr nachdenklich gestimmt, daß er ausgerechnet in seinen Ausführungen über "die prometheische Scham" im Band I der "Anti- quitiertheit des Menschen" das Kind "herbeizitiert", um seine absurde "Scham"theorie abzustützen. Da treiben seine nicht gründlich genug aufgearbeite- ten intellektuellen Säulenheiligen ihr Unwesen - allen voran Sigmund Freud. Da erkennt mensch, daß nur Männer seine geistigen Ziehväter waren. Eine Olympe des Gouges, ja alle bedeutenden Feministinnen seit der französischen und amerika- nischen Revolution, seine Mutter und der Gedanke an das Kind beeinflußten sein politisches Denken und Handeln kaum. Er übernahm gedankliche Konstruktionen, ja Dogmen von Freud - zum Beispiel das "Ich", "Es" und "über - Ich", den "Todestrieb" und das "Geburtstrauma" etc. einfach in seine "Geräte-Welt". Sodaß zum schlechten Schluß dann bei Günther Anders die "Technik" über den Menschen herrscht. Sie wird zum Subjekt erhoben wie bei Marx das "Kapital" und die "Ge- schichte", bei Freud das "Es", bei Juden, Christen und Moslemen "Gott". Die "Technik" wird zum Übeltäter und die Massenmörder sind dann nur noch eine "objektive" Masse. Auch die Anstifter zum Massenmord sind so (mal wieder) aus dem Schneider. Die Gewalt geht von der Technik aus, statt von den Menschen! Dabei gilt es doch durch empirische Analyse die geistigen und körperlichen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Täterinnen zu ermitteln. Fast alle politischen Ver- brechen sind beweisbar, "man" muß sich nur furchtlos an die Arbeit machen... Günther Anders gehört für mich nicht zu den Aufklärern und Vorbildern, die Kinder im Atom- zeitalter brauchen, die den Jugendlichen helfen, dieses unheilige Gewaltsystem zu durchschauen und gewaltfrei zu bekämpfen. Anders war noch - wie die meisten im Patriarchat - ein zu sehr genu- delter "Gänserich", der zwar "Gott" enttrohnte, aber wieder eine Abstraktion an seine Stelle rückte. Es geht um das genaue Ansehen, Wahrneh- men und Erkennen - vor allem der Kinder. Die "Erwachsenen" schenken Kindern "scham"los weiter ihre "Kriegs"-Geräte, statt sich endlich dieser Kinder wegen um die Politik, um die Ver- nichtung der atomaren, chemischen, bakteriellen und konventionellen Waffen zu kümmern. Das Überleben auf Mutter Erde hängt von allen Men- schen ab, die Säuglinge und Kleinkinder sind uns und nicht den Geräten ausgeliefert! Noch nicht oder nicht mehr Lebensfähige werden von "Erwachsenen " an Geräte gehängt, denn sie kön- nen noch nicht oder nicht mehr selbst über ihr Leben bestimmen. Machen wir deshalb nicht die Geräte verantwortlich: Sie wurden von ganz be- stimmten Menschen erfunden, konstruiert und be- dient. Die Zeitbombe schuf sich nicht selbst - sie war das Werk einiger Verbrecher, die heute noch angebetet, statt von veantwortungsbewußten Frauen und Männern der Kinder wegen gewaltfrei bekämpft werden. Darum allein geht es! Es geht um die "Subjekte", das "Selbst", jedes "Individuum", Dich und mich."Wir" wurden alle ab der Geburt von den "Erwachsenen" geliebt oder/und gehaßt, genudelt, mit oder ohne Absicht verletzt, belogen, betrogen, verwöhnt oder ver- nachlässigt. Wir müssen diese Beziehungen zwi- schen Kindern und Erwachsenen genau untersu- chen und wir müssen anders - statt "privat" eben politisch - handeln lernen. Damit wir uns vor den Kindern nicht schämen müssen! Kein Kind kommt als "wir" auf die Welt. Wenn "wir" es als überflüssig, als "nichts" ansehen und behandeln, wird es auch "nichts", bleibt es "Es", das nie "wir" werden kann. Mit "Du bist nichts, dein Volk ist alles" (Adolf Hitler) hat "man" mich bis zum 14. Lebensjahr ge- nudelt, dann versuchte ich wieder wie ein Kind meinem Gefühl und meinem Verstand zu vertrau- en und Menschen zu suchen, die eine ähnliche Sehnsucht wie mich um- und auf die Straße trieb. Und durch das Leben lernte ich - bevor ich eine deutsche Universität betrat -, daß Beziehungen und "Schämen" nur zwischen Menschen aufgrund gegenseitiger Verantwortung entstehen und ver- gehen oder auch bestehen und wachsen können, aber nie zwischen Abstraktionen, toten und bezie- hungslosen Dingen. Allerdings, das was uns Menschen hinterlassen an Geräten, Gedanken, Empfindungen in Briefen, Büchern, Bildern, Musik, etc. nimmt die eine, oder der andere später auf, wird dann wieder zur "lebendigen" Beziehung, wird "unsere" Geschichte - und die lohnt es immer genauer und gewissenhaf- ter kennenzulernen und aufzuarbeiten, bevor wir sie an die Kinder "weitergeben". Deshalb empfehle ich nicht nur die Passage über

die "prometheische Scham" im Band I der "Anti- quiertheit des Menschen", besonders über die "Ge- schlechtsscham" und über die angebliche "Scham" des Kindes vor seinem "Ich", vor seiner Entwick- lung zur eigenen Persönlichkeit zu lesen. Denn nach Anders erlebt das Kind den "Schock der sozialen(!) Geburt (seinen eigenen Namen ei- nem fremden Menschen zu sagen - H.M.) ... so vehement, daß er vielleicht als Variante von Freuds 'Geburtstrauma' aufgefaßt werden darf..." "Und wirklich bleibt auch dem 'Es' nichts anderes übrig als jenen vorhin beschriebenen Verstörten. Überwältigt von der Angst als Ich, ja als Ich 'coram' auftreten zu müssen, kennt es nur den einen Wunsch, zu versinken und unsichtbar zu werden. Also versucht es (dem Känguruh gleich, das in den Beutel des Ursprungs zurückspringt) das Alibi des bloßen Mitseins zurückzugewinnen; also verkriecht sich das Kind in die Röcke der Mutter". Dies unkritisch von Anders und anderen intellektuellen Gründervätern Übernommene treibt leider weiter sein Unwesen. Es läßt sich aber durch genaueres Beobachten der Kinder und der "Erwachsenen" korrigieren. "Genudeltes" kann von Dir und mir ein Leben lang "aufgehoben" werden. Suchen wir die Menschen, die Verantwortung für die heute lebenden Kinder übernehmen wollen.Wir brauchen sie nicht selbst zu zeugen, selbst zu gebären. Sie brauchen alle neben den biologischen politische Mütter und Väter. Die Kinder brauchen Menschen, die ihnen helfen zwischen Dogmen und "Wahrheiten" unterscheiden zu lernen.Und deshalb stelle ich trotz meiner Grundsatzkritik an Marx, Marcuse und Anders im FEMINIST nicht nur Feministlnnen vor und solche, "die sich nur so nennen". Und um zwischen Feministlnnen und denen, die sich nur so nennen, unterscheiden zu lernen, muß man alle, auch die verkappten Patriarchen selbst erkennen lernen. Daß Anders nicht ein "reiner" Patriarch war, wissen alle, die ihn lesen, und deshalb schließe ich jetzt mit einem letzten Zitat von ihm: "Die Macht einer Weltanschauung bewährt sich ja nicht durch die Antworten, die sie zu geben weiß, sondern durch die Fragen, die sie abzudrosseln versteht." Da bin ich wieder mit ihm einig, da sind wir "wir". Ich verabschiede mich wie immer mit meiner Weisheit und Wahrheit: HEIL KIND! Hannelore Mabry

Basler Zeitung • Feministin zwischen allen Stühlen naiiizen NummerFebruar 1993 Mabry, 62, die 1971 in München ein Frauenforum und eine theorieorien- tierte feministische Zeitschrift grün- dete. Dort verfocht sie manche neue Idee, die später zum feministischen Allgemeinplatz wurde, oder auch Forderungen wie die nach einer feministischen Partei und nach Lohn für Hausarbeit. Die Partei als politi- sche Strategie hat sie aufgegeben; an «Lohn für Hausarbeit» hält sie fest, er ist Teil ihrer feministischen «Mehrwerttheorie», die sie als Kritik der Marxschen Politökonomie 1977 veröffentlichte. Politisch ambitio- nierte Frauen wie Petra Kelly und Trude Unruh (Graue Panther) mach- ten Anfang der 70er Jahre in Mabrys Frauenforum mit und wechselten dann zu den «Grünen». Mit grosser Zähigkeit blieb Mabry der Aufklä- rungsarbeit an der Basis treu. Ihre Ideen propagiert sie noch immer an einem Stand in der Münchner Fuss- gängerzone, in der Zeitschrift «Der Feminist» und im von ihr initiierten «Bayrischen Archiv der Frauenbewe- gung» BAF. Die gelernte Schauspie- lerin und studierte Soziologin zeigt sich dabei als eine Mischung aus Missionarin und Politikerin, aske- tisch-genügsam, fanatisch, arbeits- wütig, streitfreudig, witzig, mit einem scharfen politischen Ver- stand, manchmal grössenwahnsin- nig, manchmal verzweifelt um die sprachliche Formulierung ihrer Ge- danken kämpfend. Sie hat dabei gute, aufklärerische Formulierun- gen wie «der Feminist» gefunden, aber auch Provokationen wie den Gruss «Heil Kind!», gedacht als Protest gegen totalitäres Denken faschistischer und klerikaler Prove- nienz, - was aber bei vielen nicht das gewünschte Nachdenken er- zeugt, sondern Missverständnisse. Mabry hat an den Blockaden der AKW-Gegner in Wackersdorf und der Friedensbewegung in Mutlan- gen und Neu-Ulm teilgenommen. 1983 hat sie in München im Dom ein Fasten gegen den Nachrüstungs- beschluss organisiert. Und nachdem sie und ihre Mitstreiterinnen von der Polizei herausgetragen wurden, mit Erfolg gerichtlich gegen die Wegtragegebühr gestritten. 1988 beim Papstbesuch in Bayern wurde die überzeugte Atheistin wegen eines geplanten antikirchlichen Pro- tests in Vorbeugehaft genommen und zum Nacktausziehen auf dem Polizeiposten gezwungen, was vier Jahre später nach einem zähen Kampf durch mehrere Instanzen als «grob unverhältnismässig» verur- teilt wurde. Gegen die Münchner Frauenbeauftragte setzte sie eben- Die feministische Bewegung ist fast ebenso verstummt wie die Neue Linke, von der sie sich einst absetzte. Seit Ende der 70er Jahre konzentrie- ren sich grosse Teile der Bewegung auf Selbsterfahrung, Spiritualität, Matriarchatsforschung, feministi- sche Sprachkritik, während die rechtlichen Forderungen (ohne die Macht, sie durchsetzen zu können) verbal von den Frauenbeauftragten vertreten, die sozialpolitischen Anliegen durch die Frauenhäuser- wahrgenommen werden. Zu man- chem Thema gab es sogar inter- nationale Kampagnen, z.B. gegen Befruchtung im Reagenzglas, für- Frauenquoten, gegen Misshand- lung, Vergewaltigung, Inzest und sexuelle Belästigung am Arbeits- platz. Vergleichsweise im Hinter- grund blieben die Armut der Frauen und die wachsende Frauenarbeits- losigkeit. In der Schweiz war der Frauenstreik praktisch wirkungslos, ebenso die Aktion «Taten statt Worte». Auch Frauen im Uni-Lehr- körper sind immer noch mit der Lupe zu suchen. Trotz aller Dis- kussionen, Kampagnen und Publika- tionen und auch mehr Bewusstsein seitens der Frauen haben sich die ungleichen Machtverhältnisse zwi- schen den Geschlechtern nicht ver- ändert. Eine Frau, die 20 Jahre die Frauen- bewegung in Deutschland mit- prägte und deren «Mainstream» kri- tisch begleitete, ist Hannelore Gewaltfrei das Gewaltsystem bekämpfen Alle Länder räumten im Laufe der Zeit den Frauen das aktive und pas- falls mit Hilfe der Justiz durch, dass das «Bayrische Archiv der Frauenbe- wegung» in das kommunale Frauen- informationsbuch aufgenommen werden musste, was die Frauenbe- auftragte mit zweifelhafter Begrün- dung verweigert hatte. Vermutlich aus Ressentiment. Denn Mabrys zä- hes Engagement für die Frauen und für die Bürgerrechte polarisiert, er- zeugt Respekt oder heftige Ableh- nung. Wie die meisten interessan- ten Menschen ist sie schwierig und anstrengend. Aber immer wieder sagt sie Wichtiges zur Frauen- und Männerfrage. So hat sie über weibli- che «Mittäterschaft» gründlich nach- gedacht, lange bevor Thürmer- Rohrs Ausführungen dazu berühmt wurden. Auch die Entpolitisierung der Frauenbewegung durch New- Age-Haltungen kritisierte sie von Anfang an. Die Erneuerung der De- mokratie mittels direktdemokrati- scher Instrumente sowie durch poli- tische Basisarbeit ausserhalb der parlamentarischen Institutionen be- schäftigen Mabry zunehmend, seit sie die Idee der Frauenpartei verab- schiedet hat. Einen Rückblick auf ihre politische Arbeit ab 1981, ein- schliesslich ihrer Musterprozesse, enthält die neueste Nummer der Zeitschrift «Der Feminist» (Christ- rosenweg 5, 8000 München 70). Im folgenden ein Textauszug, der ver- schiedene Punkte von Hannelore Mabrys politischem Feminismus zur Sprache bringt. bl eine Mehrheit, deren Wahl-, Wil- lens- und Kritikfähigkeit im Kindes- und Jugendalter von Erwachsenen massiv eingeschränkt wird. Glauben gilt dadurch bei ihnen mehr als Er- fahrung, Vergleich und Wissen. Viele wollen daher die sie umgeben-

eite-`" 77.fe—ä1-e'Altzbege-gifia-ke-Nre: Doch die wenigen Frauen repräsen- tieren so wenig wie einige Arbeiter und einige Schwarze die Interessen der Mehrheit. Wie es aussieht, hat sich die reprä- sentative parlamentarische Demo- kratie als die erfolgreichste Methode zur Erhaltung des Patriarchats er- wiesen. In ihr müssen alle formalen Behinderungen abgebaut werden. jedes Individuum hat theoretisch die Chance, in Spitzenpositionen zu ge- langen. Aber nichts ist effektiver, als von jeder Gruppe, jedem Ge- schlecht, jeder religiösen und politi- schen Bewegung die Anführerinnen in repräsentative parlamentarische Ämter zu hieven und so die Bewe- gungen zu befrieden, ihren Kultur- tod einzuleiten und zu besiegeln. Doch was heisst überhaupt Patriar- chat? Ist es Männerherrschaft, Vä- terherrschaft? WAs ist das wirklich Spezifische an diesem Herrschafts- system? Und wie lässt es sich über- winden? Denn einig sind sich Femi- nistinnen nur darin, dass sie das Pa- triarchat abschaffen wollen. Auf den ersten Blick scheint die Defi- nition Männerherrschaft zutreffend. Wenn wir jedoch tiefer gehen, dann bleibt der Mann nur als Symptom übrig. Symptome dürfen im Patriar- chat benannt, allseits angeprangert werden. Die Herrschenden freut es, wenn das Patriarchat als Männer- herrschaft bezeichnet und nicht das Strukturprinzip Gewalt offengelegt wird. Denn alle, die Männer als Ge- schlecht verantwortlich machen, lenken ab von den konkreten Tätern und Täterinnen. Zu untersuchen wäre hingegen, wer trifft die Ent- scheidungen über Waffenproduk- tion, Waffenkäufe und Waffenein- satz? Wer herrscht mit Feindbildern und Verleumdungen? Wer manipu- liert? Wer foltert, vergewaltigt, schiesst, lyncht, vergast? Wer unter- drückt Kritik und Opposition? Wer ist verantwortlich für kinder- und frauenfeindliche Gesetze, Witze, Ar- tikel, Videos etc.? Nur Männer? So viel ist sicher, wenn wir alle Män- ner, alle Väter zu Schuldigen, zu Vergewaltigern erklären, dann ist das sehr entlastend für die tatsächli-: chen Täter. «Oben» und «Unten» hat Hannelore Mabry, München: Neben der Theorie-Zeitschrift «Der Feminist» macht sie Basisarbeit seit über 20 Jahren. Foto Rainer Wohlfahrt dann den Sündenbock, die Schub- lade, die Theorie, das Allheilmittel gefunden. Die Angst ist gebannt und die eigene Verantwortung auf- gehoben. Männer haben nichts da- gegen, denn wenn das Patriarchat als Männerherrschaft gilt, dann ge- hört man wenigstens der Definition nach zu den Herrschenden. In Wahrheit ist die Lage der meisten Männer im Patriarchat keineswegs beneidenswert. Denn ein «richtiger» Mann lässt sich sogar «freiwillig» zum potentiellen Mörder ausbilden und schützt lieber das «Vaterland» als «sein» Kind, «seine» Frau, «sein» Eigentum. Er hat gelernt - wie (s)eine Frau - sich einzuordnen, zu gehorchen. Die meisten Männer wissen, wenn sie aus der Reihe tanzen, dann landen sie bald da, wo die Mehrheit der Frauen seit Jahr- hunderten zu finden ist, bei den Waffen- und Besitzlosen. Das Patriarchat ist nicht erklärbar als Vater- und auch nicht als Männer- herrschaft. Das Spezifische liegt in der Form, nicht im Inhalt. Das Patri- archat ist das System der Gewalt, in dem das Recht des (körperlich, gei- stig, ökonomisch) Stärkeren Gesetz ist. Davon handeln die Analysen in der Zeitschrift «Der Feminist». Was be- deutet «Der» Feminist? fragen viele. Seit ca. hundert Jahren heisst so ein Mann, der sich für die Rechte der Frauen einsetzt, ein Frauenrechtler. Wir nennen Feministen aber schon lange Kinderrechtler und Femini- stinnen Kinderrechtlerinnen. Denn die Frauenfrage ist im Grunde die Kinder- und die Väterf rage. Und weil das Patriarchat keine Män- ner- und auch keine Väterherrschaft ist, müssen wir darauf bestehen, dass Männer und Väter mit uns ge- meinsam dieses System der Gewalt abschaffen. Gewalt und Manipulation ist nicht an ein Geschlecht, eine Rasse oder Klasse gebunden, sondern an be- stimmte Menschen und eine be- stimmte Ideologie bzw. Religion. Denn ausser der Voraussetzung, der/die Stärkere in einer Situation zu sein, ist hier Bedingung: Manipula- tion und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung religiöser, sexueller und ökonomischer Interessen zu be- jahen und anzuwenden. Potentiell kann jeder und jede den/die Schwä- chere/n vergewaltigen. Worauf es ankommt: Ob er/sie es tut. Im Patriarchat wird Manipulation und militärische Bewaffnung nach innen und aussen zur Erhaltung des Systems für nötig gehalten. Das Recht des Stärkeren ist institutio- nalisiert - mit den entsprechenden Folgen. Warum und wie jemand Karriere macht, oder warum sie/er im Haus, im Gefängnis oder KZ verschwindet, das wollen viele Menschen auch gar nicht genau wissen. Meist sind sie zufrieden, wenn ein Symptom als Ursache abstrahiert ist, zum Beispiel die Erziehung, die Tradition, das «Kapital», die Technik, die Natur, und nicht zu vergessen die Frau, der Mann. So wurde für die Mehrheit der neuen Frauenbewegung der Mann das, was für das Patriarchat die Frau, für Hitler der Jude, für Christen der Heide oder Atheist ist - wenn schon nicht ein Untermensch, so doch nicht wert, dass frau sich fortan noch mit ihm beschäftige. Während bisher der Mann für Ideo- logie, Religion, Politik und Krieg als zuständig galt, wird jetzt die Frau der Mittelpunkt, die Göttin, die Ur- mutter, die «Häxe», die dem Mann überlegen ist. Nachdem beim Mann keine Seele mehr gefunden (Seelen- abortus) bzw. ihm die Sensibilität abgesprochen wurde (jeder Mann ist ein Vergewaltiger), verfügt nur noch die Frau über das Wahre, Gute und Schöne: Gefühl, Liebe. Sexismus ohne Ende? Ein derartiger Persil- schein für Patriarchalinnen ist falsch. Die herrschenden Männer schrieben einst Menschenrechte fest. Frauen und Kinder sollten sich dazu offen- sichtlich nicht äussern. Daher er- gänzte Olympe de Gouges die insge- samt 17 Artikel der «Menschen- und Bürgerrechte» vom 26. August 1789 drei Jahre später um die «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgern». Wir fordern heute die Menschen- rechte auch für das Kind. Sobald die Nabelschnur zwischen Mutter und Kind zerschnitten ist, tritt das Men- schenrecht in Kraft. Ein Kind muss sein Schrei-, sein Rede- und Stimm- recht erhalten, sobald es seine Be- dürfnisse, Gedanken und Rechtsvor- stellungen ausdrücken kann. Der wehrloseste Mensch, der der Fami- lien- und Staatsgewalt am meisten ausgeliefert ist, braucht den stärk- sten Schutz. Mit sublimer und offener Gewalt werden die meisten Menschenkin- der nach und nach stillgestellt, verständig und artig gemacht. Sie lernen, worauf es den Herrschenden ankommt: Die Norm, die Form, Ruhe und Ordnung mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten. Sie lernen, Autoritäten anzuerkennen, noch be- vor sie aufgrund eigener Lebenser- fahrung vergleichen und bewerten können. So müssen sie zum «lieben Gott» beten, ohne zu wissen, dass es auch Heidinnen, Un- und Anders- gläubige gibt. Noch immer ist es Viele wollen daher die sie umgeben- nen widerfahren, denen man in der Kindheit das Rückgrat weder durch Gleichgültigkeit und Misshandlung noch durch Verwöhnung brach. Um nicht immerfort selber entscheiden, bewerten und handeln zu müssen, setzen sie im Laufe ihres Lebens eine «Göttin» oder einen «Gott», das «Kapital» oder Marx und Engels, Freud oder Simone de Beauvoir als ihre moralische Instanz ein. Sie entscheiden sich so für eine Moral, die durch andere aufgewertet, re- präsentiert, mehrheitsfähig, stark werden soll. Diese Wahl ersetzt ei- genes Handeln. Ebenso geben sie ihre politische Stimme ab an einen Repräsentanten oder Repräsentatin ihrer Wertordnung. Sie entscheiden sich für Freiheit und Demokratie «an sich», erfüllen auch stets ihre Wahl- pflicht. Aber wenn ihre Partei, ihre Abgeordneten, ihre Nation dann Dinge tun, die sie nicht gutheissen, die sich mit ihrer Moral nicht ver- tragen, dann haben sie das nicht ge- wollt, sind dafür nicht mehr verant- wortlich. Das Stimmrecht, Grundrecht, Men- schenrecht, so hart erkämpft von feministischen Ururgrossmüttern, unterstützt von einer Handvoll Urur- grossväter, gaben uns die Patriar- chen nur auf dem Papier, als Lullaby zur Beruhigung. Wir sollten glau- ben, dass wir durch unsere abgege- benen Stimmen die politische Ent- wicklung tatsächlich mitbestimmen würden, dass wir durch den Einwurf unseres Wahlzettels nicht mehr Mägde und Knechte, sondern das regierende Volk geworden seien. Doch unsere Stimme vernimmt mensch nur im Haus, in der Fabrik, im Büro, im Kindergarten, in der Schule und auf der Strasse. Dort ist sie echt, die unsere, und dort müs- sen wir sie auch erheben. Wenn die Opposition nicht total ver- stummen soll, muss sie sich endlich auch wieder ausserparlamentarisch rühren und zusammenfinden. Dann erleben sich Wählerinnen häufig zum ersten Mal als Volk, als De- mokratinnen, sammeln politische Erfahrungen, erleben Demokratie direkt. Hannelore Mabry

Mutter und Kind oder die Fortsetzung des Patriarchats Tag für Tag zeugen potentielle Väter - meist ohne potentielle Mütter zu fragen, ob ihr Same gewünscht ist - Kinder. Viele Männer verschwinden nach der Zeugung oder später. Über vierzig Prozent der Väter kümmern sich nach einer Scheidung, nach der Trennung von der Mutter, nicht mehr um das Kind, die Kinder. Viele Mütter sind froh, wenn Männer wenigstens Zahlväter werden. Der Volksmund sagt "Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr". Mancher unbekannte Soldat - ob Vater, Ehemann oder Sohn - mißhandelt und vergewaltigt unbe- kannte Kinder, unbekannte Frauen und unbe- kannte Mütter. Mutter und Kind sind ungeschützt - nicht nur in Kriegen. Zahllose Mütter müssen die Kinder früher oder später allein ernähren, allein für sie da sein. Zahllose Väter bleiben außen vor - wie ihre Väter. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im und außer Haus nennt man das. Mutter und Kind zahlen drauf. Vater Staat ist auch kein Vater. Die Gründerväter der Religionen, Philosophien, politischen Theorien, Kirchen, Universitäten, Parteien, Gewerkschaften, Unternehmen, Streitmächte, Staaten und Vereinten Nationen waren alle für die Arbeitsteilung nach Geschlecht. Die Gründerväter reden von Gleichheit, Freiheit, Solidarität, von Natur- und Menschenrecht, aber sie praktizieren das "Recht" des Stärkeren. Im "Jahr der Menschenrechte" wird wie eh und je gebrandschatzt, Mutter und Kind mißhandelt, vergewaltigt und gemordet - bleibt "Krieg der Vater aller Dinge". Dem Schutz von Mutter und Kind dienen im Patriarchat weder die Institution Familie, noch Kirche, noch Staat. Sie wurden alle von den Gründervätern zum Schutz des Allgewaltigsten, der Stärksten, errichtet: "I'm the greatest"! Das sagen aber nicht alle Vergewaltiger und Massenmörder laut und deutlich von Anfang an wie Hitler. Die meisten Vergewaltiger führen in "Gottes" oder/und des Volkes Namen nur Befehle aus. Daß es immer Befehle von ganz bestimmten Menschen - meist Männern - sind, müssen Mütter und Kinder allein herausfinden. Vater Staat braucht unmündige Kinder und 34 halbmündige Mütter, braucht den gehorsamen Untertan, der sich selbst am nächsten ist, "Gott" vertraut und anderen Untertanen mißtraut, der zuerst an sich denkt - statt an das Kind, die Kinder -, sein "Ich" sucht und seinen "Gott" und sein "Eigentum" verteidigt. Sein Kind betrachtet und behandelt er dann als sein Eigentum, seinen Besitz. Im Konkurrenz- und Machtkampf unter Un- gleichen - dem kulturellen "Erfolgs"prinzip des Patriarchats - bleiben die Schwächeren wie von alleine auf der Strecke. Für Kinder bleibt da wenig Raum und Zeit. Es reicht, daß man sie ohne Verantwortung weiter zeugt. Das wußten schon die alten Römer. Deshalb hießen bei ihnen diejenigen, die dem Staat nichts anderes als Kinder liefern konnten, "proles". Ohne proles ist Vater Staat erledigt. Er braucht ständig Nachschub an Staatsdienerinnen und unbekannten Soldaten. Die potentiellen Mütter denken und beschäftigen sich leider wenig mit dem Patriarchat, mit den Gründervätern. Die meisten unbekannten Mütter ziehen die Kinder weiter in althergebrachter Weise groß. Sie haben, wenn sie ein Kind auf die Welt bringen, auch keine echte Wahl hinsichtlich der Arbeitsteilung - sowohl im wie außer Haus. Für eine echte Wahl brauchen sie echte Väter, soziale und politische Väter, die Kinder nicht nur zeugen, sondern annehmen - weil sie mit oder für Kinder arbeiten und leben wollen. Nicht eine Frauen-, eine Väterfrage ist's. Denn wenn Väter und Söhne weitermachen wie bisher, dann werden Mütter den Nachschub an unbekannten Soldaten weiter liefern. Und wegen der vom Patriarchat - nicht von politischen Müttern, nicht von Feministinnen - verordneten "Gleichstellung der Frau": auch noch den Nachschub an unbekannten Soldatinnen. Die Emanzipation von Mutter und Kind bleibt ohne Emanzipation von Vater und Sohn Illusion. Die unbekannte Mutter und das unbekannte Kind bekommen - im Unterschied zum Soldaten - nicht mal ein Denkmal. Nur mit Maria, der "heiligen" Mutter, die ihr Kind unbefleckt - vom "heiligen" Geist - empfing, machte man eine Ausnahme. Von ihr und von dem Jesus-, dem "Christ"kind soll alle Welt erfahren. Diese Mutter und ihr Sohn sollen geachtet und angebetet werden, sollen "überleben".

FzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA eministische Literaturkritik Janice R. u. Stephen R. MacKinnon: AGNES SMEDLEY, Aus dem Amerikanischen von Helga Bilitewski und Marianne Schulz-Rubach, eFeF Zürich 1989, 421 S., DM 48.-- "Ich mache eine Verbeugung vor der Natur, aber nicht vor einem Gesellschaftssystem, dessen Grundlage der Wunsch einer herr- schenden Klasse nach Macht ist. Dieses System pervertiert unser Leben. Tausende von Frauen werden durch dieses System er- drückt und stumm gemacht und entwickeln nie die Fähigkeiten, die sie von Natur aus entwickeln müßten, wenn sie in einer an- ständigen Umgebung lebten." Als Agnes Smedley 1923 in Berlin diese Sätze schrieb, hatten sie die ständigen Repressalien wegen ihres vehementen Einspruchs gegen jede Form von Unterdrückung bereits aus ihrem Geburts- land vertrieben. Agnes Smedley wurde 1892 in ärmsten Verhält- nissen im amerikanischen Westen geboren. Während ihrer ge- samten Kindheit mit Entbehrung, Diskriminierung und Gewalt konfrontiert, wurde sie schon früh eine politische Aktivistin. 1916 trat sie der amerikanischen Sozialistischen Partei bei und begann sich kurz darauf für die indische Unabhängigkeitsbewe- gung zu engagieren. Nachdem sich die USA im 1. Weltkrieg auf die Seite der briti- schen Kolonialmacht geschlagen hatten, begann Agnes Smedleys politische Verfolgung, die ihr ganzes Leben lang andauern sollte. Zwischen 1920 und 1928 unterstützte sie in Deutschland den indischen Freiheitskampf und Margaret Sangers Bewegung zur Geburtenkontrolle. Bereits während dieser Zeit erwarb sie sich einen internationalen Ruf als Journalistin; schließlich entsandte sie die Frankfurter Zeitung als Korrespondentin nach China. Dort lebte sie bis 1941 als auf der ganzen Welt berühmte Kriegs- berichtserstatterin und Agitatorin für die Kommunistische Partei Chinas. Da sich Agnes Smedley für eine chinesische Einheitsfront gegen Japan einsetzte, erfreute sie sich hei ihrer Rückkehr in die Verei- nigten Staaten, die sich mittlerweile ebenfalls im Krieg mit Japan befanden, zunächst großer Popularität. Dies gab ihr die Möglich- keit, sich öffentlich gegen den Rassismus und Imperialismus der westlichen Welt zu wenden. Doch mit Einsetzen des Kalten Krieges und dem schließlichen Sieg der Kommunisten im Chine- sischen Bürgerkrieg wurde sie erneut zu einer mißliebigen Person. Man überwachte sie, ihre Artikel wurden boykottiert und die Anschuldigungen gegen sie gipfelten schließlich in der absurden Behauptung, sie sei eine sowjetische Spionin. Resigniert und ver- bittert verließ Agnes Smedley 1949 die USA um nach China zurückzukehren. Auf dem Weg dorthin starb sie am 6. 5. 1950 in London. Soweit in groben Zügen der Lebensweg von Agnes Smedley, den die aufwendig recherchierte Biographie von Janice und Stephen MacKinnon akribisch genau nachzeichnet. Einer der großen Ver- dienste dieses Buches ist der bewußte Versuch, die Widersprüche in der Persönlichkeit Agnes Smedleys aufscheinen zu lassen. Die zahlreichen Selbstzeugnisse und Interviews mit Freundinnen und WeggefährtInnen zeigen eine Frau, die mutig, entschlossen und voller Gefühle war - aber in ihrer Kompromißlosigkeit auch er- schreckend, ungerecht und verletzend. Für sie gab es weder eine politische noch eine persönliche Heimat; keine ihrer tieferen Freundschaften und Liebesbeziehungen überdauerte bis zu ihrem Tod. Doch nicht nur diese eindringlichen, aber niemals voyeuristischen Einblicke in ihr persönliches Leben machen das vorliegende Buch zu einer wahrhaft fesselnden Lektüre; es ist auch ein geschicht- liches Lehrstück ersten Ranges. Den Leserinnen werden immer wieder die Selektivität und ideolo- gische Verzerrung der 'historischen 'Tatsachen' bewußt, die unser Geschichtsbild prägen (sollen). Insbesondere der Umschwung der amerikanischen Innen- und Außenpolitik zur Zeit des Kalten Krieges, der auch Agnes Smedley so hart getroffen hat, zeigt in exemplarischer Deutlichkeit, wie schnell sich "gut" und "böse" austauschen lassen, um die Herrschaft eines Gewaltsystems zu rechtfertigen. Menschen wie Agnes Smedley, für die das Ende aller Unterdrückung einziges politisches Ziel ist, können dabei nur verlieren. Sie selbst hat die Veränderungspotentiale in der westlichen Zivi- lisation besonders gegen Ende ihres Lebens nicht besonders opti- mistisch beurteilt. Dazu hat sie auch die Korrumpierung schon der Kleinsten nur allzu deutlich gesehen: "Kinder - alle Kinder - sollten unter dem umfassenden Schutz der Gesellschaft stehen. [...] Man darf auch bezweifeln, ob viele Eltern es überhaupt ver- dienen, Kinder zu haben oder sie zu erziehen, wenn sie welche haben. Die Seelen vieler, vieler Kinder wurden in der Kindheit von unwissenden und selbstsüchtigen Eltern verbogen." Allen, die mehr über Agnes Smedley erfahren wollen, sei die Bio- graphie der MacKinnons wärmstens empfohlen. Die stilistisch nicht immer sichere Übersetzung und die gelegentlich ziemlich krassen Fehler des Anmerkungsverzeichnisses lassen sich in die- sem Fall verschmerzen. Claudia Streit Camille Lacoste-Dujardin: MÜTTER GEGEN FRAUEN, Mutterherrschaft im Maghreb, Aus dem Französischenvon Uta Goridis, eFeF Zürich 1990, 252 S., DM 32,-- In ihrem Buch "Mütter gegen Frauen - Mütterherrschaft im Maghreb" schildert die französische Ethnologin zunächst einmal in allen Einzelheiten eine kabylische Hochzeitsfeier. Die sprach- kundige Autorin geht von persönlichen Erlebnissen in einem be- sonders konservativen Volksstamm Algeriens aus, um dann auf der Grundlage einer umfangreichen Literatur auch die Situation der Frau in anderen Ländern des Maghreb zu beschreiben. Dabei rückt in den Mittelpunkt der Betrachtung die Stellung der Mutter, die einen Sohn geboren hat. und die dann mit Hilfe des von ihr abhängig bleibenden Sohnes in eine Machtposition ge- langt, die der Frau nach islamischer Lehre eigentlich gar nicht zusteht. Diese Mutter wird, so die These der Autorin, zur Ver- fechterin einer patriarchalischen Familienordnung, von der sie profitiert, obwohl sie eigentlich frauenfeindlich ist. Hauptleidtragende sind dabei die jungen Frauen, die von der Mutter ihres Mannes als Dienstmagd betrachtet werden, und denen nur die Hoffnung bleibt, als Mutter von Söhnen einstmals ebenfalls in eine Machtposition aufzurücken. Die Frauen dienen dabei lediglich dem Fortbestand einer patrili- nearen Familienordnung, in der Liebesgefühle zwischen Ehepart- nern keinen Stellenwert haben und die Sexualität der Fortpflan- zung untergeordnet ist. Daß sie dennoch diese Rolle immer wieder übernehmen, ist eben das erstaunliche, denn auch der in Aussicht stehende "Profit" ist ja genau besehen eher fragwürdig. Spielen in diesem System die Männer die Frauen trickreich gegeneinander aus? Camille Lacoste-I)ujardin verweist auch auf moderne Strömun- gen in den Maghrebstaaten, in denen die traditionelle Familien- struktur in Frage gestellt wird. Die zahlreichen (und nicht immer ganz leicht zu lesenden) langen 36

Die zahlreichen (und nicht immer ganz leicht zu lesenden) langen Zitate erinnern in ihrem Inhalt teilweise stark an das, was wir aus der deutschen Familienliteratur der Jahrhundertwende kennen. Insofern liegt uns der Maghreb wohl nicht ganz so fern, wie es zunächst scheinen mag. K. Elisabeth Freundlich: DIE FAHRENDEN JAHRE, Erinnerungen, herausgegeben mit einem Nachwort von Susanne Alge, Otto Müller Verlag, Salzburg 1992, 191 S., DM 42,80 Fast nimmt sich der eher schmale Band, dem außer ihrem Lebensbericht auch andere Texte der Autorin sowie ein Nachwort beigegeben ist, ein wenig zu bescheiden für eine Frau aus, die soviel erlebt und getan hat. In der Tat sind die Erinnerungen Elisabeth Freundlichs sehr auf das in ihren Augen Wesentliche konzentriert: die Zeit ihrer Kindheit und die Jahre der Emigra- t ion Freundlich beginnt mit einer ausführlichen, oft humorvoll-ironi- schen Schilderung ihres Elternhauses in Wien. 1906 als Tochter jüdischer Linksintellektueller geboren erfuhr sie während ihrer Kinderzeit viel Liebe und Geborgenheit, mit ihren Eltern hat sie bis zu deren Tod ein sehr enges Verhältnis verbunden. Nach Eli- sabeth Freundlichs Schilderungen wirkten ihre Eltern mehr als Vorbilder denn mit Druck: Die einzigen Schläge, die sie jemals erhalten hat, sind ihr unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Noch im Vorschulalter hatte sie eine Hausangestellte auf ihren Platz als "Dienstbotin" verweisen wollen, was die harte Strafe ihrer Mutter nach sich zog. Dieses Vorgehen erscheint ihr im Nachhinein als gerechtfertigt: "Dennoch bin ich heute fest davon überzeugt, daß sie mit ihrem Vorgehen etwas in mir im Keim erstickt hat, was vielleicht in jedem von uns angelegt ist: den Dünkel nämlich, das Gefühl der Überlegenheit dem gegenüber, der auf der sozialen Leiter nur ein winziges Stückchen tiefer steht, ein Machtgefühl, von dem, so meine ich, alles Übel der Welt herrührt." Schon an dieser Stelle wird exemplarisch deutlich, wie fern Elisa- beth Freundlich jegliche Form von Beschönigung liegt, wie sehr es ihr vielmehr darum geht, im Leben Gelerntes zu vermitteln, aus den sie prägenden Erfahrungen auch andere Nutzen ziehen zu lassen. Hier liegt einer der Gründe, warum ihre Lebensbeschrei- bung manchmal fast bruchstückhaft wirkt (z.B. erfahren die Leserinnen kaum etwas über ihre spätere Jugendzeit und ersten Erwachsenenjahre). Der andere Grund ist eng mit dem ersten verknüpft: Weil die Betonung auf dem liegt, wie sie gelernt hat und wodurch sie gewachsen ist, rücken Menschen, die sie in ihrem Leben begleitet haben, stark in den Vordergrund: Freundlich erinnert sich über weite Strecken mehr an andere und deren Ver- dienste als an sich selbst. Von daher wird leicht verständlich, warum der nächste große Schwerpunkt ihrer Darstellung auf der Zeit der Emigration liegt. Die Verhaftung ihres Vaters durch die Austrofaschisten im Jahr 1934 wird der Auslöser für ihre Politisierung. Sie distanzierte sich für längere Zeit von ihren ursprünglichen Interessen der Litera- tur- und Theaterarbeit und begann für eine internationale Frie- densorganisation zu arbeiten. Nach der Annexion Österreichs 1938 floh die ganze Familie Freundlich nach Zürich, von dort nach Paris und schließlich 1940 über Lissabon in die Vereinigten Staaten. Hier übernahm Elisabeth Freundlich die Herausgabe der Litera- turbeilage der 'Austro-American -Tribune', die sich als Forum österreichischer Emigrantenschriftsteller verstand. Durch diese Aufgabe kam sie in z.T. engen Kontakt mit nahmhaften Autoren und wurde auch zu eigenen literarischen Werken ermutigt. Auch ihren späteren Mann Günther Anders lernte sie dort kennen. Als sie sich 1950 entschloss, nach Wien zurückzukehren, hatte sie wie so viele Remigrant Innen nicht erwartet, dort im Klima des Kalten Krieges als unerwünschte Person behandelt zu werden. "Hätte ich gewußt, mt welchen Schwierigkeiten ich nach meiner Rückkehr zu kämpfen haben würde, vielleicht hätte ich nicht den Mut aufgebracht, diesen Schritt zu tun. Heute freilich, in der Tückschau, bin ich froh über meinen Entschluß, weiß, daß er richtig gewesen ist. Ich lebe hier für das, wofür ich angetreten bin, als bewußte, politische Schriftstellerin." Am Ende ihres Buches, dessen Lektüre hier ausdrücklich empfohlen werden soll, faßt Elisabeth Freundlich die Lehren ihrer Emigrationszeitzeit noch einmal prägnant zusammen: "Die Erfahrungen im Exil hatten mein weiteres Leben endgültig geprägt. Im Grunde ist es immer dieselbe Erfahrung gewesen. Sie hieß: solidarisch handeln." Lieselotte Amerang Außerdem bedanken wir uns für die Zusendung der folgenden Werke, für deren Besprechung der Platz leider nicht mehr ausreicht. Die genannten Bände sind alle im Bayerischen Archiv der Frauenbewegung zugänglich. Sor Juana Ines de la Cruz: DIE ANTWORT AN SCHWESTER PHILOTA, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/M. 1991, 144 S., DM 24.-- Martina Holterhof: CAMILLE CLAUDEL - die geniale Gehilfin, Claus Richter Verlag, Köln 1993, 118S., DM 24,80 Frederic W. Nielsen: WARNER IN DER WÜSTE, Sechzig Jahre Vergangenheitsbewältigung eines ehemaligen Asylanten, Toleranz Verlag, Freiburg 1993, 220 S., DM 20.- - Hans Biedermann: DIE GROSSEN MÜTTER, Die schöpferische Rolle der Frau in der Menschheitsgeschichte, Scherz Verlag, Bern und München 1987, 223 S., 39,50 Franziska Stalmann: DIE SCHULE MACHT DIE MÄDCHEN DUMM. Die Probleme mit der Koedukation, Piper Verlag, München 1991, 134 S., DM 12.80 Robert Zapperi: DER SCHWANGERE MANN, Beck Verlag 1984, 286 S. DM 29,80 Heidelinde Ringacker: VOM RECHT GETRETEN, Eine Analogie zu Michael Kohlhaas in heutiger Zeit, Pfiff-Verlag Hildegard Heidel, Eitorf o.J. Barbara Bronnen (Hrsg.), MAMMA MIA, Geschichten über Mütter, Beck Verlag, München 1989, 294 S., DM 19,80 Sibylle Plogstedt, NIEMANDSTOCHTER. Auf der Suche nach dem Vater, Piper Verlag, München 1991, 163 S., DM 12,80 Harald R. Bilger, MACHT DER FRAU - HERRSCHAFT DES MANNES. Hoffnungen und Gefährdungen für die Zukunft, Universitätsverlag Konstanz GmbH 1988, 282 S. 37

Die frustrierenden Bemühungen um eine müde Mark Chronologie der Bemühungen des BAF e.V. wegen Förderung des BAYERISCHEN ARCHIV DER FRAUENBEWEGUNG durch die Landeshauptstadt München: Datum Ereignis bzw. Anträge 23. Dez. 88 Gründung des BAF e.V. 5. Jan. 89 Anerkennung des BAF. e V. als gemeinnützige Körperschaft 19. Jan. 89 Eintragung ins Vereinsregister (VR 12638) 27. April 89 Besuch der Vorsitzenden des BAF e.V. bei der Gleichstellungsstelle der Stadt München wegen Unterstützung des BAF e.V. April - Juli 89 Ständige Schreiben, Telefonate seitens des Vorstands des BAF, um von Stiftungen eine Förderung zu erwirken. Ergebnis: von den über 80 angeschriebenen Stiftungen ist nur eine bereit, uns einmalig mit einem Betrag von DM 2000,-- zu unterstützen. 21. April 89 1. Pressekonferenz mit der Bitte, unser Selbsthilfeprojekt in den Medien vorzustellen 15. Juni 89 Antrag beim Sozialreferat gestellt, uns im Rahmen der Selbsthilfeförderung einen einmaligen Zuschuß von DM 28 350,-- für 1989 zu gewähren 10. Juli 89 Antrag beim Kulturreferat gestellt, uns 1989/90 mit DM 50 000,-- zu fördern Aug./Sept. 89 Antrag des BAF e.V. bei der Gleichstellungsstelle zur Aufnahme in das Handbuch "Stichwort Frauen" (Teil 2) gestellt (Informationsbroschüre der Stadt München) 11. Sept. 89 Besuch des Vorstands beim Kulturreferent Herrn Hummel: Er vertritt die Ansicht, daß das Land Bayern und 4. Okt. 89 Der Selbsthilfebeirat lehnt die uns vom Sozialreferat zugedachte einmalige Einrichtungsbeihife mit drei nicht die Stadt für uns zuständig sei. Er will den Antrag des BAF e.V. dem Stadtrat nicht vorlegen. Für- und fünf Gegenstimmen mit der Begründung ab, unser Selbsthilfeprojekt müsse vom Kulturreferat subventioniert werden, obwohl mehrere Frauenkulturprojekte (Frauenakademie, Kofra, Frauenkulturhaus etc.) im Rahmen der Selbsthilfeprojektförderung aus dem Etat des Sozialreferats unterstützt werden und allen in der "Szene" die ablehnende Einstellung des Kulturreferats und der Gleichstellungsstelle uns gegenüber bekannt ist. 13. Nov. 89 Antrag beim Planungsreferat auf Zuwendung von DM 51 900,-- für das Förderjahr 1990/91 im Rahmen der Arbeitsförderungsinitiative (AFI-Neuantrag Nr. 203) 12. Dez. 89 Da Selbsthilfebeirat, Gleichstellungstelle und Kulturreferat gegen uns votieren, wird der Antrag v. 15. Juni 1989, uns im Rahmen der Selbsthilfeförderung in Höhe von DM 28350,-- zu bezuschussen, vom Stadtratsausschuß für Jugend, Familie und Soziales abgelehnt 29. Dez. 89 Bewerbung des BAF e.V. bei der Jury bzw. Gleichstellungsstelle, uns den Frauenförderpreis 1989 22. Jan. 90 Antrag an den Vorstand der Christian - Ernst- Fischer- Stiftung , uns im Jahr 1990 mit einer Summe zuzusprechen. Am 27. März 1990 entschied sich die Jury gegen uns. von DM 7000,-- zu unterstützen. 21. März 90 Besuch des Vorstands des BAF e.V. bei der Gleichstellungsstelle wegen der Diskriminierung unseres Selbsthilfe- projektes. Im Hinblick auf die Förderungsanträge beim Kultur- und Planungsreferat, sowie bei der Stiftungs- stelle der Stadt München war das Gespräch vom Planungsreferat und uns erbeten worden. Anwesende: Frau Krötz (Kulturreferat), Frau Schreyögg und Frau Schmidt (Gleichstellungsstelle), Frau Dr.Portugall und Herr Heidebach (Planungsreferat), Frau Mabry, Frau Kretz und Frau Tammelleo (BAF). Allen Beteiligten ist nach dem ca. zweistündigen Gespräch klar, daß wir von dieser Gleichstellungsstelle auch in Zukunft keine Unterstützung erhalten werden. 10. April 90 Vorstand des BAF e.V. bittet den OB der Landeshauptstadt München um Überprüfung der Gleichstellungsstelle für Frauen wegen Amtsanmaßung, Ungleichbehandlung und Diskriminierung des BAF e.V.: Die Aufnahme unseres Selbsthilfeprojektes ins Handbuch "Stichwort Frauen" wird verweigert, unsere Anträge bei den städtischen Referaten sabotiert, keinerlei Hilfe gewährt. 3. Juli 90 Obwohl wir dem Kulturreferat fünf Gutachten in Sachen Errichtung des Bayerischen Archivs der Frauenbewegung und zur wissenschaftlichen Qualifikation der Leiterin und Betreuerin des Archivbestandes, Dipl.-Soz. Hannelore Mabry, vorlegen - und zwar von der Bundestagspräsidentin, Prof. Dr. Rita Süssmuth, Prof. Dr. Karl Martin Bolte, Institut für Soziologie der Universität München, Prof. Senta Trömel-Plötz, Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel, Universität Dortmund, Dr. Iris Müller, Universität Münster (Leiterin der Forschungsbibliothek zur Stellung der Frau im Islam, Judentum und Christentum) - schickt es eigene "Begutachterinnen", die die Bestände in zwei(!) Stunden kaum in Augenschein nehmen können, da der Vorstand des BAF die Zusammensetzung des Gremiums wegen Voreingenommenheit oder/und fehlender Sachkompetenz sofort kritisiert. 12. Juli 90 Der Vorstand des BAF e.V. protestiert sowohl gegen die Art der Sichtung wie die Kompetenz der Gutachterinnen mit einem Schreiben an den Kulturreferenten Hummel. Ein Teil der Gutachterinnen verweigert anfangs, daß dem Vorstand des BAF eine Einsicht in ihre Gutachten gewährt wird. Wie wir später feststellen, arbeiten außer der Gleichstellungsstelle, dem Selbsthilfebeirat bzw. der "autonomen 38

Szene", die Mehrheit der SPD- und GRÜNEN-Stadträtinnen massiv gegen eine Unterstützung des BAF - allen voran Ulrike Mascher, Monika Renner und Sabine Csampai. 18. Juli 90 Das Gesamtprogramm 1990/91 zur Arbeitsförderungsinitiative, in dem die Förderung des BAF e.V. mit 11. Okt. 90 11. Okt. 90 DM 51 900,-- ausgewiesen bzw. enthalten ist, wird vom Stadtrat beschlossen. Der BAF e.V. erhebt beim Verwaltungsgericht München Klage gegen die Stadt München, wegen Nichtaufnahme des Bayerischen Archiv der Frauenbewegung in das Handbuch "Stich- wort Frauen" (Teil 2) Der BAF e.V. beantragt beim Verwaltungsgericht München die Landeshauptstadt München - Kult urrefrat - im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, den Punkt 1 der TO der Kulturausschußsitzung, in der über die Förderung unseres Selbsthilfeprojektes unter Ausschluß der Öffentlichkeit abgestimmt werden soll, öffentlich zu verhandeln und zu beschließen. Der Antrag wird abgelehnt. 6. Nov. 90 Wegen des negativen Votums der Gleichstellungsstelle und des Kulturreferats wird der vom Planungsreferat be- 12. Dez. 90 28. Dez. 90 7. Juli 91 7. Aug. 91 reits bewilligte Zuschuß (AFI-Projekt Nr. 203) in Höhe von DM 51900,-- vom Kulturausschuß des Stadtrats nicht gewährt. 2. Pressekonferenz zur Vorstellung des seit August 1990 in der Lilienstr. 4 in München eingerichteten Bayerischen Archivs der Frauenbewegung Der BAF e.V. bewirbt sich um den Frauenförderpreis 1990. Die Bewerbung ist erfolglos. Das BAF e.V. gewinnt den Prozeß gegen den OB bzw. die Gleichstellungsstelle beim Verwaltungsgericht Mün- chen: Die Nichtaufnahme des BAF e.V. ins Handbuch "Stichwort Frauen" (Teil 2), beruhte auf Willkür. Ein Einlegeblatt muß gedruckt und nachgeliefert werden. Der BAF e.V. erhält den Bescheid, daß der Stadtrat am 6. Nov. 1990 den Zuwendungsbetrag abgelehnt hat (AFI-Projekt Nr. 203). 10. Sept. 91 Der BAF e.V. legt gegen den Bescheid beim Kulturreferat Widerspruch ein. Wir weisen die Begründung der Ab- 30. Dez. 91 17. März 92 8. Sept. 92 lehnung unseres Antrags als grob sachwidrig, willkürlich und parteilich zurück. Das BAF e.V. bewirbt sich um den Frauenförderpreis 1991. Die Bewerbung bleibt erfolglos. Der Vorstand des BAF e.V. gibt seinen Klageentwurf gegen die Landeshauptstadt München (Untätigkeitsklage) wegen Zuteilung von Förderungsmitteln beim Verwaltungsgericht München (AZ M16 K 92.1273) ab und bean- tragt die Gewährung von Prozeßkostenhilfe Das Verwaltungsgericht München beschließt ohne mündliche Verhandlung, die Gewährung der Prozeßkostenhilfe abzulehnen 26. Sept. 92 Der Vorstand des BAF e.V. legt Beschwerde gegen den Beschluß des VGM vom 8. Sept. 1992 beim Bayerischen 11. Jan. 93 24. März 93 Verwaltungsgerichtshof (AZ 19 c 92. 3108) ein Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weist die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung kostenpflichtig zu- rück Der Vorstand des BAF e.V. reicht die Untätigkeitsklage wegen Zuteilung von Förderungsmitteln von DM 51900,- - gegen die Landeshauptstadt München ein. Denn: "In der Jahresversammlung des BAF e.V. wurde entschieden, daß wir auch ohne die Prozeßkostenhilfe das Hauptverfahren durchführen müssen. Denn alle sind der Ansicht: Das Bayerisches Archiv der Frauenbewegung kann auf Dauer der Bevölkerung, der Wissenschaft und den Medien seine wertvollen Bestände nur sinnvoll zur Nutzung anbieten, wenn die Diskriminierung unseres Selbsthilfeprojektes durch die Gleichstellungsstelle und das Kulturreferat München aufgedeckt, beendet und der BAF e. V. wie alle anderen Projekte, die sich für die Verbesserung der Lage der Frauen seit Beginn der Neuen Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre in München einsetzen, behandelt wird". 17. Sept. 93 Auf telefonische Anfrage des BAF e. V. erhalten wir vom Verwaltungsgericht München die Auskunft, daß unsere Klage vor 1994 nicht behandelt wird. Das BAF e. V. hat die Errichtung des Archivs im Zentrum der Landeshauptstadt durch den außer- ordentlichen Idealismus der wenigen aktiven Mitglieder geschafft. Die Zahl der finanziell fördernden Mitglieder ist - obwohl Mitgliedsbeiträge und Spenden an uns steuerlich abgesetzt werden können - viel zu klein, um eine oder gar zwei Archivar- oder Bibliothekarinnen einstellen zu können. Wir benötigen dringend die Subventionierung von zwei Arbeitskräften durch die Stadt. Wir konnten einzig die Einrichtung des Archivs und können auch nur in Zukunft die Miete + Nebenkosten aufbringen. Wir haben leider auch kein Geld für die Werbung von Mitgliedern und Spenderinnen. Hannelore Mabry, Gründer-, Wissenschaftler-, Publizist- und Aktivistin der Neuen Frauenbewegung, bietet interessierten Bürgerinnen jeden Freitag eine "Geschichtswerkstatt" in der Lilienstr. 4 von 18 - 20 Uhr an. Im Rahmen des städtischen Kulturprogramms "München und der Nationalso- zialismus" stellt Hannelore Mabry außerdem einmal im Monat bis April 1994 eine Frauenrechtlerin vor, die während oder nach dem Nationalsozialismus in München politisch als Landtagsabgeordnete oder Gegnerin der atomaren Aufrüstung etc. wirkte - z. B. Maria Deku, Kunigunde Schwab-Schuhmann und Freda Wuesthoff. Wir bitten alle - besonders auch die Medien - inständig um Hilfe in unserem verflixten 5. Jahr' 39

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HANAU Bücherstube Dausien, Am Freiheitsplatz 6 Zeitschriften Vorzeiy, Corneliusstr. 31 HEIDELBERG Buchhandlung Himmelheber, Theaterstr. 16 München Westend/Laim/Pasing: Büchergalerie, Ligsalzstr.25 Der andere Buchladen, Plöck 93 Grüner Zweig, Camerloherstr. 82 ILMENAU "Buchhandlg Grimm", Straße des Friedens 2 Hugendubel, Bäckerstr. 4 Buchhandlg. "Techn. Hochschule", Wemarer Str.21 Kerndlfresser, Hillernstr. 2 INGOLSTADT Bücherzentrum Schönhuber, Theresienstr. 6 Zeitschriften Ehrl, Hönigschmidplatz 7 ISERLOHN Buchhandlung A. Potthoff, Wermingser Str.41 Zeitschriften Sacher, Fürstenrieder Str. 109 Buchhandlung Kersting, Wasserstr. 6 München Schwabing: Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstr.45 JENA Buchhandlung Thomas Mann, Eichplatz 1 Buchladen, Amalienstr. 67 KARLSRUHE der andere Buchladen, Marienstr. 15 Zeitschriften Stadler, Schönfeldstr. 26 Uni-Buchhandlg. 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Wie oder woran erkenne ich einen Feministen? ... Ich erkenne ihn nicht an seinen äußeren Geschlechts- merkmalen,ni cht an seiner Gen- und Hormonbe- schaffenheit, n i c h t an seiner Hautfarbe oder seiner Nase, nicht an seinem Alter, nicht an seiner Nationalität. Einen Femi- nisten erkenne ich an seinem Sozialverhalten... Ein Feminist ist ein politischer Mensch... ein Feminist ist, wer sich auf die Seite des Schwächeren, des Ausgebeuteteren stellt, ein Feminist ist ein Mensch, der Für Menschen, die das Patriarchat erforschen und überwinden wollen, eine Faszination: Meg\-701\\90 einen natürlichen oder/und kulturellen Vorteil nicht für sich ausbeutet, son- dern der dafür arbeitet und kämpft, daß die natürlichen und kulturellen Un- gleichheiten durch politisches Handeln gemildert, durch ständige Be- mühung und zielstrebigen E insatz mit anderen Feministen überwunden werden. ("Der Feminist - wer oder was ist das ?",DER FEMINIST Nr.1) Wir wenden uns an Frauen und Männer, weil nach Hannelore Mabrys sozio- logisch-ökonomischer sowie ideologiekritischer Ana- kein lyse das Patriarchat ein politisches und zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA biologisches System ist: das Patriarchat ist das System der G e w a lt , in dem das Recht des Stärke- ren (körperlich, ge istig, ökonomisch) Gesetz ist. Die Frauenfrage beinhaltet die Kinde r - und die Väterfrage : Sie geht alle an! Die Humanisierung unserer Geschlechtsbeziehungen setzt mit dem Zeitalter des Feminismus ein. Beide Geschlechter müssen für die feministische Zukunft arbeiten und gemeinsam das Patriarchat in uns und um uns bekämpfen. Wenn die Bezeichnung "Unter- nenschen" überhaupt angebracht ist, dann für dieje- nigen, die nackte Gewalt, Ausbeutung, Mord und Fol- ter auch im 20. Jahrhundert noch praktizieren, die Andersdenkende nicht überzeugen, nur vernichten können... Theoretisch und praktisch basieren unsere feministischen Ziele auf den Bedürfnissen eines je- den Kindes, das nach Völkermord, Krieg, Konzen- trationslager und nach Hiroshima geboren wurde und das uns Erwachsenen immer ausgeliefert war und ist. Ändern wir - Frauen und Männer - unsere in- humanen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen nicht, dann erziehen wir die nächste Generation er- neut zu Verbrechern und Selbstmördern und dann sind wir offensichtlich unfähig, etwas aus unserer Vergangenheit zu lernen. ("Die Familie und der ' patriarchalische' Mehrwert" , DER FEMINIST Nr. 12) DER FEMINIST Nr. 14 DM 5, - - "Blockade der Mütter" - Analyse der Frie- dens- u. Frauenbewegung • Ausschaltung des politischen Feminismus bei Frauense- minaren und -wochen an den Universitäten Beiträge zur Theorie und Praxis Folgende Ausgaben sind noch erhältlich: Cl> DER FEMINIST Nr. 15 DM 5, -- "Die Dombesetzung" - unsere 3 wöchige Fa- stenaktion "Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt: Endlich die Waffen nieder!" hat sechs Stunden Polizeihaft, aber auch einen politisch-juristischen Sieg zur Folge! DER FEMINIST Nr. 18 DM 6, -- Darf mensch sagen:"Soldaten sind potentielle Mörder?" - die bayer. Justiz antwortet mit "Jein": der Verwarnung der Feministin! DER FEMINIST Nr. 21 DM 7, -- 1971-1980: Wie alles bei uns anfing... Mabrys Abschied von der Feministischen Partei und ihr Rat: "Behalte Deine Stim- me !" • warum wir statt "Grüß Gott!", den Gruß nach unten: "Heil Kind !" anbieten... DER FEMINIST Nr. 22 DM 7,- - 1981-1991: "Ein Blick zurück...", Teil II • Warum und wie Hannelore Mabry nach viereinhalb Jahren den Prozeß wegen ihrer rechtswidrigen Inhaftierung (1987) anläßlich des Papst Besuchs gewinnt. Die Polizei entschädigt ihr skandalöses Verhalten mit DM 750,- - Schmerzensgeld - bis dato mußten sich Frauen in der Münchner Polizei- haft sogar obligatorisch nackt ausziehen! Bestellungen: DER FEMINIST, Christrosenweg 5, 81377 München, Tel. 089/7149187, Postgiroamt München Konto Nr. 28035-804, BLZ 70010080 Nach Überweisung des Heftpreises plus Versandkosten (Inland DM 1,50, Ausland 2,50 pro Heft) folgt Ware um- gehend. Bitte genauen Wunsch und vollständige Adresse auf der Überweisung nicht vergessen! Wer uns kennenlernen will: freitags 18-20 Uhr im BAF! 81669 München, Lilienstr. 4, drei Minunten vom Gasteig

Personenregister „Der Feminist“ Heft 1993, XVI-23 Name Adorno, Theodor W. Alge, Susanne Amerang, Lieselotte Anders, Günther Heftseite 5 37 37 1, 4-8, 10-13, 16-31, 40 13, 19, 20, 25 1, 29 24, 33 37 37 36 6, 22 8 38 20, 25 37 37 39 1, 39 17 5 12 6, 9, 16 25 16, 33, 35 22 6, 29, 30, 31, 33 25, 37 15 4, 8-11 36 30, 33, 35 Arendt, Hannah Bäumer, Gertrud Beauvoir, Simone de Biedermann, Hans Bilger, Harald R. Bilitewski, Helga Bissinger, Manfred Blüm, Norbert Bolte, Karl Martin Brecht, Bertolt Bronnen, Barbara Cruz, Juana Inés de la Csampai, Sabine Deku, Maria Dewey, John Drewermann, Eugen Dürrenmatt, Friedrich Einstein, Albert Endres, Elisabeth Engels, Friedrich Ernst, Heiko Freud, Siegmund Freundlich, Elisabeth Gabur, M. E. Gandhi, Mahatma Goridis, Uta Gouges, Olympe Marie de Guillaume-Schack, Gertrud 35 1 Günzl, Maria Inhalt Haas, Gudrun Hegel, Georg Wilhelm 16 Friedrich Heidebach, ? Heller, Agnes Heraklit Hildesheimer, Wolfgang 38 13 6 25 Heftseite 35 1, 3, 6, 8, 9, 30, 33, 34, 35 37 14 38 34, 35 35 20 Inhalt, 1,17 32 9 1 37 38 38 36 24 27 23, 25 1 13 Inhalt, 1-4, 10- 22, 23-25, 31- 33, 35, 38, 39 36 36 21 1, 5, 9, 20, 31 35 16 16, 19, 20, 21, 30 31, 33 39 24 38 25 38 19 37 Name Hindenburg, Paul von Hitler, Adolf Holterof, Martina Horlacher, Michael Hummel, Siegfried Jesus Christus Johanna [die unbefleckte] Jungk, Robert Katz, Lorley [s. Mabry, Hannelore] Kelly, Petra Karin King, Martin Luther Kleopatra VII Kohlhaas, Michael Kretz, Cosima Krötz, Gertraud Lacoste-Dujardin, Camille Lange, Ernst Lassahn, Bernhard Liessmann, Konrad Paul Ludwig II Luxemburg, Rosa Mabry, Hannelore MacKinnon, Janice R. MacKInnon, Stephen R. Mahler, ? Marcuse, Herbert Maria Theresia von Österreich Marx, Jenny Marx, Karl Mascher, Ulrike Meinhof, Ulrike Metz-Göckel, Sigrid Mill, John Stuart Müller, Iris Nenning, Günther Nielsen, Frederic W.

Plogstedt, Sybille Portugall, ? Raddatz, Fritz J. 37 38 8, 10, 12, 13, 18, 19 7, 8, 11, 18, 21 Reagan, Ronald 39 Renner, Monika Ringacker, Heidelinde 37 Robespierre, Maximilien de 35 Roosevelt, Franklin D. 6 6 Runes, Dagobert D. 36 Sanger, Margaret Scharnagel, Karl 1 5 Schirnding, Albert von 38 Schmidt, ? 38 Schreyögg, Friedel Schröder, Hannelore 25 36 Schulz-Rubach, Marianne Schwab-Schuhmann, 1, 39 Kunigunde Silber-von Grote, Paula Smedley, Agnes Stalmann, Franziska Stern, Clara 1 36 37 25 Stern, Günther [d.i. Anders, Günther] Stern, William Strauß, Franz Josef Streit, Claudia Süssmuth, Rita Suttner, Bertha von Syssoiev, V. Tammelleo, Assunta Taylor Mill, Harriet Taylor, Helen Teller, Edward Trömel-Plötz, Senta Tucholsky, Kurt Unruh, Trude Waldheim, Kurt Weber, Max Wimmer, Thomas Winkler, E. Wohlfahrt, Rainer Wuesthoff, Freda Zapperi, Robert 24 25 24 Inhalt, 36 38 6, 8, 35 1, 29 38 25 25 16 38 7 32 22 5, 18 1 1 Inhalt, 33 1, 39 37

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