oeR ftliNtri* Erscheinungsort München ,Nr.1/79 IV. Jahrgang BEITRÄGE ZUR THEORIE UND PRAXIS INHALT Seite Marcuse nimmt den Handschuh auf . 1 - 5 Alle sind zur Philosophie berufen oder: Das Proletariat heute 7 - 30 6 31 Schreibregelung Im Namen der Kinder 32 - 34 Frauen Sommer Uni 1978 Feministische Literaturkritik : Günter Grass "Der Butt", 34 - 39 Irmtraud Morgner "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", Heide Heinz (Herausg.) "Die Eule" u.a. Notizen und Informationen 40 - 42 Herausgeber für den FFP und verantwortlicher Redakteur: Hannelore Mabry Mitarbeiter: Layout: Redaktion, Vertrieb und Anzeigen: Bezugsbedingungen: Druck: Nachdruck: Information: Ingrid Braun, Gitta Crumley, Edelgard Deschka, Heidrun Harlander, Ursula Sattler, Ingrid Schölch Christie Warnke Lorley Katz, Lassek (Karikaturen S.3, 7,9,10 u.25), Gerd Schöbel (Titelblatt) DER FEMINIST, Christrosenweg 5, 8000 München 70, Tel. : 089 -7149187, Postscheckkonto München 28035-804 DER FEMINIST erscheint unregelmäßig. Die Einzel- nummer kostet DM 3, 50 zuzüglich Versandkosten im Inland DM -, 50 und im Ausland DM -, 75. Bitte Post- schecküberweisung mit Angabe der gewünschten Num- mer und genauen Adresse vornehmen - siehe Seite 42! Olymp-Werbung GmbH. , Schwanthalerstr. 164 8000 München 2 Auch auszugsweise nur mit Quellenangabe und Beleg- exemplar Mit Namen gezeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für Überschriften und Zwischentitel ist die Redaktion verantwortlich. Für Beiträge im FEMINIST wird kein Honorar bezahlt. Geschäftlicher Träger der Zeitschrift ist der FÖRDER- KREIS ZUM AUFBAU DER FEMINISTISCHEN PARTEI.

Sowohl personell wie thematisch blieb man da patriarchalisch: Die Frauen haben sich zu inte- grieren, den theoretischen und strategischen Rahmen steckt man alleine abl Die Vorstellung, daß Männer sich den Feminis- mus erarbeiten sollten und müßten und ihren Einsatz (ökonomisch und personell) in Zukunft dort zu erbringen haben, wenn "links" bedeuten soll: auf der Seite der Ausgebeuteten zu stehen und zu kämpfen!, das ist leider bis jetzt noch kaum einem "linken" Mann aufgegangen. Besten- falls versteht man dort Feminismus als klimati- sche Variante, als besondere Zugabe eines nach wie vor patriarchalischen Sozialismus bzw. Marxismus. Frau darf schon mal die Praxis - das autoritäre Gehabe der Männer zuhause und in den Organisationen und politischen Männer- clans - angreifen, aber bitte nicht die Theorien des Patriarchats. Damit es hier nun aber doch zu einem Anfang, einem hoffnungsvollen Zeichen kommt, wende ich mich heute, lieber Herbert Marcuse, an Sie, an den geistigen Vater der Studentenbewegung (der ich übrigens als 36-40 jährige ! Studentin und Mutter ebenfalls angehörte), mit der Bitte, den Dialog mit Feministinnen jetzt wirklich auf- zunehmen. Bitte beschäftigen Sie sich mit unse- rer Marx - Kritik und antworten Sie mit einer Erwiderung, die wir im FEMINIST als Erstdruck bringen dürfen. Das würden wir als einen herr- schaftsfreien Dialog mit Feministinnen begrei- fen - besonders, wenn Sie sich noch dazu die Mühe machten, den Dialog so mit uns zu führen, daß auch Frauen ohne Studium daran teilnehmen können, denn unsere Zeitschrift vertreiben wir nicht nur über den Buchhandel, sondern auch alle 14 Tage in München mit Info - Stand auf der Straße. Wir hätten den Dialog auch besonders gern mit Bahro aufgenommen (eine ausführliche Bespre- chung der ALTERNATIVE brachten wir im FEMINIST Nr.1/78). Die Möglichkeit erlaubt man uns und ihm aber leider nicht. Er ist weit eher auf dem Wege - zumindest theoretisch - zum Feminismus als die Herren Biermann (der bereits 2 Briege ignorierte), Dutschke, Offe, Negt, die Zeitschrift LINKS und NEUES FORUM etc.etc. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre erwarten wir keine Unterstützung von der NEUEN LINKEN - sie ist nach meiner Ansicht sehr treffend an- läßlich des Bahro - Kongresses in Nov. in Ber- lin in der Zeitschrift LINKS (Jan.79) kritisiert worden - in der BRD . Aber vielleicht nimmt uns Ihr geistiger Vater ernst und antwortet auf unser Angebot zur Aufnahme des Dialogs. Ihre Erwi- derung würde endlich die Mauer des Schweigens 2 durchbrechen, die das rechte und linke Patri- archatgegenden politischen Feminis- m u s aufgerichtet hat. Hoffen wir also auf die Zukunft! Im Namen un- seres FFP (Förderkreis zum Aufbau der Ferni- stischen Partei) grüße ich Sie mit allen guten Wünschen für 1979 solidarisch Ihre Hannelore Mabry 18. Januar 1979 Liebe Hannelore Mabry: Es tut mir leid, daß es eines miserablen Zei- tungsartikels bedurfte, um mit mir Kontakt aufzunehmen. Hier ist mein erster Beitrag: Sie schreiben über mich anläßlich meines Textes "Marxismus und Feminismus" : "er be- ginnt - wie jeder Patriarch - einen Mono- log..." . Ein paar Zeilen weiter sprechen Sie von der Ausbeutung der Frau durch "potentiell jeden Mann (er sei denn Feminist)" (Unter- streichungen von mir). In solchen Formulie- rungen zeigt sich die Tendenz, soziale Katego- rien zu biologisieren. So geht es nicht. Entwe- der ist der "Mann" in der patriarchalischen Gesellschaft eine soziale Entität - dann kann er auch seine Unterdrückerrolle in dieser Ge- sellschaft überwinden, sogar Feminist wer- den. Oder aber: der Mann ist als Mann Unter- drücker, auf Grund seiner "Natur" , dann hat es keinen Sinn, gegen diese "biologische" Tat- sache zu kämpfen. Der Mann kann dann eben nur als Mann=Unterdrücker sprechen - ganz gleich was er sagt. Dann werden ihm eben vielleicht gute Intentionen zugebilligt - aber was aus ihm spricht ist doch nur die Welt des Mannes. Nun zu den mich selbst betreffenden Stellen Ihres Texts: "Marxismus und Feminismus" war kein "Mo- nolog". Der Text ist vor und nach der Nieder- schrift mit vielen Frauen diskutiert worden, und auf Grund der Diskussion geändert wor- den. (Übrigens ist meiner Erinnerung nach der Abdruck in LINKS nur ein Auszug gewe- sen. Kennen Sie den vollständigen Text in ZEIT - Messungen?) Eine "Analyse des Pa- triarchats" gehörte nicht zum Thema der Vor- lesung, die dem Artikel zugrundelag. Daß ich did'politökonomischen" Aspekte der Frauen- bewegung nicht gesehen hätte ist falsch. Die Hauptthese des Texts, nämlich die Transfor- mation der sogenannten femininen Qualitäten durch ihre gesamtgesellschaftliche "Verallge" meinerung" kann nur als politökonomischer

(3) Ist Patriarchat immer Vaterherrschaft? Wenn ja, dann wäre heut mit dem Absinken der ökonomischen Rolle des Vatres das Pa- triarchat in vollem Verfall. (4) Kann man die klassische Sklavengesellschaft, kann man den Feudalismus als Vaterherr- schaft verstehen? (5) (und jetzt werden Sie auf mich wütend sein) Hat vielleicht die Männerherrschaft im Lauf der politökonomischen Entwicklung (und auf Grund dieser Entwicklung) die Grundlagen für die Frauenemanzipation gelegt, und zwar so, daß Aspekte der "patriarchalischen Denkwei- se" nun auch in der Frauenbewegung zum Ausdruck kommen? Mit solidarischen Grüssen Herbert Marcuse 8831 Cliffridge Ave. La Jolla, Calif. 92037 München, den 23. 2. 1979 Lieber Herbert Marcuse, eine berufliche Reise ins Rheinland und die Ver- triebsarbeit für die Zeitschrift sind daran schuld, daß ich erst heute dazu. komme, Ihnen herzlich für Ihren "ersten Beitrag" zu danken. Nicht nur ich persönlich, sondern auch die aktive Gruppe des FFP hier in München hat sich sehr über Ihre rasche Antwort gefreut. Denn wir hatten nach un- seren Erfahrungen mit der patriarchalischen Linken in den letzten 7 Jahren schon fast die Hoffnung aufgegeben, daß noch ein aufrichtiger und solidarischer Dialog zwischen Marxisten und Feministen in Gang zu bringen ist. Ihre angekün- digte Bereitschaft diese theoretische und politi- sche Auseinandersetzung über das patriarchali- sche System mit uns zu führen, gibt Kraft, die wir dringend brauchen in "dieser harten, in die- ser bittren, in dieser Schweigezeit" (frei nach Biermann). Ich hoffe, daß Soe die Nr. 1 und 2/ 77 DER FE- MINIST inzwischen erhalten haben? Ihre Stel- lungnahme - besonders zu meiner Kritik der Marx' schen Mehrwerttheorie wie zur Entwicklung des eigenen feministischen polit-ökonomischen Ansatzes - erwarten wir alle mit großem Interes se. Auf die in Ihrem Brief angerissenen Fragen möchte ich erst nach Ihrem zweiten Beitrag ein- gehen, falls das dann überhaupt noch nötig ist. Denn wie Sie aus den beiden Hauptartikeln "Mit oder ohne Marx zum Feminismus?" und "Viele, aber nicht alle Wege..." inzwischen sicher ent- nahmen, sind wir nicht der Ansicht, daß der Mann als biologisches Wesen zum Unter- 4 drücker bestimmt bzw. praktisch vorprogram- miert ist. Denn wäre dem so - und in diesem Punkt stimmen wir völlig überein - dann erüb- rigte sich jeder politische Versuch, jede Aktivi- tät zur Aufhebung des Patriarchats. Unsere feministische Position, unser anthropo- logisches Vorverständnis basiert auf der Hypo- these, daß Männer durch ihre tatsächlich vorhan- dene größere körperliche Unabhängigkeit und Ge- waltmöglichkeit (Männer werden nicht schwangere gebären und stillen nicht etc. und können zumin- dest körperlich Frauen vergewaltigen) zum Unterdrücken anderer potentiell eher als Frauen in der Lage sind. Es steht aber jedem Mann frei, eine Frau oder auch einen "schwächeren" Mann zu unterdrük- ken oder nicht. "Kein Mensch muß müssen" . Für uns ist jeder Mann (und jede Frau) verant- wortlich für seine (ihre) Handlungen. Er/sie kann sich - nach unserem anthropologischen Vorverständnis - auf keinen Gott, keinen Welt- geist, keine Naturgesetzlichkeit oder Geschichts- notwendigkeit und auch kein "Kapital" als einen ihn angeblich beherrs ch e nden Faktor he- rausreden. So einfach machen wir es den Patri- archen nicht! Die Reflexions f ähi gkeit ist dem Menschen angeboren und auch für die Zerstörung der Re- flexionsfähigkeit ist der Mensch verantwortlich - bis auf diejenigen Krankheiten, Unfälle und Umwelteinflüsse, die den Menschen ohne sein Zutun heimsuchen. Und jede Frau und jeder Mann kann Feminist werden, wenn sie/er sich mit dem Feminismus beschäftigt, sich um ihn ernsthaft bemüht. Deshalb sollten wir, glaube ich, den Einstieg in unseren Dialog zuerst ein- mal mit meinem Patriarchatsbegriff versuchen. Denn dieser schließt einige Fragenkomplexe, die im Sie zur Analyse des Patriarchats empfehlen, zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Grunde aus bzw. ihre Diskussion erübrigt sich bei unserem Theorieansatz. Die Neudefinition und politische Konkretisierung des Begriffs "Patriarchat" schuf erst den Bezugsrahmen zur Darstellung von mehrdimensionaler Abhängig- keit. Der Begriff "Männerherrschaft" schien mir zur Erklärung eines Entwicklungsprozesses' der durch die erste, die U r abhängigkeit - eben die körperliche Abhängigkeit - ausgelöst wird, aber nicht bei dieser rein biologischen Komponente verweilt, zu einseitig. Die rein ge" schlechtsspezifische Komponente deckt einfach nicht ab, was alles unartikuliert und auch arti- kuliert bei der Verwendung des Begriffs "Pate' archat" heute mitgedacht, miterfaßt wird. Mit dem Begriff "Patriarchat" identifizierte man hingegen schon in der Vergangenheit kulturelles

SCHREIBREGELUNG Das könnt euch so passen, meine Herren von der Praxis, und ihr von der Theorie, das könnt euch so passen, daß ich nach Auschwitz nichts mehr schreib, während ihr weiter das Herrenwort führt. Erst recht werd ich schreiben wie mir die Hand gewachsen, ihr Leut von der Praxis und ihr von der Theorie. Das könnt euch so gefalln, daß ich mit euch schweig über euch, ihr Herrn. Das hättet ihr gern, meine Herrn von dem tatkräftigen wortstarken Geschlecht, daß wir, nicht mal in Lyrik, euren Namen wie Jehovahs nicht nennen. Daß wir vor eurer Schamlosigkeit uns nicht wiedererkennen. Daß wir DIE GESCHICHTE sagen, wo ihr am Werke seid, Mann um Mann. Wir wollen euch Namen geben, wir wolln euch benennen wie der erste Mensch im Garten Eden das Tier. Wir sagen nicht Herr Kapitalismus und auch nicht Herr unser System. Das, meine Herrn, das wär ein bißchen zu bequem. Wir wolln euch lieber so, wie wir euch kennen, bei eurem richtigen Namen nennen. Auch in der Lyrik, während ihr in der Rede der Wissenschaft mehr vertreten seid, - wir, wir brauchen keine Beweise, nach Abermillionen Morden müßt ihr - nicht wir, beweisen, daß keiner von euch es gewesen. Wir beschreiben euch jetzt nur, wie ihr bisher die Schatten vor dem Mond beschriebt. Sagt nicht, die Lyrik sei am Ende, ihr seid der richtige Stoff, wir schreiben jetzt wieder Naturlyrik. Zu lange habt ihr uns den Mond verfinstert. "Schreibregelung" und "Im Namen der Kinder" (S.31 ) entnahmen wir dem Gedichtband DEUTSCH - LAND, MIR GRAUT VOR DIR, feministische Hohn- und Klagelieder von Gunild Regine Winter, Mond-Buch zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Verlag, Basel 1978, 228 S., DM15, - CH 4056 Basel, Friedensgasse 14 Gunild Regine Winter

die Entlohnung der Arbeitsleistung zwischen den Geschlechtern. Marx nennt die erste und älteste Arbeitsteilung, die zwischen Mann und Frau,"naturwüchsig". Dieser Begriff korres- pondiert mit seinem Bild vom Gattungswesen des Menschen. Wir werden darauf noch zurück- kommen. Marx bezeichnet mit naturwüchsig im Grunde einen Vorgang ohne Bewußtsein, ohne Reflexion, ohne Kultur. Wir sind allerdings der Ansicht - und mit wir ist in diesem Aufsatz eine bestimmte Richtung des Feminismus gemeint - , daß der Täter, der Arbeitsteiler, der Bewerter der Arbeit, der Ausbeuter und Angreifer, der Vergewalti- ger, der Befürworter der Todesstrafe,immer wußte und weiß, was er tat und tut. Schon Kin- der und Alte, die man in manchen Stämmen um- brachte, um überzählige Esser loszuwerden, wurden mit Bewußtsein getötet. Ebenso haben diejenigen, die den Ritus der Beschneidung und Verstümmelung weiblicher Sexualorgane ein- führten, sich etwas dabei gedacht. Auch der Frauent ausch, Frauenraub, List, Folter und Inquisition wurden geplant, überlegt. Sie kamen nicht aus heiterem Himmel. Ob der Mensch sich vom Menschen trennt oder sich mit ihm solidarisiert, es geschieht mit Überlegung, mit Bewußtsein. Selbst die Nah- rungsaufnahme, die Schlafmenge und seinen Fortpflanzungstrieb bestimmt der Mensch inner- halb eines durch das Naturgesetz festgelegten Be rei c h s . Der Lebensraum des Menschen ist zwar zeitlich und räumlich insgesamt be- grenzt. Aber innerhalb der Grenzen der Natur waren und sind die Spielräume und die Verhal- tensweisen erstaunlich variabel. Wenn aber, wie wir meinen, die Arbeitsteilung, die Erzie- hung, ja, die ganze Organisation der Gesell- schaft sowohl mit wie ohne Gewalt, jedoch stets mit Bewußtsein erfolgt, dann kön- nen die Menschen die Arbeitsteilung, die Ent- fremdung, die politische Ordnung etc. auch nur mit Bewußtsein wieder mildern, überwinden, aufheben. Zuerst müssen die Ursachen, die Motivationen und die Folgen der Arbeitsteilung bekannt sein, müssen die Abhängigkeiten und ihre Auswirkungen erfahren und aufgearbeitet werden, bevor eine Einstellungs- und eine Ver- haltens änderung vorgenommen werden kann. Erst wenn Frauen und Männern bewußt gewor- den ist, daß jede gewaltsame Befriedigung von Bedürfnissen nicht nur fremdes, sondern auch eigenes Leben, die eigene Humanität, zer- stört, werden sie - dies ist unsere letzte Hoff- nung! - innehalten und andere Verhaltensweisen erproben. Ein Umdenken, etwas Neues institu- tionalisieren, wird möglich. 8 Aber dieser Prozeß vollzieht sich nicht natur- wüchsig. Er setzt Reflexion und Arbeit voraus. Die Bereitschaft, sich mit den eigenen und mit den Problemen der anderen zu beschäftigen. Sprach- und Kulturschranken, die in Jahrhun- derten errichtet wurden, müssen durch eine neuerliche Arbeits- und Kulturleistung zum Teil beseitigt, zum Teil durch die Einführung neuer Arbeits- und Lebensformen überwunden werden. Wollen wir überleben, und das heißt immer miteinander leben, dann muß der Mensch den Menschen und seine Umwelt noch genauer, noch gründlicher studieren. Die Wis- senschaft muß endlich demokratisiert werden. Das Für und Wider der Forschung wie der For- schungsergebnisse muß unmittelbar und für wissenschaftliche Laien verständlich in den Medien für die Massen publiziert werden. Das alltägliche Verbrechen der patriarchali- schen Wissenschaft und der Massenmedien be- steht in der systematischen Vorenthaltung von Alternativen, der Verhinderung jeder kriti- schen Öffentlichkeit. Die Reflexions- und Kon- trollmöglichkeit durch die Bevölkerung wird durch gewissen- und verantwortungslose Poli- tiker, Wissenschaftler und Journalisten in ei- dem Ausmaß unterbunden, die nicht nur Men- schenverachtung offenbart, sondern bereits die Vernichtung allen menschlichen Lebens durch den Menschen miteinschließt. Wollen wir den Mechanismus der Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen durch den Men- schen begreifen und ihn als Feministen bekäm' pfen, dann müssen wir wissen, wer die Aus- beuter und wer die Ausgebeuteten in jeder Beziehung, in jeder Gruppe, in jedem Land und in den internationalen Beziehungen wirk- lich sind. Wer ist das Proletariat heute? Und kann die "Diktatur des Proletariats" - die Marx empfahl - ein Weg, eine Übergangslö- sung zur Überwindung des Kapitalismus, des Patriarchats sein? Eines ist sicher, verweigern wir die analyti: sehe Arbeit und beschränken wir uns weiterhin auf Aggression, Frustration, Isolation , Illusion und infantile Ichbezogenheit, dann wird die La- ge für alle lebensgefährlich. Sie ist es schon. Es beginnt mit der Einstellung der Kommunika- tion. Denn wenn der Mensch nicht mehr sehen' hören und antworten will - oder es nicht mehr vermag -, wie kann er dann noch seine Bedürf' nisse befriedigen? Mord oder Selbstmord ist dann die Frage. Innerhalb des Patriarchats ist dieser Zustand für die Schwächeren, die Ab- hängigeren quasi programmiert. Sie werden von den Herrschenden wie Sachen behandelt. Man verfügt über ihre Körper, ihre Gefühle

erneut zu bearbeiten, möglicherweise sogar Entscheidungen, Selbstkritik und Verhaltensän- derungen heraufzubeschwören. Entscheidungen sind Streßsituationen. Man geht ihnen durch "selektive Wahrnehmung" aus dem Wege. Dieser Verdrängungsmechanismus, die Informations- blockade gegenüber unbequemen Fakten und Nachrichten, erklärt die Zähigkeit von Vorur- teilen, die gedankenlose Aufrechterhaltung der Geschlechts- und der Rassendiskriminierung. Diskussion zu stellen, ist innerhalb der deut- schen Frauenbewegung nicht anzutreffen." Nun, bisher haben wir uns zum Bei spiel als eine solche Zeitschrift verstanden. Ebenso lie- gen seit einigen Jahren wichtige Aufsätze und Analysen vor. Das Problem ist nicht, daß es keine feministische Theorie und Strategie gäbe. Das Problem ist, daß sie nicht aufgenommen, diskutiert und zur weiteren Bearbeitung aufge- griffen wird. Wir beklagen seit langem, daß Das patriarchalische System wird scharf bewacht, eine Barriere folgt der anderen... Und zu diesem subjektiven, psychologischen Faktor treten weitere objektive Schranken der Kommunikation: Mangel an Zeit, an Geld, an Bildung, an Angebot - zum Beispiel in ländli- chen Regionen. Aber selbst diejenigen, die sub- jektiv noch offen, also neugierig geblieben sind, stehen vor einer kaum mehr zu bewältigenden Aufgabe. Sie müssen bereits ein Auswahlver- fahren erarbeitet haben, um die Fülle der Daten, Meldungen und Kommentare, die durch die ra- sante Entwicklung der Massenmedien inzwischen auf sie einströmen, überhaupt sinnvoll ordnen, bewältigen zu können. Und dieses Auswahlver- fahren müssen sie außerdem laufend der Kritik unterwerfen, denn auch die Bewertungskriterien veralten, erweisen sich als fehlerhaft. Wie fangen wir es also an? Wie erreichen wir unsere Mitmenschen ohne Macht , ohne Zwang ? Feministen haben weder Kapital, noch die Massenmedien, noch die Wissenschaft auf ihrer Seite. Es sind einzelne Ruferinnen in der Wüste des Patriarchats. Denn nicht allein die uns eingetrichterten Be- griffe und Bedeutungen, die patriarchalischen Theorien und Strategien begleiten uns von der Wiege bis zur Bahre, ersticken eine selbstkri- tische Entfaltung des Individuums. Nein, die Unterdrückten haben inzwischen längst die patri- archalische Sprache erlernt und verinnerlicht. Sie verkünden selbst die Theorie, die Ideologie der Unterdrücker. Einen neuen und besonders eklatanten Beweis für diese Bewußtlosigkeit lieferte jüngst Heide Heinz mit ihrem Aufsatz "Vom Kurz- schluß der Frau mit Kapital/Staat. Frauen- emanzipationsstrategien im Dienste des Kapita- lismus?" Heide Heinz war ausgezogen, die fe- ministische Diskussion voranzubringen. Ja, sie war sogar so vermessen, sich selbst als e r s te Initiative dieser Art zu sehen: "Eine Zeitschrift ( DIE EULE - Einf.H.M.), die sich zur Aufgabe macht, Beiträge zur feministischen Theorie zur 10 pe, ifge. i‚dtrif4 171 4,42. t- lie rfK-49›,,evrct; .r,i- egi 44-€4- zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA .-14.4j- 44%;-1* ;A 444.9)! , fe diedliet--9,4, ,e% Are ipn gi "eti bia‘treiv,, V er ,r? ce-e-t,n zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA ;4 AzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA .efe ftt' ;-0/zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 42( irg .„S; zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA er cyy sowohl die meisten Anhängerinnen der neuen wie der alten Frauenbewegung und das linke wie rechte Patriarchat geringes Interesse an politischer Theorie, feministischer Philosophie und Politökonomie bekundeten und entwickeln. Aber verwundern kann es uns nach dem bisher Ausgeführten wahrlich nicht. Und wegen dieser Mangelerscheinung stürzten wir uns auch mit ganz besonderem Eifer und voll Erwartung auf die neu erschienene EULE. Aber welch eine Enttäuschung: Die Diskussion feministischer Theorien - bzw. der bisher geleisteten Ansätze - steht noch immer aus! Denn, wie wir leider stets aufs Neue feststellen müssen, weder die akademische Ausbildung

als äußerst fruchtbar. Je genauer man diese Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse in der Wirklichkeit untersucht, umso deutlicher zeigt sich, daß eine eindimensionale (aus- schließlich die ökonomische Ausbeutung erfas- sende) Analyse zu kurz greift - auch was die noch immer nicht gelöste Arbeiterfrage betrifft! Das Patriarchat ist unserer Ansicht nach ange- messen nur als dreidimensionales Aus- beutungs-, Unterdrückungssystem darzustellen. Denn die körperliche, die intellektuelle und die ö k o n o m i s c h e Unterdrückung lassen sich als Einflußfaktoren in Bezug auf die Frau- enfrage konkret nachweisen und einzeln bewer- ten bzw. gewichten: Das Patriarchat ist das Herrschaftssystem, in dem das Recht des Stärkeren (körperlich, in- tellektuell, ökonomisch) Gesetz ist. Und, wie gesagt, selbst die nach Marx einzig entscheidende ökonomische Ausbeutung - das Tauschverhältnis zwischen "Arbeitskraft" und "Kapital" - funktioniert anders als Marx sie in der Mehrwerttheorie beschrieb. Nach der be- reits im FEMINIST Nr. 1/ 77 "Mit oder ohne Marx zum Feminismus ?" erfolgten Kritik der Mehrwerttheorie, wollen wir nun auch noch dem Philosophen Karl Marx auf die Pelle rücken. Sicher ist es ein unmögliches Unterfangen, den Philosophen vom Ökonomen zu trennen. Dennoch läßt sich ein bestimmter Trend anhand seines Schaffens verfolgen, der sich in der Sekundärli- teratur in Wendungen wie der "frühe", also der Marx der philosophischen Frühschriften, und der "reife", der Marx des KAPITALS und der THEORIEN ÜBER DEN MEHRWERT, nieder- schlug. Wir sind allerdings der Ansicht, daß der "frühe", der politisch-philosophische Marx das Gesamtwerk beherrscht, auch wenn sich der "reife" Marx mehr mit dem Gegenstand Ökonomie beschäftigte. Seine politische Philo- sophie und sein anthropologisches Vorverständ- nis - also seine Grundüberzeugung über das "wahre" Wesen des Menschen - änderte Marx nicht. Nun wird die eine oder andere vielleicht stöhnen: Warum schon wieder Marx? Was hat denn der uns heute noch zu sagen? Uns interessiert, ob wir unsere Arbeitsstelle behalten, ob wir die gleichen Löhne für die gleiche Arbeit kriegen und daß aus unseren Kindern was wird. Uns in- teressiert, wie wir unseren Wohlstand (wenn auch manchmal nur einen ganz bescheidenen) hal- ten und vielleicht auch noch verbessern können. Und das alles möglichst ohne Krieg. Richtig. Aber das alles hat auch Marx interessiert. Er wollte wissen, wie eine Gesellschaft organisiert, 12 strukturiert sein muß, um Ausbeutung und Un- terdrückung aufzuheben bzw. verhindern zu können. Marx strebte eine Gesellschaftsord- nung an, in der Humanität und Emanzipation, ein Mit- und nicht mehr Gegeneinander der Menschen, zum Grundprinzip menschlichen Handelns sich entfalten konnte, sollte. Er nann- te das Kommunismus. Wir nennen es Feminis- mus. Und wir sind der Ansicht, daß wir den theore- tischen und den praktischen Marxismus kennen müssen - seine Vorzüge und seine Mängel. Denn wir wollen aus der Geschichte lernen. Wir wollen Sackgassen vermeiden, die sich schon als solche erwiesen haben. Es reicht uns vollauf, daß wie neue Fehler machen wer- den und sie als solche erkennen müssen, um sie wiederum meiden zu können. Wir haben es satt,einfach immer so weiterzuwurschteln - von einem Krieg zum anderen. Wir haben ge- sehen, gehört und gelitten im Patriarchat. Wir haben ein bißchen was gelernt. Und des- halb wollen wir nur noch da mitmachen und da unsere Kräfte einsetzen, wo wenigstens der Ansatz stimmt, wo politische Vergangenheit aufgearbeitet und Lebenserfahrung nicht ver- drängt wird. Schon manch' eine "Grundüberzeu - gung"hatte mörderische Folgen... Wir unterstellen weder den großen Verkündern der verschiedenen Religionen, noch den Philo- sophen und Wissenschaftlern zunächst irgend eine Täuschungsabsicht. Sie waren sicher alle davon überzeugt, das "Beste" für die Mensch- heit zu wollen, "der Erkenntnis, dem Frieden und dem Fortschritt zu dienen". Erstaunlich und sehr bedenkenswert ist allein, daß diese vorgegebenen Ziele nicht erreicht wurden. Die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis, Entfremdung, Ausbeutung, Folter, Erpressung und Krieg blieben soziale Fakten - die "Kultui“tatsachen Immerhin, eine "Grundüberzeugung" teilen wir mit Marx. Wir sind wie er der Ansicht, daß die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen kein Naturgesetz ist. Wir glau- ben wie er, daß Ausbeutung und Krieg poten- tiell überwindbar sind. Daß die Abschaffung des patriarchalischen Systems - und dazu ge- hört u.a. der Kapitalismus - bis heute nicht gelang, hat jedoch - so meinen wir - nur zum Teil mit den sogenannten Eigentums- und Produktionsverhältnissen zu tun. Ein ebenso großes Hindernis für die Humanisierung und Emanzipation der Menschheit stellen die spe'

DAS PROLETARIAT bei einigen deutschen und französi- schen Philosophen des letzten Jahr- hunderts Thomas Meyer erkannte und bewies, daß dem Proletariat innerhalb der Marxschen Theorie "eine eigenartige Schlüsselfunktion" zukommt. In seiner Dissertation, die sich zentral mit der Rolle des proletarischen Subjekts beschäftigt und die unter dem Titel "Der Zwiespalt in der Marxschen Emanzipationstheorie" 2 ) erschien, schildert er auch die Vorgeschichte dieses Be- griffes Proletariat in der deutschen und franzö- sischen Philosophie- und Sozialgeschichte und sagt: "Unter allen Junghegelianern, die zur 'Philosophie der Tat' aufriefen, ist es Marx vorbehalten geblieben, den Begriff des Proleta- riats in die praktische Philosophie einzuführen". Und er führt weiter aus: "Zwei Traditionssträn- ge der Entwicklung theoretischer Vorstellungen über das Proletariat müssen unterschieden wer- den. Bei Adam Müller, Franz von Baader, Hegel und Lorenz von Stein wird der' Tatbestand' Proletariat mit den Prämissen und Ansprüchen des philosophischen Staatsrechts konfrontiert und als Ergebnis der Analyse des von allen Auto- ren als unbefriedigend und beunruhigend empfun- denen Zustands das praktische Postulat gewisser Veränderungen an den Lebensbedingungen dieser Klasse aufgestellt, das sich charakteristischer- weise nun aber nicht an die Adresse der Betrof- fenen selbst richtet, sondern vielmehr an die herrschende Macht im Staate. Andererseits be- stand im französischen Sozialismus spätestens seit Saint-Simon 1824 erschienenem Aufsatz ' Beweise, daß die französischen Proletarier fähig sind, Eigentum zu verwalten' eine Argu- mentationsgrundlage für eine theoretische Ver- fechtung der Arbeiterexklusivismusthese. Etienne Cabet, von dem auch der Begriff 'Arbei- terexklusivismus' zu stammen scheint, gehörte in seiner späteren Entwicklungsphase zu den energischsten Verfechtern dieser These unter Marx' Zeitgenossen. Die Ansprüche, die hier an das Proletariat gestellt werden, unterschei- den sich indessen grundsätzlich vom Programm der Verwirklichung der Philosophie. Sie rangie- ren unterhalb des Niveaus einer kritischen Überwindung der spekulativen Identitätsphiloso- phie bei Beibehaltung vieler ihrer durchschauten Aussagen. Sie beschränken sich nämlich fast ausschließlich auf den Anspruxh der Verwaltung der Produktion in eigener Regie des Proletariats ... Sie (die Protarier -H.M.) sollen nicht eine große philosophische und historische Einsicht verwirklichen, sondern nur ihre unmittelbaren Interessen zur Sprache bringen. Marx Konzep- tion umfaßt zwar auch diesen Anspruch, geht aber doch weit über ihn hinaus." (S.44 f.) Leider arbeitete Meyer seine Doktorarbeit nicht um, leider bemühte er sich bei der spä- teren Veröffentlichung gar nicht um die Leser, die nicht Philosophie und Marxismus studierten oder studieren konnten. Deshalb kann man sei- ne interessante und wichtige Arbeit guten Ge- wissens kaum einem Laien auf diesem Gebiet empfehlen. Soweit zum Verständnis der Zitate Erläuterungen nötig sind, werde ich versuchen, diese nachzuliefern. Welche Inhalte und Vorstel- lungen werden zum Beispiel mit dem Begriff "spekulative Identitätsphilosophie" erfaßt, ver- bunden? Diese philosophische Richtung ver- danken wir Georg Friedrich Hege 1 , dem Hauptvertreter des sogenannten Deutschen Idealismus. Dagobert D. Runes versucht Hegel in "Illustrierte Geschichte der Philosophie" (Nagel Verlag, Genf 1962, S.286 f.) durch eine kurze Kostprobe aus der "Phänomenologie des Geistes" dem Interessierten näherzubringen: 'Das Absolute als Vollendung Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur durch seine Entwicklung sich vollendendes Wesen. Es ist dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich RESULTAT, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.' Und u.a. durch folgende Ausführungen: " ...er betrachtete den menschlichen Geist als eine der , Manifestationen des Absoluten, das er als 'Geist definierte. Die Welt, erklärte Hegel, ist für das Denken durchdringbar, das einerseits eine Be- schreibung des Absoluten gibt. Die kosmische Vernunft wirkt in der Seele des Menschen, des- sen Bewußtsein den Bereich des subjektiven Geistes umfaßt, während der objektive Geist sich in den kulturellen und sozialen Institutio- nen ausspricht, also im Gesetz und in der 1V1°- ral. Der absolute Geist kann in den Künsten, in der Religion, in der Philosophie erschaut wer.:, den. Die menschliche Geschichte und das sozt' le Leben, die ihren Kulminationspunkt im St9a te finden, verkörpern die höchste Stufe eines Aufstiegs von der unorganischen Materie zurn menschlichen Genius, von der ' reinen Existenz Thomas Meyer: Der Zwiespalt in der mar' schen Emanzipationstheorie, Studie zur Rolle des Pro letarischen Subjekts, Scriptor Verlag GmbH. , Kronberg Ts. 1973 14

es ihnen wegen ihres geringen Bildungsstandes nicht von vornherein absprach, dann zeichneten sich aber die Armen - im Gegensatz zu den Pro- letariern- durch ein "falsches" Bewußtsein aus. Denn diese unpolitischen Armen hofften durch Wohlverhalten, durch Anpassung an das Bürger- tum ihre soziale Lage zu verbessern. Sie ver- teidigten die Werte, Normen und Privilegien der Besitzenden. Sie wollen ihnen gleich sein, wenn schon nicht materiell, so wenigstens ideell. Wir können auch sagen, in der Kategorie "Armut" sollten die "artigen" Armen erfaßt werden, die ihr Schicksal als gott- oder naturgewollt hin- nahmen. Sie waren ihrem Kaiser, ihrem Pfar- rer, ihrem Vorgesetzten, ihrem Vater, ihrem Ehemann treu ergeben. Die Kategorie P r ole ta r i a t hingegen sollte die Menschen als Klasse "für sich", die Armen mit Klassenbewußtsein, erfassen. Mit diesem Begriff kennzeichnete man diejenigen, die sich über ihre Klassenlage bereits Gedanken mach- ten: die pol itisch reagierenden Armen."Pro- letarier" distanzierten sich schon von den herr- schenden Glaubens- und Wertvorstellungen, sie versuchten zum Teil eigene, neue Ideen und po- litische Philosophien zu diskutieren und zu ent- wickeln. Während von Baader, Hegel und Lorenz Stein die Proletarier allein unter den Armen und Ärm- sten vermuteten, rekrutierten sie sich bei Marx nicht aus dem "Lumpenproletariat", sondern überwiegend aus dem bürgerlichen bis kleinbür- gerlichen Milieu (Handwerker, Bauern). Seine Proletarier waren Menschen, die durch die In- dustrialisierung ökonomisch und psychisch ent- wurzelt, degradiert worden waren: "Das Prole- tariat beginnt erst durch die hereinbrechende industrielle Bewegung für Deutschland zu werden, denn nicht die na tu rw üchsig (I) ent- s tandene , sondern die künstlich produ- zierte Armut, nicht die mechanisch durch die Schwere der Gesellschaft (?) niedergedrückte, sondern die aus ihrer akuten Auflösung, vorzugsweise aus der Auflösung des Mittelstan- des, hervorgehende Menschenmasse bildet das Proletariat, obgleich allmählich, wie sich von selbst versteht, auch die naturwüchsige Armut und die christlich germanische Leibeigenschaft in seine Reihen treten. "(Frühschriften, S.223) Selbst Franz von Baader, der noch keine Unter- scheidung zwischen Armut und Proletariat vor- nahm, interessierte besonders das Selbstver- ständnis, das Bewußtsein der Proletarier. Er vertrat die Ansicht, daß Proletarier wegen ihrer Armut und Unwissenheit eine "vogelfreie Klasse" darstellten. Es handele sich um "unselbständige Objekte", die wegen ihrer geistigen Inferiorität 18 völlig der Willkür der Demagogen ausgeliefert seien. Lorenz Stein traute hingegen den Prole- tariern schon die "Idee der Gleichheit" zu: " 'Mit nichts als dem sogenannten natürlichen Verstande', der ja für einen Hegelianer beson- ders suspekt ist, konstatiert das Proletariat den Widerspruch zwischen dem gegebenen Recht und der Idee der Gleichheit, die es be- seelt." (Meyer, S.69 f.) Den Kommunismus hielt Stein für eine "defekte Theorie", er fiele nur deshalb bei den Proletariern auf guten Bo- den, weil deren Intelligenz zu unterentwickelt sei, um den Defekt der Theorie feststellen zu können. Bis zu Marx vertraten die "Gedankenmänner" in Deutschland überwiegend den Standpunkt, daß sich die Proletarier zwar in einer ökono- misch bedauernswerten Lage befänden, die Ge- fahr einer Revolution aber erst dann heraufbe- schworen würde, wenn entweder Demagogen (Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten) die Armen aufhetzen würden (Revolution durch Agitation von außen) oder die Armen bereits von der Idee der Gleichheit beseelt wären, also eigene Vorstellungen über Gerechtigkeit, Ethik und Philosophie zu entwickeln begännen. Der Begriff "Proletariat" steckte den politi- schen Rahmen ab. Nicht die Armut war hier das Ausschlaggebende, sondern das politische Bewußtsein, das Klassenbewußtsein. Thomas Meyer' s Forschungsinteresse galt zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA theoretisch widersprüchlichen Aussagen von Marx. In seiner Doktorarbeit geht es ihm um den Nachweis der "Strukturambivalenz" der Schlüsselkategorien: "Aus der Strukturambiva- lenz dieser das Emanzipationsmodell tragen- den Kategorien, deren Elemente gegebenen- falls ad hoc auch anders kombiniert werden können, hat sich seit je die Möglichkeit der 'Swinigelstrategie' aus dem innersten Kern der Marxschen Theorie selbst ergeben. Im Falle der Unhaltbarkeit der theoretischen An- sprüche einer der diskutierten Kategorien kann man sich stets zu Recht und mit einem hinreichenden Zitatenfundus im Rücken auf die Position ihrer alternativen Deutung durch Marx zurückziehen."(Meyer, S.240) Nun, diese Strukturambivalenz, diese Wider- sprüchlichkeit in der Argumentation innerhalb des Gesamtwerks ist jedem kritischen Leser nichts unbedingt Neues. Denn wie Meyer in seiner Einleitung sehr richtig betont: "Abge- sehen einmal von dem starken Wandel, dem das Interesse an Marx seit mehr als einem Jahrhundert unterzogen war und der sich in ei- Sy- ner wechselnden Betonung verschiedener zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA stemelemente manifestiert hat, ist an der den

eher vonnöten ist. Mal ist das Proletariat zum Objekt herabgesunken und das Kapital zum Sub- jekt aufgestiegen - regiert als Weltgeist - und mal ist der Mensch, das Proletariat, einzig handelndes Subjekt der Geschichte und das Ka- pital wird vom Menschen, von der Arbeiterklas- se, in seine Schranken gewiesen - es regiert der Mensch. Wem dient der STAAT ? Dieser sogenannten Strukturambivalenz der Schlüsselkategorien begegnen wir auch wieder beim Staatsbegriff. Marx weist dem S t a a t zwei sich widersprechende Funktionen zu. Die eine Sichtweise gipfelt in der Aussage, daß der Staat zuerst und zuletzt der "Erfüllungsgehilfe des Kapitals" ist. Der Staat fungiere als "Ge- schäftsführer des Privateigentums": "Übrig bleibt ein Staat als politisches Ornament der ökonomischen Bewegungsgesetze. 'In dem Maß, wie der Fortschritt der modernen Industrie den Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit entwickelte, erweiterte, vertiefte, in demselben Maß erhielt die Staatsmacht mehr und mehr den Charakter einer öffentlichen Gewalt zur Unter- drückung der Arbeiterklasse, einer Maschine der Klassenherrschaft'. Die relative Autonomie der politischen Handlungsebene wird in dieser Argumentation annuliert." (Meyer, S.223) Diese Darstellung des Staates wird nicht nur bei Meyer als die "Geschäftsführertheorie des S ta ate s" bezeichnet. Und wir schließen uns hier seiner Kritik voll an: "Diesen reduktio- nistischen3) Staatsbegriff verwendet Marx häufig, um den absoluten Vorrang des ökonomischen Entwicklungsgesetzes als naturgesetzlichen (!), von aller Politik unabhängigen Prozeß sicherzu- stellen, er kann ihn indessen nicht begründen." (Meyer, S.224) Die andere Darstellung des Staates, die von Marx allerdings nicht in gleicher Weise favori- siert wird, sondern die er als theoretische Al- ternative eher von Fall zu Fall diskutiert, nannte Shlomo Avineri (The Social an Political Thought of Karl Marx, Cambridge 1968) graduistisch. Meyer spricht deshalb vom"g r a du i s t i s c h e n S taatsbegriff" , der im Gegensatz zum re- duktionistischen dem politisch handelnden Sub- jekt, also dem Proletarier, wieder mehr Bedeu- tung beimißt. "Am Beispiel der Wiedereinfüh- rung der Republik in Frankreich 1848 und in an- deren Kontexten hat Marx in erstaunlichem Um- . 3) Unter reduktionistisch versteht man die iso- lierte Betrachtung von Einzelelementen ohne ihre Verflechtung in einem Ganzen zu sehen. 20 fang eine Staatstheorie entfaltet, nach der ei- ne republikanische Verfassung mit demokrati- schem Wahlrecht für das Proletariat einen po- litischen Spielraum konstituiert, den Marx 'Terrain für den Kampf um seine revolutionä- re Emanzipation' nennt... Das allgemeine Wahlrecht hat Marx (zwar) nicht in jedem Fal- le für eine revolutionäre Errungenschaft ge- halten, sondern nur dann, wenn zwei Vorbe- dingungen erfüllt sind... wenn (1) das Proleta- riat schon die große Majorität eines Volkes bildet und (2) wenn es sich bereits ' zum kla- ren Bewußtsein seiner Klassenlage durchge- rungen' hat. Ein interessenadäquat genutztes allgemeines Wahlrecht hat nach Marx revolu- tionäre Bedeutung... Auf der politischen Ebe- ne steht also die ökonomische Verfassung der Gesellschaft selbst zur Disposition... Ange- sichts des so gesehenen Bedingungsverhältnis- ses ist - ausreichende Bewußtheit vorausge- setzt - 'Arbeiter in die Parlamente (zu) brin- gen... gleichbedeutend mit einem Sieg über die Regierungen' . Das politisch reifende Pro- letariat erzwingt dann elementare ökonomi- sche Konzessionen, denn nur ' in seiner rein ökonomischen Aktion (ist) das Kapital der stär- kere Teil' . Auf politischer Ebene ist es im demokratischen Staat aber zu besiegen." (Meyer, S.225-227) Die Übernahme des Staates durch das Prole- tariat würde - nach Ansicht von Marx - in der Regel durch Revolution, d.h. gewaltsam, je- doch unter bestimmten Umständen auch ge- waltlos, "reformistisch", also durch Stimm- abgabe und Parlamentsmehrheit , erfolgen. In dem Fall, wenn sich der Übergang vom Staat des Bürgertums, des Privateigentums, zur "Diktatur des Proletariats" schrittweise vollzieht, operiert Marx mit dem gradualisti- schen Staatsbegriff. Das Praxismoment ist im Vordergrund: der Proletarier handelt aus poli- tischem Bewußtsein. Dagegen korrespondiert die "Geschäftsführertheorie des Staates" mit dem geschichtsmethaphysischen, wir können auch sagen mit dem dogmatischen Marx. Beide Sichtweisen haben unter den Marxisten ihre Anhänger und Interpreten gefunden. Aber "echte" Marxisten scheinen uns eher diejenigen zu sein, die ebenfalls strukturambivalent und widersprüchlich argumentierten - zum Bei- spiel Rosa Luxemburg. Diejenigen dagegen, die lediglich eine der beiden Sichtweisen er- wähnen und systematisieren, sind "unechte" zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Marxisten - zum Beispiel Heide Heinz' Dar- stellung des Staates bzw. ihred'Kurzschlusse5 von Staat- Kapital - häuslicher Bereich".

Denn das Ziel des Kommunismus war ja, den Staat überhaupt überflüssig zu machen, zum Ab- sterben zu bringen. Ob das Proletariat den Staat nun schrittweise oder gewaltsam erobern würde, das war eigentlich nur von tagespoliti- schem, von strategischem Interesse. Die "Dik- tatur des Proletariats" war letztlich als ein Zwischenakt vorgesehen. Denn nach dem anthro- pologischen Vorverständnis von Marx, würden die Proletarier - erst einmal an die Macht ge- kommen - ihr "wahres Wesen", d.h. Gemein- schaftssinn und Humanität, entfalten, sodaß der Zwangsapparat Staat zur Disziplinierung der Individuen nach und nach ganz überflüssig wer- den würde. Nach Abschaffung des Privateigen- tums durch das Proletariat waren ja die Grund- widersprüche zwischen Mensch und Mensch und zwischen Individuum und Gesellschaft - nach Marx - aufgehoben und überwunden, die klassen- lose, die herrschaftslose Gesellschaft erreicht. Nun, diesem hohen Anspruch ist das Proleta- riat weder auf dem einen noch auf dem anderen Wege näher gekommen. Die Herrschaft des Menschen über den Menschen besteht fort. Ob Militärdiktatur, ob Diktatur des Proletariats, ob Privat- oder Staatskapitalismus: Ent- fremdung, Unterdrückung und Ausbeutung sind an der Tagesordnung geblieben, haben eher noch zugenommen. Wie allgemein bekannt,beschäftigt man sich bereits mit der Vernichtung allen Le- bens. Alle Vorbereitungen für den atomaren Ernstfall sind getroffen. Der Hahnenkampf im Endstadium. In den patriarchalischen Methoden und Strategien waren und sind sich "rechte" und "linke" Brüder erstaunlich einig. Gewalt und Terror, die Vernichtung der "Anderen" und die Selbstvernichtung sind im Patriarchat system- konform. Höchste Irrationalität wird als Ratio- nalität "verkauft". Frau/man erstickt in und am einseitigen Angebot auf dem oligopolistischen patriarchalischen Markt. Deshalb kann es uns auch nicht allzusehr ver- wundern, wenn einzelne pubertierende Kinder und Enkel dieses Systems - zum Beispiel die Terroristen - die "Geschichte" noch schneller und selbstmörderischer als ihre Väter und Groß- väter vollenden wollen. Einige beriefen sich da- bei auch auf Marx. Meist hatte man sich aber nur oberflächlich mit ihm beschäftigt. Horst Mahler gab das inzwischen zu. Er studierte zum Beispiel die Staatsvorstellungen Marx' erst im Gefängnis systematisch. Nicht nur von sei- ner RAF (Rote Armee Fraktion)- Zeit distan- ziert er sich entschieden, er bekennt in der Zeit- schrift DAS NEUE FORUM (Wien) , Nr.289-296, außerdem einige theoretische Irrtümer: "Ich wage die Behauptung, daß wir uns mit dem von 22 Marx, Rosa Luxemburg und Lenin ererbten Re- volutionsmodell den Weg zur sozialen Umwäl- zung ideologisch verbaut haben... Schon das Vorhaben, den Staat - etwa durch die "Dikta- tur des Proletariats" überflüssig zu machen und langsam absterben zu lassen, führt in der Praxis zum Versuch, die Individuen zu konfor- mieren - gleichzuschalten. Das erzeugt einen totalitären Konformitätsdruck, der die Frei- heit des Individuums negiert, Widerstand er- zeugt - und so erst recht die Hypertrophie (übermäßiges Wachstum) des Staates verur- sacht. Macht schlägt um in Willkür... Marx' Überlegungen über die Formen der proletari- schen Revolution, ihre nächsten Aufgaben, Mittel und Wege waren aus den Anschauungen und Erfahrungen jener politischen Revolution (1845/46) geschöpft, die das Proletariat erst in die bürgerliche Gesellschaft h ine i n und nicht schon über sie hinaus führte. Seine Re- volutionstheorie mußte so fehlerhaft werden; denn man erfährt nicht, wie ein Apfel schmeckt, wenn man in eine Birne beißt. Die von Marx begründete... Revolutionstheorie - die hier nicht verwechselt werden darf mit ihrer Theorie der politischen Ökonomie des Kapitals - ist aus diesem Grunde prinzipiell ungültig. Es überrascht daher nicht, daß die nach der Theorie längst überfällige sozialisti- sche Revolution noch nirgends stattgefunden hat." Und Mahlers heutige Staatssicht gipfelt in folgender Aussage: "Die Arbeiterklasse ist in den Staat integriert; sie verfügt über einen nicht unerheblichen politischen Einfluß und nimmt teil an der staatlichen Machtausübung. Sie anerkennt den Staat als den legetimen Ga- ranten jener gesellschaftlichen Ordnung, inner halb derer sie sich mit dem Kapital streitet und um eine Verbesserung ihrer Existenzbe- dingungen kämpft." (Nr.291/2, S.12-13) Obwohl Mahler in seine Staatsanalyse die Ent- wicklung der letzten 150 Jahre sowie die eige- nen politischen Erfahrungen und Irrwege mit- einbezieht und er - gleich Bahro - im Gefäng" nis nochmal die Gründerväter Hegel und Mars studierte, verfehlt er die Lösung des Pro- blems. Er fällt - wie Marx - mit Hegelwieder in das 18./19. Jahrhundert, die Zeit der Iden- er titätsphilosophie, zurück. Und das, obwohl zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA genau diesen Fehler Marx vorwirft: "Doch in- dem Marx hier (in der Staatsfrage wie in sei- ner Ideologiekritik - H.M.) am Gegensatz v°11 Besonderem und Allgemeinen festhält, bleibt er im methaphysischen Denken befangen." (5.15) Zwar versucht Mahler nun ein differen- zierteres Bild des Staates zu zeichnen - die Ideologie der RAF liegt weit hinter ihm, der

hätte kaum den untauglichen Versuch unternom- men, zur Abstützung seiner Argumentation ausgerechnet Olsons Thesen heranzuziehen. Olson arbeitet mit einem Ratio na litä ts - begriff, der gar keinen Bezug zum Ziel, zum In- halt, den Beweggründen individuellen Handelns kennt. Die Motive sind belanglos. "Rational" verhält sich ein Individuum bei Olson , wenn es Nutzen- Kosten- Berechnungen anstellt. Ein In- dividuum, das den eigenen Nutzen nicht als den Maßstab aller Dinge ansieht, handelt demnach irrational. "Aus drei Gründen wird nun kein rationales Individuum - sei es aus moralischen, sei es aus nichtmoralischen Motiven - ohne Zwang an der Bereitstellung des Kollektivguts mitwirken. Diese drei für ' latente' Gruppen geltenden Gründe sind: (1) 'Je größer die Gruppe, um so kleiner ist der Anteil am gesamten Gruppenanteil, den der einzelne, der im Gruppeninteresse handelt, erzielt, und um so weniger angemessen ist die Belohnung für gruppenorientiertes Han- deln, und um so weniger wird es der Gruppe gelingen, eine optimale Versorgung mit dem Kollektivgut zu erreichen' . (2) Je größer die Gruppe, um so geringer ist die Chance ' durch oligopolistisches Wechsel- spiel' Motivationen für die Mitwirkung an der Bereitsstellung des Kollektivguts zu schaffen. (3) 'Je größer die Zahl der Gruppenmitglieder, um so höher die Organisationskosten und um so höher somit die Hürde, die übersprungen werden muß, bevor überhaupt etwas von dem Kollektivgut erlangt werden kann' ."(Meyer, S.163) So interessant und plausibel Olsons For- schungsergebnisse für Menschen sein mögen, die diesem Rationalitätsbegriff huldigen, so irre- levant sind sie für diejenigen, die "rational" mit anderen Vorstellungen und Bedeutungen besetzen und verbinden. So zum Beispiel für Marx und für die Wissenschaftler und Philosophen, ja alle Menschen, die das Mögliche , das Denkba - r e in ihren Rationalitätsbegriff miteinbeziehen. Für sie ist das "Vernunft"- , das "Verstandge- mäße" nichts Gegebenes, Fertiges, zeitlos Gül--. tiges. Sie können mit Olsons Rationalitätsbe- griff, der allein auf die ökonomische Nützlichkeit abhebt, nichts anfangen . Mit einem Begriff von Ra- tionalität , der wie Meyer sehr richtig bemerkt: "im Rahmen des methodologischen Individualis- mus" geistig beheimatet ist, läßt sich Marx nicht kritisieren und nicht widerlegen. In solchem Be- zugsrahmen werden soziale Phänomene wie Lie- be, Gemeinschaftssinn, Humanität und Selbstlo- sigkeit gedanklich ausgeschaltet bzw. bereits als irrationales Handeln eingestuft. Ganz im Gegen- 24 satz zu diesen Ansichten bzw. diesem anthro- pologischen Vorverständnis, gehen Marx' Vor- stellungen über das "wahre Wesen" des Men- schen über das zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschende und beobachtbare Denken und Verhalten der Individuen hinaus. Eih Mensch handelt für ihn dann "rational", wenn er den anderen -wie sich selbst - als soziales, als gesellschaftliches Wesen wahr- nimmt und behandelt. Wenn Individual- und Ge- meinschafts Interesse identisch geworden sind, dann hätte das Individuum nach Marx sicher die höchste Rationalität erreicht. In seinen "Thesen über Feuerbach" sagt Marx: "Feuer- bach löst das religiöse Wesen in das mensc II' liehe Wesen auf. Aber das menschliche We' sen ist kein dem einzelnen Individuum inne- wohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse ."(Marx/Engels: Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd.II, Berlin 1971, S.371) Und dieses "Ensemble" stellt sich Marx im Kommunismus, also nach Abschaf- fung des Privateigentums, so vor: "Die Aufhe- bung des Privateigentums ist daher die voll- ständige Emanzipation aller menschlichen Sinne und Eigenschaften; aber sie ist diese Emanzipation gerade dadurch, daß diese Sinne und Eigenschaften m e ns chlich, sowohl subjektiv als objektiv geworden sind. Das Au- ge ist zum menschlichen Auge geworden, wie sein G e g e n s t a n d zu einem gesellschaft- lichen menschlichen, vom Menschen für den Menschen herrührender Gegenstand ge- worden ist. Die S inne sind daher unmittelbar in ihrer Praxis Theoretiker geworden. Sie ver halten sich zu der Sache um der Sache wil- len, aber die Sache selbst ist ein gegen- s t änd liches menschliches Verhalten zu sich selbst und zum Menschen und umge- kehrt. Das Bedürfnis oder der Genuß haben darum ihre egoistische Natur und die Na' tur ihre bloße Nützlic hke it verloren, in" dem der Nutzen zum me n s c hl i c h e n Nutzell geworden ist." (Marx:Fraschriften, S.240 f.) Deshalb wird auch nur, wenn man Marx' anthropologisches Vorverständnis, seinen Traum von einer menschlichen Gesell- schaft, in die Analyse miteinbezieht, seine "Revolutionsgewißheit" verständlich, ja im Grunde zwangsnotwendig. Um diese Vorstel- lung vom "wahren Wesen" des Menschen nicht infrage stellen zu müssen, sondern im Gegen teil, jede Möglichkeit zur Realisierung dieses wahren Wesens theoretisch und praktisch auf zudecken , als Handlungsalternative aufzuzeiA entstand gen, setzte Marx sich an die Arbeit, zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA

Leben zu erhalten. Auch seine aggressiven Po- lemiken gegen die "utopischen Sozialisten", ge- gen "Humanitätsfanatiker", "Menschheitserlö- ser" und "Sozialromantiker" lassen sich als Angst interpretieren. Einer ins Unterbewußtsein bzw. auf Feindbilder abgedrängten Angst, die eigenen Überzeugungen vom "wahren Wesen" des Menschen könnten sich ebenfalls als Illusion erweisen. Deshalb versucht Marx so krampfhaft, seine Lehre eines ununterbrochenen Klassen- kampfs bis zum schließlichen Sieg des Kommu- nismus als "Wissenschaft" zu institutionalisie- ren. Hier war er selbst einem naiven, ideali- stischen Fortschrittsglauben verfallen; denn das eine Technik und Wissenschaft, die nicht an ethische Grundwerte - die allerdings auch stets der Kritik und der Diskussion ausgesetzt blei- ben müssen! - gebunden wird, das Ende aller Humanität einzuleiten im Begriffe ist, das war eben noch keine philosophische Frage seiner Zeit. Und wenn man es genau besieht, dann floh er nur dann in die Geschichtsmethaphysik, wenn sein Glaube an die Emanzipationsfähigkeit des Menschen, seine Hoffnung auf die politische humane Kraft des Menschengeschlechts nachließ, er jedoch seine Annahme von Identität zwischen Individuum und Gesellschaft dogmatisch aufrecht erhalten wollte. Unsere zentrale Kritik gilt diesem seltsam sta- tischen und ahistorischen anthropologischen Vorverständnis. Marx' assoziiert mit dem "wahren Wesen" des Menschen Harmonie, Idyl- le, Identität und Stillstand. Marx' Wunsch nach Überwindung, nach Aufhebung der Gegensätze, nach Abschaffung der Arbeitsteilung (anstatt Neuordnung, Neuverteilung), erscheint uns tat- sächlich illusionär und nicht menschgemäß. Die Gegensätze und Widersprüche zwischen Indivi- duum und Individuum und zwischen Individuum und Gesellschaft sollen verschwinden, die stän- digen Auseinandersetzungen, der Kampf um Macht und Einfluß, sollen aufgehoben werden. Marx verbannt sie in die "Vorgeschichte der Menschheit". Sein Traum ist die konflikt- , die klassenlose Gesellschaft. Diese Vorstellungen vom "Gattungswesen" der Menschen teilen wir nicht. ---. Jeder ist zur Philosophie berufen! Für uns manifestiert sich das "wahre Wesen" des Menschen in Erkenntnis - und Sinnsuche innerhalb nie aufhebbarer Gegen- sätze und Widersprüche. Ideen von Gleichheit und Freiheit, von Identität und Wi- derspruchslosigkeit erscheinen uns für das Le- ben des Individuums wie für das der Gruppe, 26 der Gesellschaft, unangemessen. Uns geht es nicht darum, das Leben gewaltsam in ein be- stimmtes System zu pressen und auch nicht da' rum es einzig im Individuum zu feiern. Beide Vorstellungen haben sich längst als lebens- feindlich erwiesen. Unsere gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen gehen davon aus, daß die Möglichkeiten innerhalb grundsätz - licher Abhängigkeit für jedes Individu- um bereitgestellt werden müssen, sein Leben selbst zu planen und zu gestalten .Diese Ar- beit , Sinngebung und Konfliktaustragung ist sein Leben. Das "Gattungswesen" manifestiert sich in der Fähigkeit des Menschen, die man- nigfachen Unterschiede und Gegensätze in zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA der Natur wie in der Kultur wahrnehmen und bear beiten zu können. Das ist seine Freiheit: die Fähigkeit, seine menschlichen Grenzen selbst entdecken, erforschen zu können. Die Befrie- digung seiner Bedürfnisse und Interessen und seine Sinnsuche bringt ihn ständig in Konfron- tation und in Kooperation mit anderen Men- schen. Solange er lebt, ist er dieser Spannung ausgesetzt, Anziehung und Abstoßung muß er in ein bestimmtes Verhältnis bringen, er muß lernen seine materiellen wie ideellen Bedürfnisse als Beziehungen zu sehen . Er muß lernen, diese Beziehungen selbst zu ordnen. Seine Sinn.verwirklichung, seine Lebenschance realisiert sich in dieser Arbeit, diesem Austausch, diesem Konflikt. 0 Deshalb lehnen wir alle "Grundüberzeugungell und Ordnungsvorstellungen ab, die die Mög- lichkeiten sowie die Verantwortung des Indivi- duums behindern, diese seine Lebensarbeit zu erfüllen "Alle sind zur Philosophie berufe - diese Forderung stellte 1838 der Hegelkriti- ker August von Ciezkowski in seiner progranl matischen Schrift "Prolegomena zur Histori°- sophie" auf (zitiert nach Meyer, S.16 u.250)' Diese Forderung entspricht unserem anthro- pologischen Vorverständnis. Wir wollen die Sinngebung und die politische Realisierung des von jedem Individuum erarbeiteten Sinns nicht an irgendeine Institution delegieren. Wii:, wollen diese Arbeit keinem Gott, keinem N.31)1 tal und keinem Papst aufbürden und anlasten. Wir wollen unsere gesellschaftlichen Instier , tionen (Familie, Kindergarten, Schule, Univei. sität, Arbeitsplatz und Parlament) so verärr, selbstverantwortlich dern, daß alle Menschen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA politisch handeln können. Weder unser an thropologisches Vorverständnis, noch unsere Lebenserfahrung und auch nicht die Ergebnis' se wissenschaftlicher Forschung stimmen oll einer derart monokausalen Darstellung der d Beziehung zwischen Ökonomie und Politik un

triarchalischen Sozialismus als Wertsystem und Gesellschaftsordnung befürwortet und mit- getragen. Millionen Menschen entwerfen täglich Vernichtungswaffen, stellen sie her, benutzen sie im Einsatz gegen unschuldige Menschen, Frauen und Kinder. Wo ist der Widerstand des Proletariats? Durch den Eintritt in eine Fabrik oder in eine Partei oder in eine Ehe erlischt nicht die Denk- die Reflexionsfähigkeit des Men- schen, bereits der Eintritt als "Volljähriger" in eine derartige Institution wird üblicherweise mit einem Mindestmaß an Bewußtsein vollzogen. Sicher, Arbeits- und Tarifverträge, Familien- und Scheidungsgesetze und auch Parteiprogram- me lesen sich nicht so leicht wie ein Krimi oder Lore-Roman - aber spannend und höchst auf- schlußreich sind sie für jeden Proletarier. Wir müssen sie noch genauer studieren.Wir müssen den Sinn der Gesetze und Befehle ermitteln, um feststellen zu können, ob wir ihnen noch gehor- chen wollen, ob sie sich mit unseren Wertvor- stellungen und unseren politischen Zielen dek- ken. Nicht das "Kapital" und nicht der "liebe Gott" machen aus menschlichen Subjekten "Ob- jekte". Es sind immer Menschen, die Menschen wie "Objekte" oder"Subjekte" behandeln. Und auch das "Kapital" wurde nur von Menschen - von den Marxisten - zum Subjekt erhoben, zur allmächtigen Institution. Wir enthronen es wie- der theoretisch wie praktisch. Es lebe der Mensch! Wir Feministen entdecken ihn wieder in und hinter jeder Institution. Und wir haben auch gar keine Angst vor den Institutionen - der Familie, der Schule, der Universität, den Parteien, den Parlamenten und dem Staat. Ja, selbst den Arbeitsplätzen würden wir uns mit Neugier und Interesse zuwenden, wären diese Institutionen nicht alle in Patriarchenhand! Wir haben vor den Menschen Angst, vor den Patriarchalinnen und Patriarchen, die über un- sere Bedürfnisse und Interessen mit vo 11 e m B e w u ß t s e i n, mit Vorsatz und Planung hin- wegschreiten, die uns mit und ohne Gesetz bei der gesellschaftspolitischen Willensbildung aus- schalten wollen. Wir fürchten patriarchalische Journalisten, die Informationen unterschlagen und die uns wider besseres Wissen weismachen, Wiederbewaffnung und Atomkraftwerke seien von Nutzen - "rational" - für das Volk. Und wir haben Angst vor "Feministinnen" in einigen Frauenbuchläden, -zentren und -verlagen, die sich genauso irrational, dogmatisch und autori- tär wie das Patriarchat verhalten. Die zum Bei- spiel unsere Zeitschrift allein wegen des Titels nicht lesen, in ihren Läden nicht mit anbieten wollen und unsere Publikationen und unsere Or- ganisation, den FÖRDERKREIS ZUM AUFBAU 28 DER FEMINISTISCHEN PARTEI, in Literatur- und in feministischen Gruppenverzeichnissen systematisch unterschlagen. Die also bewußt Informationen vorenthalten und so die politi- sche Willensbildung einengen und manipulieren. Die eine demokratische Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Ziele und Inhalte des Feminismus - ganz im Interesse des Pa- triarchats ! - noch immer sabotieren. Wir haben Angst vor Wissenschaftlern, Techno- kraten und Bürokraten, die soziale Probleme nur mehr technologisch, formal und empfin- dungslos angehen und steuern. Denn unser Be- griff von Wahrnehmung und Reflexion, von In- telligenz schließt alle Si nne, alle Ge - füh 1 e, mit ein. "Intelligenz ist eine morali- sche Kategorie" ..."Ist einmal die letzte emo- tionale Spur getilgt, bleibt vom Denken einzig die absolute Tautologie übrig."(Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Bibliothek Suhrkan1P, S.262 u.159) Das Patriarchat ist noch immer an der Macht, weil die Mehrheit der Individuen - der "Arbeit- geber"- und der "Arbeitnehmerklasse" - schon zu ihren Lebzeiten die Hoffnung auf Be- friedigung ihrer emotionalen und philosophi- schen Bedürfnisse aufgeben und das Prinzip ihrer Unterdrücker verinnerlichen: auf Kosten "Dümmerer" leben zu wollen. Die Verwirk- licher dieses Systems sind und bleiben aber immer die Dummen. Wenn es ihnen überhaupt gelingt "Kapital" zu machen, dann nicht nur auf Kosten anderer. Sie verkürzen ihre eigene Humanität, Reflexionsfähigkeit und die Chance, sich selbst zu erfahren. Jeder, der sich die- sem System wirklich unterwirft, funktioniert mehr und mehr automatisch. Das Programm läuft und läuft und entleert ihn. Es krankt of- fenbar an einem Konstruktionsfehler: das Not- signal, das Warnsystem ist defekt. Es schal" tet sich automatisch aus. Selbstmord ist mit- eingeplant. Soziales Lernen und Änderung des Grundsatzprogramms mißlingt in diesem System. Wir können keine wirkliche Alternative inner- halb des Patriarchats erkennen und entwickeln, weil hier das System und nicht der Mensch dem Menschen Vertrauen und Sicherheit geben soll. Man braucht Gott oder den Weltgeist (gei. das Kapital oder die Geschichte oder das Schicksal als erlösende oder strafende In,stittl- tion, weil diese Menschen die Widersprüche, die in ihnen selbst liegen, in ihrenei genen sich widersprechenden Interessen und Bedürfnissen, nicht selbstkritisch ertragen und lebenslang bearbeiten wollen. Die Wider' sprüche sollen möglichst nur in dem Anderen,

vorhandenen Differenzen hinsichtlich Aussehen, Temperament, Begabung, Intelligenz, Lebens- kraft usw. Die patriarchalische Politik strebt keinen Aus- gleich, sondern die Verschärfung und bewußte Ausbeutung der natürlichen Unterschiede an. Diese Verschärfung speist sich aus zwei glei- chermaßen verhängnisvollen , wenn auch entge- gengesetzen "Grundansichten" über das wahre Wesen des Menschen: der patriarchalische Marxismus geht von angeblicher G1 e i c hhe i t und angeborener Humanität der Menschen, das Christentum von Ungleichheit und Erbsünde aus. Beide Positionen beruhen auf irrigen An- nahmen, führten zu Dogmatismus und zutiefst apolitischemVerhalten. Sie beschnitten die na- türliche individuelle Lern- und Reflexionsfähig- keit. Dagegen zeichnet sich die feministische Politik dadurch aus, daß sie dem Menschen dazu ver- helfen will, seine Beziehungen zur Umwelt, sei- nen Lebenssinn selbst zu bewerten, zu ordnen. Die Menschen müssen die gesellschaftlichen Be- ziehungen und Verhältnisse, in die sie hineinge- boren werden, so analysieren und selbst bearbei- ten lernen, daß "Humanität" durch diese ihre Kulturarbeit sich mehr und mehr entwickeln kann. Es geht nicht um die Anpassung an und auch nicht um die Zerstörung der Kultur und Struktur, die wir vorfinden, sondern um ihre Bearbeitung. Humanität ist nichts Fertiges und nichts Abstrak- tes. Der Mensch allein verwirklicht sie. Wir wollen die Institutionen so verändern, daß Schwa- che und besonders Abhängige ku 1 tu rell , s truk tu rell so gestützt werden, daß ein Aus- gleich, eine Humanisierung der Naturunterschie- de gelingen kann. Wir wollen weder den Staat, noch die Parteien, noch die Familie, noch die Arbeit abschaffen. Aber wir wollen ihre Formen und ihre politischen Inhalte ändern. Weil wir im Patriarchat nicht human leben und überleben kön- nen, wollen wir dieses System mit allen Prole- tariern, die auch unter ihm leiden - körperlich, intellektuell und ökonomisch - abschaffen und durch ein feministisches Gesellschaftssystem er- setzen. Aufgrund unseres anthropologischen Vor- verständnisses kann und wird diese Gesellschafts- veränderung nur gewaltlos vollzogen werden. Unseren Kampf werden wir führen als polit s c h e Subjekte , solidarisiert und organisiert in einer Feministischen Partei und in einer Feministischen Gewerkschaft in Aus- einandersetzung mit den bestehenden Parteien innerhalb der Parlamente und des Staats. Wir wollen den Widerspruch der Interessen und Be- dürfnisse, der für jedes Individuum konstitutiv ist und der sich deshalb auch in den gesellschaft- i- 30 lichen Institutionen und in der "Doppelfunktion" des Staates niederschlägt, nicht strukturell leugnen, "formal" beseitigen. Feministen wol- len im Gegenteil die Diskussion und die struk- turellen Möglichkeiten erweitern, transparen- ter machen, die Unterschiede, die Gegensätze durch mehrere Parteien veranschaulichen, die Identitätsvorstellungen der "Volksparteien"- "Wir sitzen alle im gleichen Boot" - als Un- wahrheiten entlarven. Wir wollen alle Institu- tionen proletarisieren, also politisieren. Die Feministische Partei wird sich u.a. durch ihr radikaldemokratisches Bildungs-, A rbeits - und Wirtschaftsprogramm (Welteinheitslohn) aus- weisen und sich von den patriarchalischen Par- teien eindeutig unterscheiden, in denen angeb- lich "ökonomische Sachzwänge" statt bestimm' ter Interessengruppen regieren. Wir werden diesen "ökonomischen Schleier" lüften und die Auseinandersetzung sowohl als Individuen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA wie gemeinsam mit anderen Feministen offen, ent- waffnend und intelligent führen. Wir wollen die Widersprüche und Gegensätze nicht unterdriik- ken durch eine "Diktatur des Proletariats", durch ein Einparteiensystem, durch eine Staatsreligion, ein patriarchalisch erzwunge- nes Wertsystem, eine Einheits- eine Identitäts- philosophie. Mit der Leugnung, mit der mani- pulativen und /oder gewaltsamen Vernichtung des Widerspruchs, der Alternative, der OpPo- sition beginnt die Verkrüppelung menschlichen Lebens. In den eindimensionalen Strukturen des Patriarchats stirbt die Lern- und Refle- xionsfähigkeit, die Hoffnung und die Liebesfä- higkeit nach und nach ab. Der Andere, der Ge- gensatz bleibt sprach- bleibt trostlos. "Das Tröstliche der großen Kunstwerke liegt wenigele in dem, was sie aussprechen, als darin, daß es ihnen gelang, dem Dasein sich abzutrotzen. Hoffnung ist am ehesten bei den trostlosen." Und weil er eine feministische Grundansicht bereits wundervoll formulierte, möchten wir mit einem weiteren Zitat von Adorno unsere Ausführungen beschließen: "Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Diffe" renzen. Politik, der es darum im Ernst noch ginge, sollte deswegen die abstrakte Gleich- heit der Menschen nicht einmal als Idee pro" pagieren. Sie sollte statt dessen auf die schlechte Gleichheit heute, die Identität der Film- mit den Waffeninteressen deuten, den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann." (Theodor W.Adorno: Minima Moralia, S. 299 und S.130/131)

Da wir nur zu zweit nach Berlin reisen konnten und unsere Seminarveranstaltung sowie die ständige Besetzung des Stan- des DER FEMINIST lediglich einen ganz sporadischen Be- such der vielen Vorträge, Referate und Diskussionen er- laubte, beschränken wir uns hier auf den Abdruck von Gitta Crumleys Protokoll über unseren eigenen Beitrag, den wir an die Frauengruppe sandten, die eine DOKUMENTATION DER FRAUEN-SOMMER -UNI 1978 herausgeben wollte. Für den FFP (Förderkreis zum Aufbau der Feministischen Partei, Sitz München) hielt am Montag, den 9.Oktober 1978, H a n ne lore Ma b r y , Autorin des Buches "Unkraut ins Parlament" (Die Bedeutung weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau, München 1971) und Herausgeberin und verantwortliche Redakteurin der Zeit- schriften "Frauenforum - Stimme der Feministen" (von 1972 - 1975) und "Der Feminist" (seit 1976) ein Referat über LOHN FÜR HAUSARBEIT ALS STRATEGIE DES FEMINISMUS. Zu Beginn wurde an die ungefähr 80 Seminarteilnehmerinnen das folgende Thesenpapier (siehe Anlage) und die tabellari- sche Übersicht über "kapitalistischen" und "patriarchali- schen" Mehrwert aus dem Artikel Hannelore Mabrys "Mit oder ohne Marx zum Feminismus ?" (DER FEMINIST, Nr.1/ 77,S .17) zur kurzen Orientierung und als Diskussionsgrund- lage verteilt. Hannelore Mabry stellte bei der Begrüßung dann gleich die Frage an die Anwesenden, ob bereits während ihres Vor- trags Zwischenfragen sowie die Diskussion einzelner Aspek- te gewünscht würden - also eine Art "offenes Referat" - oder ob die Diskussion erst nach ihren Ausführungen begin- nen solle. Die Mehrheit entschied sich für das "offene Re- ferat". Zum Thema kamen wir allerdings erst nach einer bald vierzig Minuten dauernden Kontroverse. Der Grund: Die Anwesenheit eines Mannes, eines Studenten, der die hier zu behandelnde Thematik als Diplomarbeit gewählt hat- te und der gern zuhören wollte. Die Mehrheit der anwesen- den Frauen war der Ansicht, daß ein Mann auf der Frauen- Sommer-Uni nichts zu suchen hätte und nach hitzigem Für und Wider über sein weiteres Verbleiben räumte er schließ- lich kurz vor der geforderten Abstimmung freiwillig das Feld. Mabry begann nun ihre Ausführungen mit einer kurzen Schilderung ihrer persönlichen Entwicklung, einer Erklä- rung, weshalb sie das Thema besonders beschäftige, sowie zu ihrem Engagement in der Frauenbewegung insgesamt. Dieser subjektive Einstieg wurde erstaunlicherweise von einigen Zuhörerinnen kritisiert - als angeblich nicht zum Thema gehörend! Offensichtlich waren einige Frauen weni- ger an der Sache, sondern mehr an Provokation interessiert. Denn, nachdem Mabry mit der theoretischen Einführung in ihre feministische Mehrwerttheorie begann, waren einige Anwesende erneut auf Kollisionskurs. Was wollte man denn eigentlich? Die Kontroverse, die zumindest für mich fru- strierend verlief, wurde jetzt von einer oder zwei Frauen ausgelöst, die behaupteten, die Ausführungen Mabrys über die Begriffe "produktive" und "unproduktive" Arbeit ent- sprächen nicht den Marx' schen Definitionen. Die Auseinan- dersetzung darüber, ob Mabry die Marx' schen Begriffe und Kategorien adäquat oder nicht hier sowie in der zur Einfüh- rung in das Thema empfohlenen Literatur (FEMINIST I/77) vorgestellt hat, konnten von der Mehrheit aber nicht mit- diskutiert oder gar entschieden werden, da sich nach Be- fragung der Anwesenden herausstellte, daß nur eine ganz kleine Minderheit Marx und Mabrys Artikel "Mit oder ohne Marx zum Feminismus?" gelesen hatte. Allmählich setzten sich dann doch diejenigen durch, die aus 32 Interesse am Thema erschienen waren und die das Re- ferat ohne laufende Unterbrechung hören wollten. Mabrx erklärte, daß die Forderung - genau wie die Ab- lehnung - von "Lohn für Hausarbeit" auf ganz bestimm- ten theoretischen Positionen basiere, die frau /man herausarbeiten und zur eigenen Entscheidung in der Frage unbedingt kennen müsse. Historisch gesehen wäre die Forderung bereits in der ersten Frauenbewegung erhoben worden und zwar da- mals von einigen wenigen Vertreterinnen der sog. bür- gerlichen Frauenbewegung. Die Marxisten und Soziali- sten hätten bereits damals - genau wie heute - "Lohn für Hausarbeit" mit folgenden Argumenten abgelehnt: Alle Frauen müßten in den außerhäuslichen Produktions- bereich integriert werden; denn die Emanzipation der Frau wäre nur im Sozialismus - verbunden mit einer Kindererziehung durch den Staat - möglich. "Lohn für Hausarbeit" stabilisiere dagegen die Hausfrauenrolle und führe zur Klassenspaltung. Anstatt gemeinsam den Kampf gegen das Kapital zu führen, werde durch diese Forderung ein Geschlechterkampf forciert und so das Proletariat als revolutionäres Subjekt geschwächt. Da für Marxisten die Abschaffung des Kapitalismus immer Vorrang vor der Abschaffung des Patriarchats ("Neben- widerspruch im Hauptwiderspruch") hatte und nach wie vor habe, verwundere es nicht allzusehr, daß Marxisten auf längst durch die Praxis überholten und auch analy- tisch unhaltbaren Thesen und Theorien beharrten. Feministische politökonomische Analysen zur Haus- und Erzieherarbeit - zur Reproduktion und Produktion von Arbeitskraft - wie die von Hodee Edwards, Maria Rosa Dalla Costa und besonders die revolutionäre Kritik der Marx' schen Mehrwerttheorie durch Mabry werden nicht beachtet, ja sogar totgeschwiegen. Und was die Forderung "Lohn für Hausarbeit" beträfe, so würden leider nicht allein durch den patriarchali- schen Marxismus, sondern sogar durch einige Reprä- sentantinnen der neuen Frauenbewegung - zum Beispiel. durch Alice Schwarzers Kolumne gegen "Lohn für Haus- arbeit" in EMMA - mit ähnlichen und anderen falschen Argumenten eine Neuorientierung aufgrund theoretischer und empirischer Erkenntnisse verhindert bzw. sehr er- schwert. Dabei habe - so Mabry - jede feministische Journalistin die Pflicht, den heute erreichten Diskus- sionsstand in dieser Frage zu reflektieren und zu publi- zieren und dürfe nicht in vulgärmarxistische und aus der Sicht des Feminismus konterrevolutionäre Positio- nen zurückfallen! Mabry unterschied folgende Positionen in der Frage "Lohn für Hausarbeit": Befürworter a) mit theoretischer Fundierung (feministische Mehrwerttheorie) FFP- Position, die "Lohn für Hausar- beit" als Übergangslösung und Strategie, als Kampfforderung für die Zeit bis zur Erreichung einer feministischen Gesell- schaftsordnung vertritt. b) ohne theoretische Fundierung Einzelkämpferinnen in der ersten Frau- enbewegung und viele Anhängerinnen bzw. Sympathisantinnen der Forderung unter den betroffenen "Nur-Hausfrauen und Müttern" (meist noch außerhalb der Frauenbewegung stehend). Damit keine Solidarisierung und Politisierung der ca. 65% "Nur-Hausfrauen" durch eine gemeinsame Forderung "Lohn für Haus- arbeit" erfolgt, wird die Spaltung der Frauen vom Patriarchat durch reforme- rische wie reaktionäre Slogans z.B. Ba- byjahr, Erziehergeld (CDU/CSU), Tages- mütter betrieben. Denn nur die Forde- rung "Lohn für Hausarbeit" ist wirklich

tung) leugnet, und in der "marxistischen" Wissenschaft ist das Klassenverhältnis von Marx als überholt abzu- lehnen, da es die Haus- und Erzieherarbeit als un- p r o du kti v e Arbeit fälschlicherweise einordnete. 2.) Die feministische Theorie geht von einer neuen Klassen- zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA lung der Ausbeutung: erst sexuelle, dann intellektuel- le und schließlich ökonomische Ausbeutung, wobei die Ausbeutung jeweils eine Verschärfung durch den hin- zutretenden Faktor bzw. manchmal auch eine Milde- rung erfährt. Aufgrund der genauen Analyse der ökonomischen Aus- beutung zeigt sich, daß es auch "Patriarchalinnen" gibt, das sind die Frauen, die das Wertsystem und die ökonomische Ordnung der Patriarchen anerkennen und bewußt weiter an der Macht halten: es sind 1.) alle in patriarchalischen politischen Parteien und Gewerk- schaften arbeitenden Frauen und 2.) alle "Nur-Haus- frauen" ohne Kinder, die die Institution der "Nur- Hausfrau" weiterhin bejahen. Es sind alle Frauen, die nicht bereit sind, sich mit den Theorien und Thesen der Feministen überhaupt auseinanderzusetzen und le- diglich Solidarität mit Patriarchen üben. "Lohn für Hausarbeit" ist als eine politische Über- gangslösung zu fordern, da eine feministisch e Gesellschaftsordnung die geschlechtsspezifi- sche Arbeitsteilung generell aufheben will und der Be- ruf der"Nurhausfrau und Mutter" eines Tages abzu- schaffen ist, da er die Ausbeutung der Frau durch die Fixierung auf den rein privaten Bereich beinhaltet und wir von beiden Geschlechtern politisches Handeln und Verhalten erreichen wollen. Gewaltverhältnisse, wie sie im Patriarchat die Norm sind, können nur von der Masse der "proles" (Ausgebeuteten) abgeschafft wer- den. Ein unpolitisches Verhalten der Massen ist des- halb Garant zur Erhaltung des Patriarchats ! Da Feminismus nach unserem Verständnis eine neue Gesellschaftsordnung bedeutet, können auch Männer da- für ihre Kraft und ihr Geld einsetzen: es kommt auf den politischen Standort und die Analyse der Gesellschaft an, bei welcher Partei und bei welcher Klasse ich mich engagiere - es ist ein Akt des po- litischen Bewußtseins Feminist zu werden und nicht eine biologische Determination. 4.) analyse aus: Auf der einen Seite auf der anderen Seite die Ausbeuterklasse die ausgebeutete Klasse "die Patriarchen", "die proles", alle Frauen und Männer, alle Frauen und Männer, die die mehr als den"Welt- weniger als den "Weltein- einheitslohn" pro Arbeits- heitslohn" pro Arbeitsstunde stunde ausbezahlt bekom- verdienen und über nichts als men bzw. vom"Kapital" ihre Arbeitskraft verfügen. leben. Die neue Klassenanalyse schließt abstrakt an den Klas- senbegriff von Marx über produktive Arbeit als ausgebeutete Arbeit an. Jede Arbeit, an der eine andere 5.) Person verdient, einen Mehrwert einstreicht, ist pro- duktive Arbeit. Es gibt außer dem kapitalistischen Mehrwert einen historisch älteren und nach wie vor be- stehenden - auch im patriarchalischen Sozialismus - "patriarchalischen" Mehrwert". Er wird durch Arbeits- teilung und Arbeitsbewertung und "Arbeit - Ersparen" durch den Stärke ren (sexuell, intellektuell, ökono- misch) erreicht. Es handelt sich hier um ein erpreßtes Arbeitsverhältnis, einen ungleichen Tausch von Arbeits- kraft aufgrund der Machtverhältnisse, die elementar gegeben und durch Kultur im Laufe der Geschichte ver- schärft wurden. 6.) 3.) Die feministische Theorie geht von einer Neudefinition des Patriarchats aus: "Das Patriarchat ist ein Herrschaftssystem (ein Gewalt- system), in dem das'Recht' des Stärkeren Gesetz ist." Stärker heißt des Ausbeuters, da stärker aufgrund "na- türlicher" wie kultureller Fakten. Historische Enhvick- Irmtraud Morgner: LEBEN UND ABENTEUER DER TRO- BADORA BEATRIZ NACH ZEUGNISSEN IHRER SPIELFRAU LAURA ,Sammlung Luchterhand, Darmstadt 1978, 456 S., DM 14,80 "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz..." ist ein un- ter Aufbietung vielfältigster historischer und kultureller Kenntnisse, literarischer Techniken, humor- und geistvoller Kritik und enormer schriftstellerischer Arbeitsleistung ver- faßter Roman; er gwährt manche, das eigene Denken und die eigene Phantasie anregende Lektürestunde, doch kostet er m.E. auch manche Selbstüberwindung zwecks Durchhalten bis zum (...) Ende, denn Spannung oder interessierte Neu- gier wollte sich bei mir nicht einstellen. Nach bekannter Manier z.B. der utopischen Romane bürger- licher Herkunft (in der deutschsprachigen Literatur um die Mitte des 18.Jahrhunderts) führt uns die DDR- Autorin Irmtraud Morgner in die fiktive Wirklichkeit ihres "Monta- geromans" ein, nämlich indem sie behauptet, (fast) nur die bemerkenswerte Hinterlassenschaft einer inzwischen ver- storbenen weiblichen Persönlichkeit des mittelalterlichen, französischen Adels zu publizieren, die ihr von deren so- zialistischer Spielfrau übereignet worden ist. Doch Irmtraud Morgner gibt weniger den Blick auf ein vorerst abstrakt - utopisches und entsprechend wunder-volles Land frei, son- dern den Blick auf den legendären, surrealistisch anmuten- den Bildungsgang einer politisch naiven "Widerspenstigen" zu einer sozialistischen weiblichen Persönlichkeit. Zentra- 34 itileRteteKKIIIK ler Ort des Geschehens ist die real existierende Deutsche Demokratische Republik, die gleichwohl der "Ort des Wun- derbaren" sein soll: hier in diesem "gelobten Land" ist nicht nur die bürgerlich-kapitalistische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sondern auch die patriar- chalische der Frau durch den Mann und die der Kinder durch die Eltern abgeschafft. Alle beobachtbaren Abwei- chungen werden einer eigentümlichen Trägheit sittlicher Verhaltensweisen angelastet, der Rückständigkeit der ge- sellschaftlichen - männlichen und weiblichen - Subjekte in ihrer kommunikativen Praxis; ihre reale Aufhebung er- scheint als eine Frage der Zeit, der Geduld und des Ver- trauens, d.i. eine Frage gelebte n Geschichtsoptimis- mus' . Keinesfalls aber geben sie Anlaß zu einem prinzi- piellen Zweifel am sozialistischen Gesellschafts- und Wirt- schaftssystem auf der ideologischen Basis des Marxismus - Leninismus. Schon die Übersicht über die im Roman "mitspielenden" Figuren verleiht der Vorstellung Gestalt, daß das alte Pa- triarchat überwunden ist: die Spielfiguren sind im wesent- lichen in drei Gruppen unterteilt, eine jede angeführt durch Namen und Berufsbezeichnung einer Frau, es folgen je- weils der erste und der zweite Ehemann derselben, zeit- weilige Liebhaber und Kinder; letztere zumeist männlichen Geschlechts ( - in keinem bürgerlichen Roman würde ich dies für unbedeutend, für zufällig halten!). "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz..." : der fe- ministische Roman einer sozialistischen Autorin? Nein;

pendynamik und Gruppentherapie" vor, dem sie als Psycho- login selber angehört. Leiter dieses Kreises (der ca. 800 Mitglieder zählt) ist der Psychotherapeut Josef Rattner. Er führte - neben der Einzeltherapie - das sog. Großgruppen- verfahren als neue Behandlungsform ein. Dutzende, ja sogar bis über 100 Teilnehmer wirken an einer Gruppensitzung mit, wobei die Anfänger meist nur zuhören. Durch diese Methode sollen Einseitigkeiten der Zweierbeziehung Therapeut/Pa- tient ausgeglichen werden. Das Ziel ist neben der Symptom- heilung und Ichstärkung, mehr Reflexion und Kritik gegen- über den eingetricherten Normen und geschlechtsspezifi- schen Rollenstereotypen zu entwickeln. Immerhin etwas! Aber mit Feminismus hat das alles wenig zu tun. Das Pa- triarchat als Herrschaftssystem bleibt unerkannt, unbegrif- fen. Warum die traditionellen "Geschlechtsrollen" verordnet und verinnerlicht wurden, bleibt undiskutiert. Ingrid Braun Günter Grass: DER BUTT , Luchterhand Verlag, Darm- stadt und Neuwied 1978, 694 S., DM 34, -- Ein langer Gang durch die Geschichte sollte es werden. Ein Gang, der die Beziehung zwischen Frauen und Männern im Allgemeinen und die Stellung der Frau in der Gesellschaft im Besonderen aufzeigen sollte. Von dem Märchen, das von einem Fischer und dessen habgieriger Frau erzählt, aus- gehend, entspinnen sich im "Butt" mehr oder minder phan- tasievolle andere Märchen ganz a la Grass. Was seinen Hang zur Selbstdarstellung angeht, ist er sich gewiß treu geblieben. Auch die Lust am Wortgeplänkel ist ihm nicht vergangen. Doch wo blieb Herr Günter Grass, der politisch Engagierte, der SPD-Trimmer, der Kanzlergefährte? D e r ist derweil seinem vielzitierten "Kunstfick" erlegen oder gar in der großen Kulturküche der "dicken Gret" in den Kochtopf gefallen. Jedenfalls ist die Geschichte so ästhe- tisch, daß man auch nicht das geringste politische Haar in der labbrigen Suppe finden kann. "Der Butt" hat endgültig offenbart, was vorher schon zu ahnen war: eine heillose Liebe zum bürgerlichen Klischee, eine unerhörte Geschäfts- tüchtigkeit was kassenfreundliche Sexparolen anbetrifft, und nicht zuletzt eine anmaßende oberflächliche Art ernsthafte politische Bewegungen auf ein schillerndes Schauspiel zwi- schen Kitsch und Kultur zu reduzieren. In den Grass' schen Phantasien herrschen in den Anfängen der Geschichte übermächtig und "dreibrüstig" die Frauen über ihre gefügigen, weil muttermilchabhängigen Männer. In seinen Vorstellungen soll die Natur der Frau so sein: alles beim Alten belassen, nur keinen Fortschritt! Zeit- und kulturlos finden die "Auas" ihr Vergnügen im steten Be- kochen ihrer "Edeks", die sie ohne jede Eifersucht, weil ohne Liebe, untereinander beliebig austauschen, um sie für ihren gierigen Beischlaf zu benutzen. Die einfältigen "Edeks" vergöttern ihre Urmütter: Vaterrecht wird schlicht geleug- net. Doch dem Zustand der ereignislosen Friedfertigkeit wird langsam aber sicher ein Ende gesetzt. Die Männer, vom "Butt" beraten, der ihnen einst ins Netz ging, beginnen allmählich ihre "männlichen Qualitäten" gegen die "weibli- chen Trägheiten" durchzusetzen - denn männlich ist, was Geschichte macht und Kriege führt. Sind die "Auas" und späteren "Mestwinas", "Wiggas", "Amandas", die "dicke Gret", kurz alle "Ilsebills" stets darum bemüht, die alte Ordnung zu bewahren und für ein deftiges Mahl und warmes Bett zu sorgen, so Ist von "Edel' über Martin Opitz, Vasco da Gama und dem Stadtmaler Möller ein jeder Mann von sei- ner schöpferischen Kraft getrieben. So erzählt Grass von Agnes, die den Dichter Opitz und den Stadtmaler Möller wechselweise bekocht und ihnen als Wärmflasche dienlich ist: "Sie war mehr als Möller und Opitz zusammen. Selbst ein Rubens, ein Hölderlin hätten ihr Angebot nicht erschöpfen können. Es war mein Fehler zwei verbraucgte Talente mit ihrer Fülle gänzlich zu ver- schütten. Nein, Agnes machte nicht Kunst. Aber Ursprung aller Künste ist sie gewesen: ihre fließende Form, Ihr epi- sches Schweigen, ihr Denken, aus dem das Nichts dachte, ihre Vieldeutigkeit, ihre feuchte Wärme ...Agnes mußte nicht schaffen, erschaffen. Sie mußte nicht schöpferisch sein. Denn sie war Geschöpf: vollendet." (S.324) Die Frauen also als das Prinzip des Seienden, Ruhenden, der unbedarften Friedfertigkeit, die Männer als Macher. Doch es wäre falsch anzunehmen, Grass würde es bei die- ser primitiven Eindeutigkeit belassen. Im Gegenteil, er entwirft die Theorie von der natürlichen Vorherrschaft der Frau. Erst durch die weisen Einflüsterungen des "Butt" erfinden die Männer "Liebe" als Allheilmittel ge- gen die Frauenherrschaft: Nur wenn es gelingt, den Frauen die Liebe als erlösende Macht und die Gewißheit, geliebt zu werden, als höchstes Glück zu suggerieren und dann die Männer sich standhaft weigern, selbst wenn sie geliebt, bis zur Vergötterung geliebt werden, gleich- falls zu lieben oder flüchtiger Liebelei Dauer zu sichern, wenn also die Abhängigkeit der Frau von der nie gesi- cherten Gewißheit, ob er sie liebe, noch immer liebe, ausschließlich, schwächer, wiederum, nun nicht mehr liebe, zu einer lebenslänglichen Angst, Wertminderung, Qual und bedrückenden Hörigkeit geworden ist, dann end- lich wird die Mutterschaft gebrochen sein, wird das Phallussymbol siegen und alle Vulvaidole entwerten, wird der Mann des Schoßes dunkle Vorgeschichte aufgeklärt haben und sich als Vater selbstherrlich fort- und fort- setzen.'" (S.333) Doch, was auf der einen Seite listig erdacht, wird auf der nächsten Seite bereits wieder ver- worfen. So beklagt sich unser männlicher "Held": "Mir jedenfalls hat die Liebe keine Freiheit, nur langhaariges Unglück gebracht...Nur wir Männer zappelten an jenen Schnürchen, mit denen wir, auf Anraten eines gesprä- chigen Fisches, die Frauen ans Ehebett hatten binden wollen. Dorothea! Was habe ich nicht alles getan, um dem abgekühlten Miststück ein bißchen Liebe abzujagen. Doch selbst wenn sie hinhielt, verweigerte sie."(S.334) Auch was die sexuelle Rollenverteilung anbetrifft, möchd. te Grass sich nicht wirklich festlegen. Beruhte die se- xuelle Betätigung der beiden Geschlechter in der Stein- zeit noch auf wechselseitiger Ausnutzung, wobei die Frauen das Sagen hatten, so entdecken wir mit fort- schreitender Geschichte eine zunehmende sexuelle Be- herrschung der Frauen durch die Männer. Frauen fin- den sich nun, wenn sie nicht gerade wie die Nonne Rusch die Männer nach Belieben in Urmuttermanier vorkonsu- mieren, in der passiven Rolle, entweder noch kindlich unschuldig wie Agnes, die mit 13 Jahren "...zur Voll- waise gemacht und wie ein Astloch benutzt wurde, was ihren Verstand verkehrt hat"(S.324), oder aber im Zuge masochistischer Theorien als nach Leiden süchtige, duld- same Märthyrerinnen, die im Geheimen nichts mehr er- sehnen als vergewaltigt zu werden - zu leiden, und nochmals zu leiden. Die passive Rolle scheint ihnen na- turgemäß, denn "...aus Prinzip sind sie Mütter... Frauen müssen nicht fürs Nachleben sorgen, weil sie Leben verkörpern; Männer hingegen können nur außer sich Nachleben beweisen, indem sie das Haus bauen, den Baum pflanzen, die Tat vollbringen, ruhmreich im Krieg fallen, doch vorher noch Kinderchen zeugen."(S.502) Sind die Frauen einmal aktiv, dann höchstens in destruk- tivem Sinne als kastrierende Monster. "Vagina dentalist' (zuschnappende Vagina) - Visionen wechseln sich ab mit männlichen Omnipotenzphantasien: "Von allen Insekten könnte die Gottesanbeterin, die ihr Männchen gleich nach dem Zeugungsakt ganz langsam auffrißt, zum Wappentier aller Ilsebills werden."(S.375) Aber, was ein richtiger Mann ist, der gibt nicht so schnell auf: "Dabei hätte ich es mit jeder von ihnen gekonnt. Und mit Sibylle habe ich im Großen und Ganzen prima geschlafen. Und die kühle Siggi habe Ich ganz normal durchgezogen, ohne daß sie geklagt hätte, hinterher." (S.577) Sprachlich hält Grass die Linie: es wird nie verschwiegen, wer es wem be- sorgt. 36

Lohnsklaverei - um es in Marx' scher Terminologie zu sa- gen. Und wenn wir uns nicht irren, d.h. ihre schauerlichen Abstraktionen richtig verstanden haben, dann ahnt Heide Heinz im letzten Satz ihres Artikels ganz schwach etwas von dem Problem, das politökonomische Feministen seit langem beschäftigt: "Als Resultat aus alledem ergäbe sich also, den marxistischen Grundwiderspruch selbst als Geschlechtsproblem zu lesen, ohne die üblichen Ausschlie- ßungs- und Unterordnungskämpfe zwischen dem Kapital- und den Geschlechtsverhältnissen weiterzuführen. Das aber wäre ein weiteres Thema, das auf eine Modifikation des Hi- storischen Materialismus und eine Fortentwicklung von dessen Revolutionstheorie auf dem neuesten Stand des Be- wußtseins hinausliefe. Die Studie reicht in diese - durch sie aber schon vorbereitete - Dimension noch nicht hinein `(S. 59) Heinz' Studie wahrlich nicht, aber unsere eigene längst! Für uns ist das Beharren auf der von Marx apostrophierten Rangordnung von sog. Haupt - und Nebenwiderspruch nur noch ein verbales Geplänkel, unnützer Kampf um ein Dogma, das durch die empirische und dialektische gesellschaftliche Analyse leicht ad absurdum geführt werden kann und von uns auch bereits geführt wurde. Das "Geschlechtsproblem" läßt sich nicht als Haupt- und auch nicht als Nebenwiderspruch darstellen und es manifestiert sich auch keineswegs nur im Früh- oder Spätkapitalismus, sondern es beginnt mit der Geschichte des ausbeuterischen Tauschs von Arbeitszeit, von Arbeitskraft zwischen den Menschen. Deshalb gibt es tatsächlich nur einen Hauptwiderspruch- und zwar den zwischen gemeinsamer Erstellung des Gesamtprodukts der Gesellschaft und der "privaten" bzw. "patriarchalischen" Aneignung dieses Gesamtprodukts. Einen Nebenwiderspruch gibt es nach unserer feministischen ökonomischen Analyse überhaupt nicht! Was wir Marx vorwerfen ist, daß er die- sen Hauptwiderspruch nicht genau genug analysierte und da- durch auch das revolutionäre Subjekt - bei ihm eingeschränkt auf die Industriearbeiter - dogmatisch und falsch bestimm- te. Allein durch die präzisere, empirisch geprüfte Be- stimmung dieses Widerspruchs "zwischen Kapital und Ar- bei" (oder auch dem WiderspruciPzwischen dem Stand der Produktivkräfte und dem der Produktionsverhältnisse"oder auch Widerspruch "zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung" im marxistischen Jargon),löst sich der Nebenwiderspruch im Hauptwiderspruch auf: der Haupt- widerspruch ist die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft. Vielleicht war Heinz diese Botschaft zu primitiv bzw. zu klar, zu konkret dargestellt, daß sie den Inhalt nicht aufzu- nehmen vermochte? Denn wir bemühten uns gerade so be- sonders darum,Abstraktionen zu vermeiden, die schon Marx übel bekommen sind. Heinz ist voll auf sie hereingefallen. Nicht nur das: sie hat ihren Meister vollends um seine Ab- sicht gebracht - nämlich durch seine theoretische Arbeit dem Klassenkumpf dienen zu wollen, Ausbeutung und Unter- drückung analytisch nachzuweisen. Nicht nur in ihrer elitä- ren Sprache (die einen Vermittlungsversuch zwischen Uni- versität und gemeinemVolk gar nicht erst in Erwägung zieht!), sondern auch in der inhaltlichen Bestimmung der Ausbeuter und Ausgebeuteten fällt sie hinter Marx zurück . Besagter Widerspruch wird bei ihr zum "generellen Wider- spruch von Abhängigkeit und Herrschaft" (S.12).Wir per- sönlich sehen in Abhängigkeit und Herrschaft noch keinen Wi derspruch, eher Folge od.Ergänzung.Um einen Widerspruch in einem Herrschaftsverhältnis wahrzunehmen bzw. ihn so- gar aufheben zu wollen, ist nötig:von einer Gleichheit der Menschen auszugehen oder wenigstens einem gleichen An- spruch. Ob und wie dieser aussehen soll - zumindest zwi- schen den Geschlechtern-interessiert Heinz bis jetzt nicht. Deshalb ist für sie auch die rein ökonomische Gleichheit "innerhalb des häuslichen Bereichs" den Kampf nicht wert: "Erreicht würde auf diese Weise (durch Bezahlung der Haus- arbeit durch den Staat - Einf. II.M.) lediglich (!) eine Um- verteilung der vorhandenen Lohnmasse.-Auch zugegeben, daß dies ein systemimmanenter (innerhalb des Kapitalismus meint die Dame natürlich, denn das Patriarchat als "Ne- 38 ja nicht des Nachdenkens benwiderspruch" ist für sie zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA wert! ) Demokratisierungserfolg im Sinne eines ökono- mischen Ausgleichs zwischen den Geschlechtern wäre; zugegeben auch, daß dies eine - vielleicht sogar "reali- stische" - Emanzipationsmaßnahme sein könnte, so wird doch die Grenze der "feministischen Analyse" (Heinz will mit den Gänsefüßchen hervorheben auf welch' nied- rigem, minderwertigen Niveau diese gegenüber der marxistischen sich befindet! Sicher, wenn man das ori- ginäre, das theoretisch Neue gar nicht darin zu erkennen vermag, dann sind die Gänsefüßchen vielleicht ange- bracht?) hier deutlich, das fundamentale Herrschafts- verhältnis Kapital- Arbeit unangetastet zu lassen."(S.27) Wir dachten fälschlicherweise, daß ein derart primitiver dogmatischer Vulgärmarxismus ( Mit Beruhigung lasen wir einen späten Ausspruch Marx' - natürlich nicht bei Heinz! - : er wisse nicht, ob er Marxist sei!) heute bis auf parteiamtliche Beschwörungen seitens der Ostblock- staaten, der SED und DKP etc., überwunden sei,und daß zumindest kein "Frauenverlagueine derart antifeministi- sehe Position unter "Diskussionsforum für feministische Theorie" anzubieten wagt, bzw. eine Antifeministin mit der Herausgabe dieser Reihe betreut. Nun, das Theorie- defizit in Sachen Feminismus- Marxismus war uns be- reits durch eine andere Publikationsreihe diese Verlages 'Mamas Pfirsiche")aufgefallen. Man schmort hier - wie frau sieht - immer noch im marxistischen Saft. Aber diese Brühe wird nachgerade ungenießbar! Denn, kriti- sieren wir schon bei Marx die falsche Sicht bzw. abstru- se Konkretisierung seiner abstrakten Kategorien von "produktiver" und "unproduktiver" Arbeit und seine zu abstrakte Darstellung gesellschaftlicher Sachverhalte, so resignieren wir bei Heide Heinz, thremErgebnis nach der Lektüre von Marx und Mabry. Der Anschau- lichkeit halber noch ein Beispiel für "von Marx zuHeinz", In letzter Abstraktion produziert und reproduziert sich das "Kapital" und auch die Arbeitskraft bei Marx ganz von selbst: "Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den ob- jektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherr- schende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist (also nicht mehr die Hausfrauen und Mütter - Einf.H.M.) pro- duziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eigenen Vergegenständlichungs- und Verwirk- lichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leib- lichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non (die unerläßliche Bedingung) der kapitalisti- schen Produktion...Das im Austausch gegen Arbeits- kraft veräußerte Kapital wird in Lebensmittel verwan- delt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel , Nerven, Knochen, Hirn vorhandener Arbeiter zu reproduzieren und neue Arbeiter zu zeugen. Innerhalb der Grenzen des absolut Notwendigen ist daher die individuelle Konsum- tion der Arbeiterklasse Rückverwandlung der vom Kapi- tal gegen Arbeitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploitierbare (ausbeutbare) Arbeitskraft. Sie ist Produktion und Reproduktion des dem Kapitalisten un- entbehrlichsten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst." (DAS KAPITAL, Bd . I, S. 596/ 7 ) Also letztlich brauchts zur Erhaltung und zur Produktion der Arbeits- kraft nur die Konsumtion von Lebensmitteln! Und bei Heinz verwandeln sich die Frauen und Mütter, "die Träger der reproduktiven Potenz", nicht in den Kon- sum von Lebensmitteln, sondern schlicht in "das Haus": "Selbst zur Ware geworden (Heinz spricht hier von ent- lohnter Hausarbeit, da sie dem Fetisch "Ware"in der verkürzten Form von Marx aufgesessen ist und den "Tauschwert"-Charakter der Hausarbeit noch immer nicht wahrzunehmen imstande ist, d.h.eine doppelt pro- duktive Arbeit - eben für das Kapital und das Patriarchat - und im Marxschen Sinne! darin nicht zu erkennen vermag.

rühmter Satz über die Unterdrückung der Frau umkehrt und Frauen und Arbeitern gemein ist, befreit zu sein."(S.226) Die Dame gehört offensichtlich zur klassenkämpferischen Juso-Riege (auch Wieczorek-Zeul ist Europa-Kandidatin) , die mit den Thesen der Großväter und Urgroßväter auf den Lippen sich fortschrittlich und revolutionär vorkommt. Von eigener historischer u. materialistischer Analyse weit ent- fernt, unfähig sich theoretisch und praktisch auf eigene Füs- se zu stellen, bleibt sie selbst Komplizin des Patriarchats, das sie ebensowenig wie Heide Heinz als Ursprung von Klas- senherrschaft wahrzunehmen imstande ist. Denn Frauen sind ganz in Übereinstimmung mit jeder linken und rechten patri- archalischen Theorie ausgebeutet aufgrund von blöder Er- ziehung und eingefleischten Vorurteilen - der Mut zur Ohn- macht ist es eben!- :"Die mangelnde Erkenntnis und Ein- sicht in die Tatsache, daß man nicht als Frau zur Welt kommt (hört, hört!), sondern erst aufgrund der gegebenen Erziehungsmuster und Leitbildilder zur Frau gemacht wird, machte die Frauenfrage zu einem europäischen Trauma." (S.84 f.) Wir sehen die Dinge ziemlich anders! Für uns sind die Patriarchalinnen das Trauma, da sie entweder durch zu stark ausgeprägten Egoismus (Karrieristinnen auf Kosten der Lösung der Frauenfrage) oder durch ihre geistige Ein- falt von morgens bis abends seit Jahrhunderten dazu beitra- gen, das Patriarchat zu stützen. Sie selbst geben die fal- schen Leitbilder und verraten alle feministischen Bemühun- gen! Wir Frauen kommen als Frauen auf die Welt und wer- den aufgrund unserer biologisch stärkeren Abhängigkeit aus- gebeutet- die Rolle ist nur ein lächerliches Syndrom! und unser politischer Feminismus versucht den Randzio-Plath' s etwas anderes zu vermitteln,als das, was sie über uns zuver- breiten wagen:"Der apolitische Feminismus (einen anderen können sich diese Damen gar nicht vorstellen!) ist aber kei- ne Lösung, sondern gefährlich, da er Kräfte bindet, die ver- antwortlich politisch besser zu einer Veränderung der ge- samtgesellschaftlichen Verhältnisse eingesetzt werden soll- ten...Es geht ihnen ... nicht wie beispielsweise gesellschaft- lichen Emanzipationsbewegungen wie dem demokratischen Sozialismus, um die Schaffung eines neuen Menschen, son- dem lediglich um eine Herrschaft der Frau, um eine Befrei- ung der Frau zur Unterdrückung des Mannes( !), weil an den Werten, welche die Feministinnen propagieren, Männer nicht teilhaben können...Den Feministinnen reicht das Matriar- chat schlechthin."(S.66-68f.) Wer's den deutschen Bürge- rinnen so (v)erklärt, der wird von der männlichen Partei- spitze auch ab und an mal mit einem aussichtsreichen Listen- platz belohnt; denn daß die"Bürgerinnen"und'Bürger"direkt nur ca. 90 % Männer wählen können, weil die Patriarchen wissen, wie man das politische Geschäft betreibt und der Masse demokratische Ambitionen austreibt durch Wahllisten, 5%-Klauseln und durch die Absahnung der Steuergelder zur Erhaltung der eigenen Macht, Das alles verschweigt diese feine Marxistin den Bürgerinnen. Solange die Mehrheit sich als " Komplizinnen"benutzen läßt, gibtb keine Chance ! Wenn schon, denn schon - da bin ich wie stets für radikale Aufklä- rung: Jede Frau soll wenigstens wissen, was sie tut und wer weiß, vielleicht erwacht sogar Randzio-Plath eines fer- nen Tages aus ihrer politischen Ohnmacht und das patriar- chalische Pöstchen erscheint ihr als das, was es ist: die totale Sackgasse - sogar für die Frauen, denen es nur um eind'Gleichstellung'für alle geht... H. Mabry Notzen und I Fran Hosken Informierte über "Klitorisbe- schneidung in Afrika": Am 29. März 1979 sprach die Amerikanerin und gebürtige Österreicherin, die Architektin und Journalistin, Heraus- geberin der Zeitschrift WIN NEWS (Women's International Network) auf Einladung des FFP im "Europäischen Hof'über Klitorisbeschneidung in Afrika. Anläßlich einer Afrikareise im Jahre 1973 war Fran Hosken zum ersten Mal mit diesen 40 grausamen Verstümmelungspraktiken konfrontiert wor- den, die, soweit sie überhaupt außerhalb Afrikas bekannt waren, mit dem verschleiernden Begriff traditioneller Rituale oder Stammesbräuche abgetan wurden. FranHos- ken hat seither einen unermüdlichen Aufklärungskampf geführt, der schließlich in einem internationalen Semi- nar der Weltgesundheitsorganisation kulminierte, bei dem vom 7. -20.Febr .1979 in Khartoum, Sudan, über "Ge- sundheitsschädigende traditionelle Praktiken an Frauen" referiert und debattiert wurde. Obwohl rechtzeitig und ausreichend über den Informa- tionsabend in Kenntnis gesetzt, schickte keine der Mün- chner Tageszeitungen Mitarbeiter zu der Veranstaltung. Einzige Ausnahme: Frau Mirus vom "Notizbuch"(BR). Die "Solidarität" der "Münchner Frauenzeitung"gegenüber den Frauen in Afrika, gegenüber Fran Hosken, gegenüber uns versagte wie schon in der Vergangenheit - wederun- seren einführenden Bericht zur Veranstaltung druckte man ab, noch erschien man. Mit Feminismus hat auch das meiste, was in der "Bewegung" geschieht, kaum et- was zu tun. Zumindest nicht mit dem, was wir unter die- sem Begriff verstehen! Die Enthaltsamkeit der"offiziel- len" Presse ist zwar gleich schockierend, nimmt aber nicht wunder, wenn man bedenkt, daß der Begriff "Klito- ris" erst kürzlich ins patriarchalisch bestimmte Bewußt- sein gelangt ist und seine Erwähnung für viele noch mit großer Peinlichkeit verbunden ist. Obwohl den Patriar- chen dieses weibliche Organ nur zu gut bekannt war und ist; denn wie wir durch Fran Hosken erfuhren, wurden in grauer Vorzeit die Herausschneidung und Verstümme- lungen am weiblichen Lustorgan sogar in Europa vorge- nommen! Die rund 80 Anwesenden folgten mit großem Interesse dem anschaulichen Vortrag und es entspann sich eine leb- hafte Diskussion, in der Fran Hosken nochmals auf die Bedeutung hinwies, die Frauen und Wissenschaftlern in aller Welt zukommt, diesem Übel durch Aufklärungsfeld- züge und politische Initiativen zu begegnen. Achtung Mitglieder! Wir laden Euch alle herzlich zur diesjährigen ordentli- chen Mitgliederversammlung des Förderkreises zum Aufbau der Feministischen Partei (FFP) ein. Sie findet statt am Samstag_, den 1 6 . Juni 1 979 pünktlich um 10 Uhr in der Gaststätte 1 "Europäischer Hof', München 2, Bayerstr.31 • TAGESORDNUNG: 1.) Begrüßung der Mitglieder und Bericht über die poli- tische und personelle Entwicklung des FFP seit Juni 1978 durch die 1. Vorsitzende Ursula Sattler. 2.) Bericht über die Entwicklung der Zeitschrift DER FEMINIST und die Pläne hinsichtlich der nächsten Ausgaben durch die stellvertretende Vorsitzende Lorley Mabry. 3.) Bericht über die finanzielle Entwicklung der Organi- sation im letzten Geschäftsjahr, Bilanz 78 und Aus- blick auf die Zukunft durch die Schatzmeisterin Ingrid Braun. 4.) Bericht der Kassenprüfer Bernadette Scherbl und Günter Baier. 5.) Entlastung des Vorstands 6.) Wahl der Kassenprüfer für das Geschäftsjahr 1979. 7.) Verschiedenes Weitere Vorschläge bzw. Anträge für die Tagesordnung bitte schriftlich bis zum 1.Juni 1 979 an den Vorstand richten: z.Hd.v.Ursula Sattler, Pössenbacher Str.3a, München 71 (Postscheckkonto FFP, München 170484-807) Nach Abschluß des organisatorischen Teils der Jahres- versammlung wollen wir - wie stets - mit unseren Aus- wärtigen eine S t r a ß e na kt ion am Marienplatz München durchführen und anschließend in einem Lokal zu Abend essen und uns austauschen. Für Übernachtung der Aus- wärtigen sorgen wir. Der Vorstand (Sattler, Mabry, Braun)

Frankreich: zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA METZ Geronimo Livres,31 rue Pont des Morts PARIS Calligrammes,Librairie Allemande,15 rue du Dra- • Die Zeitschrift DER FEMINIST erhalten Sie in de TÜBINGEN Bücherstube Hohnerlein, Hirschgasse 2 Osiandersche Buchhandlg.,Wilhelmstr.12 ULM Buchladen Eichhorn, Herrenkellergasse 10 Aegis-Buchhandlg., Hafengasse/ Breib. -Gasse Buchhandlg.Holm, Hafenbad 11 Fachbuchhandlg. Hofman & Co. ,Hirschstr.4 VE LBERT Buchhandlg. Ka.spe , Hauptstr. 58 WETZLAR Buchhandlg.am Dom, Entengasse 2 WUPPERTAL-BARMEN Buchhandlg.Röder Werth 62 WUPPERTAL-ELBERFELD Buchhandlg. Nettesheim, Her- zogstr./Ecke Bankstr. der andere buchladen, Neue Nordstr.6 WÜRZBURG Bücherstube Hübner, E ichhornstr . 1 Buchladen "Neuer Weg", Peterstr.8 Buchhandlg. F. Schöninh Franziskanerplatz Holland: • gon AMSTERDAM Uitgeverij en boekhandel Van Gennep, Nes 128 Österreich: • WIEN Frauenzimmer Buchcafe, Lange Gasse 11 Schweden: • STOCKHOLM The Women's Bookstore Kvinnfolk, Helene- borgsgatan 46 Folgende Schwerpunkte wurden in den bis jetzt erschienenen Ausgaben behandelt: DER FEMINIST Nr.1/76 (I) * berichtet über die Spaltung des FRAUENFORUM e.V. und über die Neugründung des FFP. Der Hauptartikel "Wer oder was ist ein Feminist?" beginnt mit einer feministischen Klassenanalyse u. erklärt, warum die Zeitschrift "der" Fe- minist heißt. Außerdem ist die Satzung des FFP enthalten. DER FEMINIST Nr. 2/76 (II) * beschäftigt sich im Aufsatz "Warum die Männer wirklich herrschen" mit dem Anarchismus aus der Sicht der Frauenfrage und mit der Parteifeindlichkeit der neuen Frau- enbewegung, mit "Feminismus und Krieg" und V.E.Ptlgrim'm "Untergang des Mannes". DER FEMINIST Nr. 1/77 (III) stellt eine Kritik der Marx' schen Theorie aus der Sicht des Feminismus dar u. untersucht, Inwieweit der Marx' sehe Entfremdungsbegriff auf die Haus- und Erzieherarbeit an- wendbar ist und begründet die Forderung "Lohn für Hausar- beit" . Entwurf einer feministischen "Mehrwerttheorie" . DER FEMINIST Nr. 2/77 (IV) * In "Viele, aber nicht alle Wege führen zum Feminismus" setzen wir uns mit den Zielen und Methoden auseinander, die die FEMINISTISCHE PARTEI von patriarchalischen Par- teien u.Ideologien unterschieden würde. Außerdem wird un- ser 5-Stunden-Modell für Frau und Mann für die BRD kon- kretisiert u. unsere feministische Klassenanalyse diskutiert DER FEMINIST Nr.1/78 (V) 4 versucht anhand von H.Beecher-Stowe (Onkel Tom' s Hütte), Angela Davis und H.Mabry die Unterschiede zwischen christ- lichen, marxistischen u. feministischen Wertvorstellungen aufzuzeigen; außerdem beschäftigen wir uns mit Bahro's "Alternative"und U.Leue mit "Vom Märchen, daß ein Mann seine Frau ernähre..." DER FEMINIST Nr. 2/78 (VI) )1e. berichtet über die Frauenbewegung in Spanien (Interviews) und über die Parteiensituation in der BRD-einschließlich der "Grünen". Es wird ein Kommentar zum "Stern-Prozeß"ge- geben:"Frauen sind keine beleidigungsfähige Gruppe-wirk- lich?" und in allen Ausgaben findet sich die "Feministische Literaturkritik" (hier z.B über die "Schwarze Botin"). DER FEMINIST Nr.1/79 wro * kritisiert die Philosophie und das anthropologische Vorver- ständnis von Marx in dem Artikel "Alle sind zur Philosophie berufen oder:Das Proletariat heute" und über unseren Bei- trag bei der Frauen-Sommer-Uni 78 "Lohn für Hausarbeit r BRD und im Ausland in folgenden Geschäften: (Forts.) Schweiz: AFFOLTERN Versandbuchhandlg."Buch 2000", Postf.36 BASEL buechlade ltflosseschaft , Theaterpassage Bücher & Antiquariat Pfister, Petersgraben 18 Buchhandlg. Tanner Books, Streitgasse 5 BERN Frauenbuchladen, Münstergasse 41 ST.GALLEN Buchhandlg.am Rösslitor,Webergasse 5 Buchhandlg. Kaktus , Löwengasse 4 Fehr' sche Buchhandlg., Schmiedgasse 16 Ribaux Buchhandlung, Bahnhofstr.2 ZÜRICH Bücher Bazar , Mühlegasse 13 Buchhandlg. am Helvetiaplatz ,Stauffacherstr.60 Buchhandlg. am Kunsthaus, 0.Brückelt,Rämistr. Buchhandlung Beer, St. Peterhofstatt 10 Humana-Buchhandlg., Rämistr.37 Frauenbuchladen, Stockerstr.37 Genossenschaft Literaturbetrieb, Cramerstr.2 Orell Füssli Buchhandlg., Pelikanstr.10 Pinkus, Froschaugasse 7 45 Spanien: • BARCELONA Llibreria de les dones, carrer Llad6 10 Wir suchen ständig neue Buchhandlungen, die unsere Zeitschrift in Kommission nehmen! Bedingungen siehe unten als Strategie des Feminismus" ist das Protokoll abge- druckt. Außerdem eine Kritik der Zeitschrift EULE. Über unseren Verlag kann ferner bezogen werden: FRAUENFORUM - Stimme der Feministen , Nr. 2/ 75: Muttermilch reicht nur für Kriege • Der Seperatismus der Männer • Das Urteil von Karlsruhe • FRAUENFORUM - Stimme der Feministen , Nr. 3/75: Rein Ins Geschäft • Unsere Schwestern in Indien • Theorie und Praxis des Frauenforum • Besprechung von Borneman' s "Patriarchat" • Zusätzlich zum Preis der Zeitschrift ist jeweils DM -, 50 Versandkosten im V or au s zu entrichten auf das Post- scheckkonto DER FEMINIST, München Nr. 28035-804 Außerdem sind noch wenige Exemplare des Buches von Hannelore Mabry: UNKRAUT INS PARLAMENT • über uns zu beziehen, einschl. DM 1, -- Versandkosten. Bitte hier den Bestellzettel abtrennen und an den Verlag DER FEMINIST, Christrosenweg 5, 8000 München senden 293 S. ,DM 15, -- Ich bestelle ein Einzelexemplar Nr. Ich abonniere den FEMINIST ab Nr. / 11:1 «MS .1111«. Ich bestelle zum Weiterverkauf auf Kommissionsbasis (ab 10 Ex. Einkaufspreis pro Ex. DM 2, 50) Ex. Nr. 2/76 Ex. Nr 1/78 Ex. Ex. Nr. 2/78 Ex. Nr.1/79 Nr 2/79 Name/Firma (Anschrift) (Unterschrift) Telefon Datum Zusätzlich zum Einzelpreis von DM 3, 50 sind DM -, 50 Versandkosten Im Inland und DM -, 75 im Ausland mit der Bestellung zu überweisen. Wir liefern postwendend! ------------------------ ------- Ich erkläre meinen Eintritt in den FÖRDERKREIS ZUM AUFBAU DER FEMINISTISCHEN PARTEI (FFP) und er- kenne die Satzung an: Name: Anschrift: Datum: Telefon: Unterschrift: Beruf:

Rusch, Margarete Saint-Simon, Henri de Sattler, Ursula Scherbl, Bernadette Schöbel, Gerd Schölch, Ingrid Schwarzer, Alice Stalin, Josef Stein, Lorenz von Stirner, Max Strasser, Johano Strauß, Franz Josef Trobadora, Beatriz Turin, Adele Warnke, Christie Werlhof, Claudia von Wiezcoreck-Zeul, Heidemarie Winter, Gunild Regine [s. Feigenwinter, Gunild] Zetkin, Clara 36 14 Inhalt, 35, 40 40 Inhalt Inhalt, 37 32, 33, 35 21, 27 14, 17, 18 15 21 27 Inhalt, 34, 35 35 Inhalt 37 40 6, 31 39