Erich Auerbachs Konzept für ein post-totalitäres Europa

Vortrag in der Reihe „Jüdisches Leben zwischen Deutschland und der Türkei“

„Die Leser der Odyssee“: So beginnt der Berliner Romanist Erich Auerbach sein bahnbrechendes Werk mit dem Titel „Mimesis: Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, das er 1946 veröffentlichte – gegen Ende seines elfjährigen Exils in Istanbul. Seine Analyse europäischer Literaturen aus fast drei Jahrtausenden, bezeichnenderweise beginnend mit der Odyssee und der hebräischen Bibel und abschließend mit Marcel Proust, Virginia Woolf und James Joyce, sollte zu einem der bedeutendsten und einflussreichsten literaturwissenschaftlichen Werke des 20. Jahrhunderts werden, die im deutsch-jüdischen Exil entstanden sind. Nicht zufällig spricht Auerbach gleich zu Beginn eine humanistisch gebildete Leserschaft an, bei der er während des Verfassens dieses Buches nicht davon ausgehen konnte, dass sie die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überleben würde. Er adressierte sein Werk ganz bewusst an die Leserschaft, die vom antihumanistischen und antisemitischen totalitären System brutal gebrochen wurde. Dem Bewusstsein über die maßlose Zerstörung standen die Bemühungen der Exilierten gegenüber, ihr Wissen für eine Zeit danach zu bewahren. In diesem Sinne ist das Werk als ein Akt des Sammelns und Erinnerns für eine noch nicht greifbare Zukunft zu sehen; es ist ein kuratorischer Akt für eine mögliche Zeit danach. Rekurrierend auf das Wissen und die Bücher, die ins Exil gerettet wurden, aber auch rekurrierend auf seine Erfahrungen an der Universität Istanbul, die sich als moderne, säkulare Universität konstituierte, imaginierte Auerbach eine post-totalitäre Zukunft, für die er die literarische Geburt Europas neu erzählte.

Vortrag von Kader Konuk (Dortmund). Moderation: Julia Schneidawind (München).

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Vortragsreihe „Jüdisches Leben zwischen Deutschland und der Türkei“ zu Ehren des in Vergessenheit geratenen LMU-Professors Karl Süßheim statt. Die Reihe ist eine Kooperation des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) mit den Fachbereichen Turkologie und Judaistik am Institut für den Nahen und Mittleren Osten der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) sowie dem Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU.

ORT
LMU-Hauptgebäude, Hörsaal A 125
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München

ANMELDUNG
Bitte melden Sie sich über das Online-Formular beim Fachbereich Turkologie der LMU an.



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