Bornemans Angriff auf die Frauenbewegung Die autonome Frauenbewegung, vor kurzem noch belächelt, wird inzwischen als politische Macht erkannt und daher von rechten und linken Patriarchen angegriffen, u. a. im «Spiegel» und im «Konkret». Angriffe kommen auch von Autoren, die sich als Frauenrechtler verstehen. Die prominentesten: Ernest Borneman zur Linken und Ursula Erler zur Rechten, die beide auch in der Schweizer Presse zu Wort kamen. Borneman, der sich teilweise miss- verstanden fühlt, geben wir Gelegenheit, seinen Standpunkt darzulegen. Dazu eine kritische Stellungnahme von Takis Armyros, der der feministischen Bewegung nahesteht und wiederholt über sie geschrieben hat. Armyros behandelt die Differenzen zu Borneman und vernachlässigt bewusst das Gemeinsame. Die immens emotive Distanzierung Wege und Ziele der Emanzipation - Von Ernest Borneman — einiger (nicht aller) Feministinnen von meinem Lebenswerk zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Das Patriar- chat hat mich schwerer getroffen, als sie erwartet hatten. Denn das Buch war aus vier Jahrzehnten aktiver Arbeit in der sozialistischen Frauenbewegung entstanden und hatte versucht, auch den nichtsozialistischen Frauen ein praktikables Waffenarsenal im Kampf gegen das Patriarchat zu liefern. Es be- stand (a) aus einer Dokumentation zur Geschichte der vorpatriarchalischen, meist frauenrechtlichen Kulturen; (b) aus einer Analyse der Machtmittel, mit deren Hilfe das Patriarchat diese Ge- sellschaftsordnungen erobert und zer- stört hat. Damit wollte ich den kämp- fenden Frauen Informationsmaterial zur Beantwortung folgender Fragen liefern: 1. Mit welchen Strategien und Takti- ken kann man Gesellschaftssysteme (also auch das Patriarchat) verändern? 2. Wie sehen frauenrechtliche Gesell- schaftsordnungen eigentlich aus? — Wenn wir für eine Alternative zum Pa- triarchat plädieren, dann müssen wir auch wissen, wie sie aussehen kann. Und das können wir nur erfahren, in- dem wir alles verfügbare Material über frauenrechtliche Gesellschaften ande- rer Regionen und anderer Zeiten durcharbeiten. 3. Was ist die Frau? Wenn wir von der heutigen, durch Jahrtausende patriar- chalischer Unterdrückung deformier- ten Frau ausgehen, haben wir keine Ahnung, welche schöpferische Potenz die Frau vor ihrer Deformierung be- sessen hat. Deshalb mein Versuch, alle bekannten Quellen zum Studium vor- geschichtlicher Frauenkulturen abzu- grasen und die Resultate zugunsten der Frauenbewegung zu veröffentli- chen. Es ist nicht wahr, dass ich je den wahnwitzigen Gedanken geäussert hätte, ich sei «der Karl Marx der Frau- enbewegung» oder wolle etwas ähnli- ches werden. Im Gegenteil, ich bin der festen Überzeugung, dass diejenige so- ziale Gruppe, die am meisten unter sehe Argumente der Männerbündler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts übernommen und das andere Ge- schlecht damit verteufelt haben. (c) Ein Artikel, der in der Schweiz (in der «Weltwoche») ohne mein Wissen und ohne meine Zustimmung aus der deut- schen Zeitschrift «Warum» nachge- druckt worden ist, trug den nicht von mir, sondern von der Redaktion «Wa- rum» stammenden Titel: «Warum die Frauenbewegung mich so deprimiert.), Ich habe sofort gegen diesen idiotischen Titel protestiert, denn da ich seit vier Jahrzehnten in der Frauenbewegung tätig bin und sie für das hoffnungsvoll- ste Zeichen unserer Zeit halte, wäre es geradezu schizophren, von Depression zu sprechen. Ich habe die Kritik der Feministinnen am Manne und an den patriarchali- schen Institutionen stets in ihrer Gänze akzeptiert und unterstützt. Aber ich habe auch stets darauf hinge- wiesen, dass Kritik zur Provokation wird und zur verschärften Unterdrük- kung der Frau führen kann, wenn die Frauenbewegung nicht die Machtmit- tel besitzt, ihre Kritik mit mehr als Worten durchzusetzen. Mit Sensitivi- tätstraining und anderen feministi- schen Techniken mag man zwar eine gewaltige Stärkung des Bewusstseins und der psychischen Sicherheit erzeu- gen, aber man bleibt trotzdem macht- los gegen Polizei und Militär. Es ist eine uralte Erfahrung der Unterdrück- ten, dass man den Unterdrücker mit keinem rationalen Argument davon überzeugen kann, die Unterdrückung freiwillig aufzugeben. Im Gegenteil, je mehr er sich durch Agitation gefährdet sieht, desto mehr neigt er zu Gewalt- massnahmen gegen die Unterdrückten. Deshalb mein stetiges Argument, dass der Ausbeutung leidet, auch diejenige sein muss, der im Kampf gegen die Ausbeuter die Führungsposition ge- bührt. Das sind heute die Frauen. Im Motto des Buches hatte ich deshalb der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass das Buch der Frauenbewegung dienen könne, wie Das Kapital der Arbeiter- bewegung gedient hat. Und auf Seite 19 des Vorworts hatte ich noch einmal spezifiziert: das Buch «dient» den Zie- len der Frauenbewegung und «ordnet sich ihren Forderungen unter». Wieso das Buch von einigen Frauen abge- lehnt worden ist, bleibt mir unver- ständlich und ist bisher in keiner Re- zension klar geworden. Kritik hat sich an vier Punkten festgebissen: 1. Das Buch stamme von einem Mann und sei deshalb grundsätzlich abzuleh- nen. 2. Es tauge nichts, da Männer konsti- tutionell unfähig seien, Frauen zu ver- stehen. 3. Es sei verdächtig, weil Männer, die sich zugunsten der Frauenbewegung aussprechen, nur unehrliche Motive haben können — zum Beispiel Anbie- derung oder Bereicherung. 4. Ich hätte die Feministinnen zwar nicht im Patriarchat, aber doch in spä- teren Schriften kritisiert, sie mit Fa- schisten verglichen und behauptet, die Frauenbewegung «deprimiere» mich. Da ich als Mann zu den ersten drei Punkten nichts sagen kann, will ich auf den vierten eingehen: (a) Ich habe nie und nirgends «die Feministinnen» an- gegriffen, sondern nur ganz bestimmte Gruppen (die übrigens auch mit den gleichen Argumenten von anderen Frauengruppen kritisiert worden sind). (b) Ich habe niemals «die Feministin- nen» mit Faschisten verglichen, son- dern nur jene Gruppen, die faschisti- man das Patriarchat nur dann über- winden kann, wenn man die Organisa- tionen erobert, die ihr eigenes Argu- ment mit dem Patriarchat haben. Zweifellos haben die Feministinnen recht, wenn sie sagen, dass diese Orga- nisationen — ich denke vor allem an die linken Parteien und die Gewerk- schaften — auch patriarchalisch struk- turiert sind und von Männern be- herrscht werden. Aber je mehr Frauen ihnen beitreten, desto grösser wird ihre Macht. Die freiwillige Absonde- rung der Frauen mag im Stadium der Selbstfindung und Selbststärkung, der Meinungs- und Willensbildung, durch- aus notwendig sein. Aber sie schadet, wenn es darum geht, vom Reden zum Handeln überzugehen. Das jahrzehn- tealte Argument zwischen den soziali- stischen und den «autonomen» Frauen läuft immer wieder auf die Frage hin- aus: «Mit welchen Mitteln wollt Ihr das Patriarchat brechen? Mit welcher Strategie, mit welcher Taktik? Wo sind Eure Waffen? Wie könnt Ihr hoffen, das Patriarchat auch nur um einen Deut zu verändern, wenn Ihr jede Al- lianz mit denen ablehnt, die gesell- schaftsverändernde Machtmittel besit- zen?» Es ist eine tragische Selbsttäuschung der Frauen in der «neuen» Frauenbe- wegung, dass sie sich als die einzige Frauenbewegung betrachten und dabei vergessen, dass sie eine winzige Min- derheit im Vergleich mit der Anzahl militanter Frauen in den Gewerkschaf- ten und den linken Parteien sind. Ich fasse also zusammen: In unserer Kritik am Patriarchat sind wir uns ei- nig; da gibt es kaum Meinungsver- schiedenheiten zwischen sozialistischen und autonomen Frauengruppen. In unseren Zielen sind wir uns weniger einig: ich glaube an keine Reform des Patriarchats, sondern halte die Erfül- lung emanzipatorischer Forderungen nur in einer gänzlich anders gearteten Gesellschaftsordnung für möglich; ei- ner Ordnung, die viel mit den frauen- rechtlichen und mutterrechtlichen Kul- turen anderer Zeiten und Regionen gemein hat. In den Mitteln zur Erreichung dieses zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Ziels sind wir uns völlig uneins. Die Feministinnen meinen, ein solches Ziel liesse sich im Alleingang erreichen, da in jeder zweigeschlechtigen Organisa- tion die Männer bald wieder die Füh- rung an sich reissen würden. Ich schliesse dagegen aus der geballten Er- fahrung aller uns bekannt gewordenen Frauen- oder Männerbünde, dass jede eingeschlechtige Organisation, einerlei wie radikal sie auch beginnt, stets nach einer Weile zur Reaktion erstarrt. Deshalb halte ich es für unerlässlich, die Gewerkschaften und Parteien zu erobern. Das heisst: durch Massenbei- tritt zu «feminisieren». Jede sexuelle Segregation, oh freiwillig oder erzwun- gen, stellt einen Verzicht auf die ge- sellschaftsverändernden Machtmittel dar, die uns heute bereits zur Verfü- gung stehen. Wir sollten sie nutzen, statt einander zu bekämpfen. Wir soll- ten das Gemeinsame in unseren Über- zeugungen herausstreichen und nicht das Unterschiedliche. Wir sollten auf- hören, einander zu kritisieren, und sollten uns auf der Basis jenes Mini- mums einigen, das allen Gruppen der Frauenbewegung gemein ist, also auch jenen Gruppen, die von Anfang an darauf bestanden haben, Männer zu rekrutieren. Zwei Hauptaufgaben liegen vor uns: 1. Die frauenrechtlichen Gesellschafts- ordnungen so sorgfältig zu studieren, dass wir uns ein klares Bild der Gesell- schaftsordnung machen können, die wir erstreben. 2. Klare Entscheidungen zu treffen, mit welchen Mitteln wir das Patriar- chat zerschlagen und eine andere, emanzipierte Gesellschaftsordnung an seinen Platz stellen wollen.